Bis 1999 beherbergte das imposante Gebäude in Kassel auch das Bundesarbeitsgericht. Nun steht es allein dem Bundessozialgericht zur Verfügung. Copyright by Adobe Stock/ zwehren
Bis 1999 beherbergte das imposante Gebäude in Kassel auch das Bundesarbeitsgericht. Nun steht es allein dem Bundessozialgericht zur Verfügung. Copyright by Adobe Stock/ zwehren

 „Der Sozialstaat hat in der Pandemie den Stresstest gut bestanden“  sagte der Präsident des Bundessozialgerichts anlässlich des Jahrespressegespräches, das pandemiebedingt online erfolgte.

 

Die Regeln zur Impfpriorisierung

Schlegel verstand allerdings nicht, warum die Bundesregierung die Regelungen zur Impfpriorisierung im Wege einer Verordnung machte. Hier gehe es um eine wesentliche Entscheidung, teilweise um Leben. Er hätte es vorgezogen, wenn dazu ein formelles Gesetz verabschiedet worden wäre.
 
Der Vorteil einer Verordnung bestehe aber darin, dass man sie als Gericht für nichtig erklären könne. Es brauche nur eines entsprechenden Falles, um darüber entscheiden zu können.
 
Eine Härteklausel hält er außerdem für notwendig. Darüber könnten Menschen unabhängig von den definierten Gruppen in besonderen Fällen früher eine Impfung erhalten. Der Gesetzgeber müsste dazu festgelegte Beispiele formulieren. Um allzu viele Gerichtsverfahren vermeiden zu können, müsse eine solche Ausnahmeregel sehr eng gestaltet sein.
 

Keine Verfahren zur Priorisierung anhängig

Bislang seien beim Bundessozialgericht keine Fälle zur Priorisierung anhängig. Lediglich das Landessozialgericht Niedersachsen/Bremen hätte kürzlich dazu entschieden. Die Richter hielten die Verordnung für nachvollziehbar (Beschluss vom 02. Februar 2021, AZ L 5 SV 1/21 B ER). Das Gericht habe allerdings die Frage nicht beantwortet, ob es einer Härtefallregelung bedürfe und ob die Regelung in Form einer Verordnung ausreichend sei.
 
Ob die Verfahren überhaupt in der Sozialgerichtsbarkeit landeten, hielt Schlegel nicht unbedingt für sicher. Das Verfahren aus Niedersachsen/Bremen ging zunächst beim Verwaltungsgericht ein. Die Richter verwiesen es aber an das Sozialgericht.
 
Das Bundesgesundheitsministerium habe Impfungen im Sozialgesetzbuch V geregelt. Das spräche jedoch durchaus dafür, dass die Sozialgerichte auch für die Entscheidung in diesen Fragen zuständig sein.
 

Alle Zuständigkeiten des Gerichts tangiert

Die Corona Pandemie habe fast alle Zuständigkeiten des Gerichts tangiert. Zu einer Klageflut habe das aber nicht geführt. Verfahren aus den ersten Monaten der Pandemie, etwa zur Finanzierung digitaler Geräte für Schüler aus der Grundsicherung, über Mehrbedarf oder zur Finanzierung des Mund-Nase-Schutzes habe der Gesetzgeber zwischenzeitlich geklärt.
 
Solo-Selbstständige, Selbstständige und geringfügig Beschäftigte hätten während der Pandemie feststellen müssen, dass sie einen geringeren sozialrechtlichen Schutz genießen. Hier habe die Pandemie auch Schwächen des Systems aufgezeigt.
 

Digitale Infrastruktur fehlt

Was den Sozialgerichten noch fehlt, ist nach Ansicht des Präsidenten des Bundessozialgerichts eine zureichende und dringend notwendige digitale Infrastruktur. Obwohl seit 2013 eine Rechtsgrundlage dafür existiere, Gerichtsverhandlungen digital durchzuführen, fehle es zumindest auf Bundesebene noch immer an einer stabilen Software und einer datenschutzrechtlichen Sicherheit.
 
