Inklusion bedeutet: Die Umwelt muss so gestaltet sein, dass sich Menschen auch dann in ihr zurechtfinden, wenn sie eine Behinderung haben. Copyright by Adobe Stock/E. Zacherl
Inklusion bedeutet: Die Umwelt muss so gestaltet sein, dass sich Menschen auch dann in ihr zurechtfinden, wenn sie eine Behinderung haben. Copyright by Adobe Stock/E. Zacherl

„Inklusion bedeutet, dass jeder Mensch ganz natürlich dazu gehört. Egal wie du aussiehst, welche Sprache du sprichst oder ob du eine Behinderung hast. Jeder kann mitmachen. Zum Beispiel: Kinder mit und ohne Behinderung lernen zusammen in der Schule. Wenn jeder Mensch überall dabei sein kann, am Arbeitsplatz, beim Wohnen oder in der Freizeit: Das ist Inklusion.“ So heißt es auf der Homepage der Aktion Mensch.
 

Merkzeichen RF, weil man nicht an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen kann

Nicht dabei sein wollte Frau K. Sie ist 48 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Töchter. Im April 2016 hatte sie einen Schlaganfall erlitten und sitzt seither im Rollstuhl. Bei ihr ist ein Grad der Behinderung von 100 festgestellt. Außerdem beantragte sie das Merkzeichen RF (Rundfunkgebührenermäßigung).
 
Sie könne öffentliche Veranstaltungen wie Theater- und Kinobesuche nicht mehr besuchen, weil sie sich seit dem Schlaganfall mit den Schauspieler*innen in besonderem Maße identifiziere und dann durch aggressives Verhalten und laute Rufe auffalle. Dies wolle sie ihren Mitmenschen nicht zumuten.
 
Die zuständige Behörde lehnte das Merkzeichen jedoch ab und auch bei Gericht hatte sie keinen Erfolg. Das Landessozialgericht wies ihre Berufung nun zurück.
 

Merkzeichen RF mindert den Rundfunkbeitrag

Das Merkzeichen RF erhalten:
 

  • blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von wenigstens 60 allein wegen der Sehbehinderung,
  • hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist, und
  • behinderte Menschen, deren Grad der Behinderung nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.

 
Wer zu wenigstens einer der drei Gruppen gehört, bei dem reduziert sich der Rundfunkbeitrag auf ein Drittel des regulären Satzes. Statt 17,50 € monatlich (Stand März 2021) sind dies also 5,75 €.
 

Unmöglichkeit an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen

Frau K. hatte sich auf den letzten Punkt berufen, fand bei Gericht aber kein Gehör. Ihr sei die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen nicht ständig unmöglich. Öffentliche Veranstaltungen seien nicht nur Theater-, Oper-, Konzert- und Kinovorstellungen, sondern auch Ausstellungen, Messen, Museen, Märkte, Gottesdienste, Volksfeste, Sportveranstaltungen, Tier- und Pflanzengärten sowie letztlich auch öffentliche Gerichtsverhandlungen.
 
Die Unmöglichkeit ergebe sich jedenfalls nicht daraus, dass Frau F. die Öffentlichkeit um ihrer Mitmenschen willen meiden wolle. Denn, so das Gericht:
 
„Der auf die gesellschaftliche Teilhabe gerichtete Zweck des Merkzeichens „RF“ würde in sein Gegenteil verkehrt, wenn es mit dem Ziel zuerkannt werden könnte, besonderen Empfindlichkeiten der Öffentlichkeit Rechnung zu tragen und damit Behinderte quasi wegzuschließen.“
 

Belästigungsempfinden anderer ist eben nicht entscheidend

Dieses Verständnis der Regelung wirke einer Ausgrenzung von schwerbehinderten Menschen und damit auch einer Diskriminierung entgegen. Denn es dürfe grade nicht darauf ankommen, inwieweit sich Teilnehmer*innen an öffentlichen Veranstaltungen durch Behinderte gestört fühlen.
 
Für die Anerkennung des Merkzeichens RF sei damit allein maßgeblich, dass der schwerbehinderte Mensch die Möglichkeit hat, körperliche an der entsprechenden Veranstaltung teilzunehmen. Frau K. könne mit ihrem Rollstuhl und einer Begleitperson unproblematisch an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen. Damit stehe ihr das Merkzeichen RF nicht zu.
 
Zur Pressemitteilung des Landessozialgerichts
 
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Das sagen wir dazu:

Auch wenn die Entscheidung für Frau K. negativ ist, so stärkt sie insgesamt die Position von schwerbehinderten Menschen. Denn ihr Argument, sie wolle niemanden mit ihren Schreien stören, kann man im Sinne der Inklusion nicht gelten lassen.

Wegsperren ist das Gegenteil von Inklusion

Ist es bei Frau F. noch die (übertriebene) Rücksicht auf ihre Mitmenschen, so könnte man das Argument aus deren Mund nur so bezeichnen, wie es das Gericht tut: Als Aufforderung zum Wegsperren. Das ist aber genau das Gegenteil von Inklusion.

Und selbst diese ist nur eine Ausprägung der allgemeinen Toleranz anderen Menschen gegenüber. Einen Anspruch auf ungestörten Filmgenuss gibt es ja auch allerhöchstens im Heimkino. Ansonsten gehört es bei öffentlichen Veranstaltungen dazu, den diversen Lebensäußerungen seiner Mitmenschen ausgesetzt zu sein.

Hier hat wohl jeder so seine eigenen Erfahrungen aus der Zeit vor der Pandemie. Nicht jeder Mitmensch ist gleichermaßen angenehm und nicht immer fällt Toleranz leicht. Aber wer sich dem nicht aussetzen möchte, muss eben seinerseits zu Hause bleiben.

Rechtliche Grundlagen

§ 152 SGB IX, § 3 Schwerbehindertenausweisverordnung, § 4 Rundfunkstaatsvertrag

§ 152 SGB IX

[…]

(5) Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die zuständigen Behörden auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den Grad der Behinderung sowie im Falle des Absatzes 4 über weitere gesundheitliche Merkmale aus.

§ 3 Schwerbehindertenausweisverordnung
Weitere Merkzeichen
(1) Im Ausweis sind auf der Rückseite folgende Merkzeichen einzutragen:

[…]

„RF“: wenn der schwerbehinderte Mensch die landesrechtlich festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht erfüllt,

§ 4 Rundfunkstaatsvertrag:
[…]

(2) Der Rundfunkbeitrag nach § 2 Absatz 1 wird auf Antrag für folgende natürliche Personen auf ein Drittel ermäßigt:

1. blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von wenigstens 60 allein wegen der Sehbehinderung,
2. hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist, und
3. behinderte Menschen, deren Grad der Behinderung nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.