Wer einen unbefristeten Schwerbehindertenausweis will, muss Hohe Hürden überwinden. Meint das Thüringer Landessozialgericht. © Adobe Stock - 	skumer
Wer einen unbefristeten Schwerbehindertenausweis will, muss Hohe Hürden überwinden. Meint das Thüringer Landessozialgericht. © Adobe Stock - skumer

Marco Träger (Name von der Redaktion geändert) möchte einen unbefristeten Schwerbehindertenausweis ausgestellt bekommen. Er hatte im März 1991 beim seinerzeit zuständigen Versorgungsamt beantragt, bei ihm eine Behinderung und den Grad der Behinderung (GdB) festzustellen. Mit Bescheid vom 10. Dezember 1998 stellte die Behörde einen GdB von 100 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen der Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht fest.


Mit Bescheid vom 08. März 2002 stellte das Versorgungsamt zudem fest, dass die Voraussetzungen der Gehörlosigkeit vorliegen. Im Januar 2014 beantragte Herr Träger einen neuen Schwerbehindertenausweis entsprechend dem neuen Muster nach der Schwerbehindertenausweisverordnung. Es handelt sich um einen Ausweis im Scheckkartenformat, der den bisherigen Ausweis in Papierform ersetzt. Herr Träger gab in seinem Antrag an, dass sein „alter“ Schwerbehindertenausweis unbefristet gewesen sei.

Die Behörde weigert sich beharrlich, Herrn Träger einen unbefristeten Schwerbehindertenausweis auszustellen.

Den neuen Ausweis stellte die Behörde auf fünf Jahre befristet aus. Der gegen die Befristung gerichtete Widerspruch des Klägers wurde durch bestandskräftigen Widerspruchsbescheid zurückgewiesen. Im März 2019 beantragte Marco Träger erneut, dass man ihm einen „neuen unbefristeten Ausweis“ ausstellt.


Diesen Antrag lehnte die Behörde wiederum ab. Der Widerspruch, den Herr Träger dagegen eingelegt hatte, wies sie als unzulässig zurück. Auch vor dem Sozialgericht konnte Herr Träger nicht überzeugen. Er hatte die Auffassung vertreten, es entstünde für ihn ein unzumutbarer Mehraufwand, wenn er den Ausweis immer wieder neu beantragen müsse. Es sei ausgeschlossen, dass sich sein Gesundheitszustand verbessern würde.

Im Regelfall sieht das Gesetz vor, den Schwerbehindertenausweis zu befristen

Das Gericht wies gleichwohl seine Klage per Gerichtsbescheid ab. Seine Berufung beim Thüringer Landessozialgericht war nicht von Erfolg gekrönt.


Das LSG wies darauf hin, dass nach ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung die Gültigkeitsdauer des Ausweises befristet werden "soll". Im Regelfall soll also ein befristeter Ausweis erteilt werden. Ausnahmen dazu seien zwar möglich, würden im SGB IX aber nicht normiert. Das Wort "soll" verstehe das Gericht - entsprechend dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht - so, dass die Behörde den Ausweis in der Regel befristen müsse, sie jedoch in atypischen Fällen hiervon abweichen könne. Damit würde dem Umstand Rechnung getragen, dass ein striktes Umsetzen von Normbefehlen Folgen haben könnte, die vom Gesetzgeber nicht zwingend gewollt seien und die mit Billigkeitsgesichtspunkten bzw. dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht ohne Weiteres in Einklang zu bringen wären.

Ein atypischer Fall würde hier nach Auffassung des LSG voraussetzen, dass der Aufwand für Herrn Träger vom Normalfall abweicht

Dabei sei in der Rechtsprechung des BSG seit langem geklärt, dass die Frage, ob ein atypischer Fall vorliegt, nicht im Wege der Ermessensausübung zu klären, sondern als Rechtsvoraussetzung im Rechtsstreit von den Gerichten zu überprüfen und zu entscheiden sei. Ein Gericht müsse, wenn der Leistungsträger einen Regelfall angenommen habe, selbst prüfen, ob ein solcher vorliege. Es dürfe den angefochtenen Bescheid wegen fehlender Ermessensausübung nur aufheben, wenn die Prüfung einen atypischen Fall ergebe.