Auch in einer Pandemie müssten Gerichte effektiven Rechtsschutz gewährleisten. Diesem Auftrag sei das Bundessozialgericht 2020 uneingeschränkt nachgekommen. Könnte das Gericht jedoch auf digitale Formate ohne datenschutzrechtliche Bedenken zurückgreifen, würde das die Arbeit wesentlich erleichtern.
 

Die Eingangszahlen blieben auf hohem Niveau

Die Zahl der Eingänge und der erledigten Verfahren bewege sich seit Jahren auf hohem Niveau, so Schlegel. 2018 und 2019 seien die Revisionen noch leicht zurückgegangen. Dieser Abwärtstrend habe 2020 geendet. Auch die Zahl der Nichtzulassungsbeschwerden sei im Vergleich zum Vorjahr fast unverändert geblieben.
 
Der Bedarf an grundsätzlicher Klärung sozialrechtlicher Fragen durch das Bundessozialgericht sei durchweg weiter hoch. Insgesamt seien 2.321 Revisionen, Nichtzulassungsbeschwerden und Anhörungsrügen eingegangen. Erledigt habe das Gericht 2.423 Verfahren.
 

Die Verfahrensdauer ändert sich nicht wesentlich

Revisionen vor dem Bundessozialgericht dauern im Schnitt etwa ein Jahr. Nichtzulassungsbeschwerden sind schon nach durchschnittlich fünf Monaten abgeschlossen. Das ist beides im Vergleich zum Vorjahr etwa gleich geblieben.
 
Die 14 Senate des Bundessozialgerichts befassen sich mit allen sozialrechtlichen Fragen vom Rentenverfahren über die Kranken- und Pflegeversicherung, die Arbeitslosenversicherung, bis hin zum Kassenarztrecht und vielem mehr.
 

Das Bundessozialgericht veröffentlicht Informationen über Entscheidungen

Auf seiner Seite www.bundessozialgericht.de informiert das Bundessozialgericht unter dem Navigationspunkt „Presse/Verhandlungstermine“ über sämtliche bevorstehenden und getroffenen Entscheidungen. Gleichzeitig gibt die Rubrik „Verfahren/anhängige Rechtsfragen“ Auskunft, mit welchen Rechtsfragen sich das Bundessozialgericht in absehbarer Zeit befassen wird.
 
Das Bundessozialgericht wies auch im Jahr 2020 mit Terminvorschauen auf die anstehenden Gerichtstermine hin. Das geschah in insgesamt 50 Fällen. Über die jeweiligen Ergebnisse der Verhandlungen berichteten die Senate in Terminberichten. All diese Fälle greift der Jahresbericht des Bundessozialgerichts auf und schildert die wesentlichen Fragen zu jedem anstehenden Thema.
 

Die Pandemie erreichte im März das Bundessozialgericht

Die Corona-Pandemie erreichte das Bundessozialgericht im März 2020. Die Zahl der Plätze für Zuhörer wurde erheblich reduziert. Das Bundessozialgericht stellte seinen Dienstbetrieb soweit möglich auf Home Office um. Trotzdem konnten durchgehend Gerichtsverhandlungen stattfinden.
 
Im Juli 2020 nahm das Bundessozialgericht eine moderne Videokonferenzanlage in Betrieb. Gerichtssäle und Richterbänke erhielten Plexiglas-Trennscheiben. Die Öffentlichkeit war damit in allen Sitzungen sichergestellt  - so wie es das Gesetz erfordert.
 

Eine Kooperation zur elektronischen Akte

Ebenso wie der Bundesgerichtshof, das Bundespatentgericht und der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof trat auch das Bundessozialgericht der Kooperationsgemeinschaft zum Thema „elektronische Akte als Service“ bei, die die Länder Baden-Württemberg, Sachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen bereits 2017 gründeten. Die Kooperationspartner entwickeln verstärkt Synergieinfekte, indem sie gemeinsame Lösungen beim Einsatz der elektronischen Prozessakten nutzen und das Expertenwissen auf Fachebene austauschen.

Jahrespressegespräch des Bundessozialgerichts 2020

Jahrespressegespräch des Bundessozialgerichts, Pressemitteilung vom 09. Februar 2021