Richter sollten ausgeschlafen zur Verhandlung kommen, damit das hier nicht passieren kann! Copyright by Adobe Stock/bignai
Richter sollten ausgeschlafen zur Verhandlung kommen, damit das hier nicht passieren kann! Copyright by Adobe Stock/bignai

Der Strafprozess beim Landgericht Kassel dauerte viele Verhandlungstage. Bereits zu Beginn des Prozesses verlas der Staatsanwalt die Anklageschrift. Dabei schlief ein Schöffe ein. Der Verteidiger bemerkte das und wies den Vorsitzenden Richter darauf hin. Der Schöffe öffnete die Augen irgendwann wieder. Daraufhin setze der Staatsanwalt das Verlesen der Anklageschrift fort. Die Teile, die der Schöffe verschlafen hatte, wiederholte er nicht mehr.
 

 

Steuern hinterzogen und doch nicht rechtskräftig verurteilt

Das Landgericht verurteilte in diesem Prozess den Mitarbeiter eines Finanzamtes, zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe wegen Steuerhinterziehung. Es warf dem Angeklagten vor, fremde Steuererklärungen mit falschen Angaben abgezeichnet und manipuliert zu haben.
 
Der Verteidiger erinnerte sich jedoch an die Vorkommnisse während des Verlesens der Anklageschrift. Mit dem Vorwurf, das Gericht sei nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen, ging er bis zum Bundesgerichtshof. Dieser hat nun entschieden.
 

Ein Gericht mit einem schlafenden Schöffen ist nicht ordnungsgemäß besetzt

Der Bundesgerichtshof sagte dazu, die Kammer des Landgerichts Kassel sei nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen, weil einer der Schöffen geschlafen habe. Das Landgericht Kassel muss das Verfahren nun noch einmal neu verhandeln und entscheiden.
 
Sehr ungewöhnlich ist es nicht, dass einem Laienrichter gerade bei langen Verhandlungstagen die Augen zufallen. Auch das Bundessozialgericht musste hierzu schon entscheiden. Das Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt, wenn eines seiner Mitglieder für einen erheblichen Teil der mündlichen Verhandlung geistig abwesend sei und sich deshalb von dem Sach- und Streitstand nach dem Verlauf der mündlichen Verhandlung keine eigene Überzeugung bilden könne.
 
Wir hatten dazu bereits berichtet:
Der Schlaf der Gerechten
 

Der ehrenamtliche Richter verschlief die gesamte mündliche Verhandlung

Dort war es um ein Rentenverfahren eines erwerbsgeminderten Mannes aus dem Raum Heilbronn gegangen. Nachdem dessen Rentenantrag auch vor Gericht keinen Erfolg hatte, wies der Kläger im Verfahren vor dem Bundessozialgericht auf einen Verfahrensfehler hin. Einer der ehrenamtlichen Richter habe geschlafen.
 
Das Bundessozialgericht äußerte sich ausführlich zu den Voraussetzungen des geltend gemachten Verfahrensmangels.  Wolle der Kläger durchsetzen, sein Verfahren leide an einem Verfahrensfehler, weil das vorhergehende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen sei, so müsse er genau vortragen, was der Richter in der Verhandlung konkret nicht habe wahrnehmen können.
 

Der Verfahrensmangel muss genau beschrieben werden

Er müsse dabei den Zeitpunkt angeben und die Dauer. Weiterhin müsse er die Einzelheiten des Verhaltens des eingeschlafenen Richters genau beschreiben. Dies umfasse auch all das, was während dieser Zeit in der mündlichen Verhandlung geschehen sei. Schließlich müsse er außerdem darlegen, welche wichtigen Vorgänge der Richter nicht habe erfassen können.
 
Der von seiner Position aus rechts auf der Richterbank sitzende ehrenamtliche Richter habe während der gesamten mündlichen Verhandlung geschlafen und die Augen erst wieder geöffnet, als die Verhandlung beendet gewesen sei - beschrieb der Kläger die Situation. Er sei schon zu spät in den Sitzungssaal gekommen, habe Platz genommen und sei mit auf die Brust gesunkenem Haupt sofort eingeschlafen. Der Kläger habe vernommen, wie der Richter tief und hörbar atmete. Das seien keine kurzfristigen Ablenkungs- oder Ermüdungserscheinungen gewesen.
 