Ein atypischer Fall würde hier nach Auffassung des LSG voraussetzen, dass der Aufwand für Herrn Träger vom Normalfall derart abweichen müsse, dass er deutlich stärker belastet würde, als es bei den Schwerbehinderten der Fall sei, die nach Ablauf der Befristung regelmäßig die Ausstellung eines neuen Ausweises beantragen müssten.

Es spielt nach Auffassung des LSG keine Rolle, dass Herr Träge zuvor einen unbefristeten Ausweis besessen hat

Davon sei nicht schon allein dann auszugehen, wenn eine Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen des Schwerbehinderten nicht zu erwarten sei. Denn dieser Umstand habe mit dem Aufwand beim Antrag des Ausweises nichts zu tun. Derartige Konstellationen seien im Schwerbehindertenrecht häufig und könnten angesichts der eindeutigen gesetzlichen Handlungsanweisung zur Befristung des Ausweises nicht als atypisch angesehen werden.Etwas anderes ergebe sich auch nicht im Hinblick darauf, dass Herrn Träger früher einmal ein unbefristeter Ausweis erteilt worden sei. Denn - abgesehen davon, dass seitdem bereits sechs Jahre vergangen seien - stelle dieser Umstand keine geeignete Grundlage für ein Vertrauen auf den Fortbestand dar.


Hier geht es zum Urteil des Thüringer Landessozialgerichts:

Rechtliche Grundlagen

§ 152 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX)

§ 152 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX)
Feststellung der Behinderung, Ausweise
(1) Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung zum Zeitpunkt der Antragstellung fest. Auf Antrag kann festgestellt werden, dass ein Grad der Behinderung oder gesundheitliche Merkmale bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen haben, wenn dafür ein besonderes Interesse glaubhaft gemacht wird. Beantragt eine erwerbstätige Person die Feststellung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch (§ 2 Absatz 2), gelten die in § 14 Absatz 2 Satz 2 und 3 sowie § 17 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 Satz 1 genannten Fristen sowie § 60 Absatz 1 des Ersten Buches entsprechend. Das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung ist entsprechend anzuwenden, soweit nicht das Zehnte Buch Anwendung findet. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Eine Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein Grad der Behinderung von wenigstens 20 vorliegt. Durch Landesrecht kann die Zuständigkeit abweichend von Satz 1 geregelt werden.
(2) Feststellungen nach Absatz 1 sind nicht zu treffen, wenn eine Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung und den Grad einer auf ihr beruhenden Erwerbsminderung schon in einem Rentenbescheid, einer entsprechenden Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung oder einer vorläufigen Bescheinigung der für diese Entscheidungen zuständigen Dienststellen getroffen worden ist, es sei denn, dass der behinderte Mensch ein Interesse an anderweitiger Feststellung nach Absatz 1 glaubhaft macht. Eine Feststellung nach Satz 1 gilt zugleich als Feststellung des Grades der Behinderung.
(3) Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Für diese Entscheidung gilt Absatz 1, es sei denn, dass in einer Entscheidung nach Absatz 2 eine Gesamtbeurteilung bereits getroffen worden ist.
(4) Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen im Verfahren nach Absatz 1.
(5) Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die zuständigen Behörden auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den Grad der Behinderung sowie im Falle des Absatzes 4 über weitere gesundheitliche Merkmale aus. Der Ausweis dient dem Nachweis für die Inanspruchnahme von Leistungen und sonstigen Hilfen, die schwerbehinderten Menschen nach diesem Teil oder nach anderen Vorschriften zustehen. Die Gültigkeitsdauer des Ausweises soll befristet werden. Er wird eingezogen, sobald der gesetzliche Schutz schwerbehinderter Menschen erloschen ist. Der Ausweis wird berichtigt, sobald eine Neufeststellung unanfechtbar geworden ist.