Wer zum Verhandlungstermin erscheinen muss, entscheidet das Gericht. © Adobe Stock: fizkes
Wer zum Verhandlungstermin erscheinen muss, entscheidet das Gericht. © Adobe Stock: fizkes

Caroline Hartmann vom DGB Rechtsschutzbüro Reutlingen berichtet über einen Beschluss des Sozialgerichts, den sie während der Dauer der Pandemie so noch nicht erhalten hatte. Das Verfahren lief eigentlich ganz normal. Ihrem Mandanten ging es um die Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft. Ein ärztliches Gutachten ergab das Vorliegen eines Grades der Behinderung von 40. Die Gegenseite wollte das Untersuchungsergebnis nicht akzeptieren. Unüblich ist das nicht.

 

Videokonferenzen sind zulässig

 

Nachdem das Sozialgericht zu einem Verhandlungstermin geladen hatte, beantragte der Gegner, an der vom Gericht angesetzten mündlichen Verhandlung nicht persönlich teilnehmen zu müssen, sondern sich per Videokonferenz zuschalten zu dürfen. Er hatte schließlich bereits klar geäußert, sich dem vorliegenden Gutachten nicht anschließen zu wollen. Diese Verweigerungshaltung des Gegners mag nun Einfluss auf den Beschluss des Gerichts genommen haben.

 

Nach dem Gesetz kann das Gericht gestatten, dass sich die Beteiligten eines Verfahrens während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufhalten und dort Verfahrenshandlungen vornehmen. Die Verhandlung wird dann per Video übertragen. Die Entscheidung darüber obliegt dem Gericht im pflichtgemäßen Ermessen.

 

In die Erwägungen müssten insbesondere die vom Antragsteller geäußerten Motive, eine Videokonferenz zu nutzen, einfließen, so das Sozialgericht. Allein die vom Gesetzgeber eingeräumte Möglichkeit, Videokonferenzen durchführen zu dürfen, binde das Gericht nicht.

 

Das Gesetz regelt die Voraussetzungen für eine Videokonferenz

 

Medizinische Gründe würden naturgemäß schwerer wiegen als rein finanzielle oder zeitliche Gründe, führt das Sozialgericht aus. Das Gericht müsse daneben auch beachten, das Verfahren beschleunigt durchzuführen und eine umfassende Sachverhaltsaufklärung zu ermöglichen.

 

In die Abwägung müsse außerdem die Eignung der Technik für die erwartete Verhandlungssituation einfließen. Hierbei könne das Gericht eine Prognose anstellen, ob die Videokonferenz eine verfahrensfehlerfreie Verhandlung ermögliche und ob die Technik eine effiziente, störungsfreie oder zumindest störungsarme Sitzung zulasse.

 

Angesichts der aktuell zeitweise rasant steigenden Inzidenz, dennoch aber weiterhin niedrigen Hospitalisierungsrate sowie insbesondere der geltenden Schutz- und Hygienemaßnahmen im öffentlichen Leben ging das Gericht davon aus, dass dem Bevollmächtigten des Beklagten bei der Anreise zum Termin kein ernster Gesundheitsschaden droht.

 

Die Interessenabwägung fiel zu Lasten des Beklagten aus

 

Der Kläger habe ein Interesse an einer mündlichen Verhandlung mit der Anwesenheit eines Vertreters des Beklagten. Die vom Beklagten vorgebrachten Gründe rechtfertigten nicht dessen Teilnahme per Videokonferenz.

 

Auch in Zeiten der Pandemie stelle die persönliche Anwesenheit eines Vertreters des Beklagten grundsätzlich den Normalfall und nicht den Ausnahmefall dar. Die Mitwirkung an Gerichtsverfahren, die der Überprüfung behördlicher Entscheidungen dienten, und somit auch die Teilnahme an den Gerichtsterminen gehörten zu den gesetzlichen Aufgaben des Beklagten.

 

Der Kläger muss sich ernst genommen fühlen

 

In diesem Verfahren habe der Kläger bislang keine Möglichkeit gehabt, sein Anliegen persönlich vorzutragen. Gerade in solchen Fällen könne eine Erörterung in der mündlichen Verhandlung dazu dienen, dass der Sachverhalt aufgrund der erstmaligen persönlichen Anwesenheit des Vertreters der Behörde dem*der Betroffenen erläutert werden könne.

 

Die Anwesenheit eines Vertreters der Behörde zeige dem*der Bürger*in, dass das Anliegen von der Behörde ernst genommen werde, selbst wenn sie in der Sache nach Auffassung des Beklagten nicht berechtigt sein sollte.

 

Kläger*innen hätten zwar nicht in jedem Fall ein Anspruch auf einen Erörterungstermin oder eine mündliche Verhandlung. Die Festsetzung von Verhandlungsterminen stehe im richterlichen Ermessen.

 

Hier hielt die Vorsitzende Richterin die Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit persönlicher Anwesenheit beider Beteiligter für erforderlich. Der Beklagte muss daher einen Terminsvertreter entsenden.

 

Hier geht es zum Beschluss des Sozialgerichts

Rechtliche Grundlagen

§ 110a I SGG

(1) Das Gericht kann den Beteiligten, ihren Bevollmächtigten und Beiständen auf Antrag oder von Amts wegen gestatten, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Die Verhandlung wird zeitgleich in Bild und Ton an diesen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen.
(2) Das Gericht kann auf Antrag gestatten, dass sich ein Zeuge oder ein Sachverständiger während einer Vernehmung an einem anderen Ort aufhält. Die Vernehmung wird zeitgleich in Bild und Ton an diesen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen. Ist Beteiligten, Bevollmächtigten und Beiständen nach Absatz 1 Satz 1 gestattet worden, sich an einem anderen Ort aufzuhalten, so wird die Vernehmung auch an diesen Ort übertragen.
(3) Die Übertragung wird nicht aufgezeichnet. Entscheidungen nach Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 Satz 1 sind unanfechtbar.
(4) Die Absätze 1 und 3 gelten entsprechend für Erörterungstermine (§ 106 Absatz 3 Nummer 7).