Jeder Richter muss die nötige Verhandlungsfähigkeit besitzen

 
Daraufhin entschied das Bundessozialgericht, dass auch hier die untere Instanz nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen war. Eine vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichtes bedeute, dass jeder Richter die Verhandlungsfähigkeit besitze, die er zur Ausübung des Richteramtes benötige. Er müsse damit in der Lage sein, die wesentlichen Vorgänge der Verhandlung wahrzunehmen und sie auch aufzunehmen. Das wiederum setze voraus, dass der Richter körperlich und geistig imstande sei, der Verhandlung in allen wesentlichen Abschnitten zu folgen. Das Gericht und damit jeder einzelne Richter müsse seine Überzeugung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewinnen.
 

Fehlt die Aufmerksamkeit eines Richters, liegt ein Verfahrensmangel vor

Diese Aufgabe sei ein Richter nur gewachsen, wenn er die wesentlichen Vorgänge der Verhandlung aufgenommen habe, sich sein Urteil selbstständig bilden könne und dazu keine Hilfe der anderen Richter benötige, um an einer sachgerechten Entscheidung mitzuwirken. Fehle die notwendige Aufmerksamkeit, weil er in der mündlichen Verhandlung eingeschlafen sei, liege ein Verfahrensmangel vor. Das Gericht sei dann nicht ordnungsgemäß besetzt.
 
Da der ehrenamtliche Richter im sozialgerichtlichen Verfahren über den gesamten Zeitraum der mündlichen Verhandlung hinweg mehr oder weniger fest geschlafen hatte, hob das Bundessozialgericht auch in diesem Fall das vorhergehende Urteil auf. Das gesamte Verfahren musste deshalb beim Landessozialgericht wiederholt werden.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14. Oktober 2020
Bundessozialgericht, Beschluss vom 12. April 2017

Das sagen wir dazu:

Prozessbevollmächtigte und Kläger erkennen in einer mündlichen Verhandlung meist sehr genau, wie aufmerksam die ehrenamtlichen Richter oder Schöffen sind. Sie sitzen ihnen schließlich genau gegenüber.

Es ist manchmal Prozesstaktik, da nichts zu sagen. Kann man Jahre später in der Revisionsinstanz diesen Verfahrensmangel nachweisen, muss die Sache regelmäßig zur erneuten mündlichen Verhandlung und Entscheidung an die untere Instanz zurückverwiesen werden.

Verfahrensmängel können Vorteile für Betroffene haben

Oft hat das für Betroffene den Vorteil, dass dadurch Verfahrensfristen verstreichen, die der Gegner einhalten müsste. Das findet der Gegner nicht immer nett und freundlich, so ist aber die Prozesspraxis. Anwälte wollen ja gerne gewinnen. Wenn sich das durch einen Verfahrensmangel erreichen lässt, dann ist das halt so. Da zählt letztlich das Ergebnis.

Das wichtige Richteramt sollte nicht verschlafen werden

Ehrenamtlichen Richtern sei an dieser Stelle aber gesagt, dass sie mit der Teilnahme an Gerichtssitzungen eine hohe Verantwortung auch den Beteiligten gegenüber übernehmen. Es ist daher nicht nur verfahrensrechtlich von Bedeutung, wenn sie einschlafen, sie lassen es auch mit dem Einschlafen an einer Wertschätzung den Verfahrensbeteiligten gegenüber missen. Richter sollten ausgeschlafen sein, sie entscheiden schließlich oft über lebenswichtige Themen. Das gebietet das übernommene Amt.

Rechtliche Grundlagen

§ 547 ZPO

Eine Entscheidung ist stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war;
2.
wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen war, sofern nicht dieses Hindernis mittels eines Ablehnungsgesuchs ohne Erfolg geltend gemacht ist;
3.
wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, obgleich er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt war;
4.
wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat;
5.
wenn die Entscheidung auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
6.
wenn die Entscheidung entgegen den Bestimmungen dieses Gesetzes nicht mit Gründen versehen ist.