Wenn alles weh tut, heißt das lange noch nicht, dass ein höherer GdB anerkannt wird, Copyright by Adobe Stock/Prostock-studio
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Die 59-jährige Klägerin stritt im Verfahren vor dem Landessozialgericht Rheinland-Pfalz um die Höhe ihres Grades der Behinderung. Sie hatte eine Vielzahl von Beschwerden, insbesondere im Rücken, den Kniegelenken und in beiden Sprunggelenken. Außerdem gab sie im Verfahren eine Gesichtslähmung, eine Augenmigräne, Depressionen und verschiedene weitere Erkrankungen an.




Das Landesamt lehnte die Anerkennung eines Grades der Behinderung ab

Das Landesamt lehnte die Anerkennung eines Grades der Behinderung (GdB) ab. Die Klägerin erhob nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Klage beim Sozialgericht Speyer. Das Sozialgericht zog verschiedene Befundberichte bei und holte auf Wunsch der Klägerin ein chirurgisch-orthopädisches Gutachten ein.

Der Gutachter bewertete das Wirbelsäulenleiden einem Einzel-GdB von 30 und die Einschränkungen der Kniegelenke mit einem Einzel-GdB von 20. Er vertrat die Auffassung, bei der Klägerin liege ein Gesamtgrad der Behinderung von 40 vor.

Das Landesamt gab der Klage teilweise statt

Das Sozialgericht gab der Klage anschließend insofern statt, als es einen GdB von 30 feststellt. Das Landesamt war hiermit jedoch nicht einverstanden und ging in Berufung zum Landessozialgericht Rheinland-Pfalz nach Mainz.

Dort konnte die Klägerin nochmals auf Ihren Wunsch hin ein Eigengutachten einholen. Es handelte sich um ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten. Dieser Gutachter ging allerdings davon aus, dass sie ihre Beschwerden teilweise simuliere. Er bewertete die Schmerzen bei weitem niedriger als der Vorgutachter. Er stellte für das nervenfachärztliche Gebiet zwar einen Einzel-GdB von 20 fest, bewertete das Wirbelsäulenleiden aber nur mit einem Einzel-GdB von 10. Er hielt die Schmerzen der Klägerin nicht für ausreichend belegt. Der Gesamt-GdB betrage damit nur 20, so der Gutachter.

Das LSG befasste sich ausführlich mit den „Versorgungsmedizinischen Grundsätzen“

Das Landessozialgericht hat sich in diesem Verfahren ausführlich mit den sogenannten „Versorgungsmedizinischen Grundsätzen“ (VmG) befasst. Diese sind die Grundlage für die Bewertungen im Schwerbehindertenverfahren. Sie geben für verschiedene Erkrankungen aus unterschiedlichen Funktionsbereichen jeweils Einzelgrade der Behinderung vor. Diese Einzelgrade der Behinderung orientieren sich an dem Ausmaß der Funktionsstörung, die die jeweiligen Beschwerden hervorrufen.

Menschen mit Behinderungen sind nach dem Sozialgesetzbuch diejenigen Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben. Aufgrund dessen muss es wahrscheinlich sein, dass sie für mehr als sechs Monate daran gehindert sind, an der Gesellschaft gleichberechtigt teilzuhaben.

Eine solche Beeinträchtigung liege-so das LSG-vor, wenn der Körper-und Gesundheitszustand von demjenigen abweicht, der für das Lebensalter typisch sei. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft würden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Eine Feststellung sei nur zu treffen, wenn der GdB wenigstens 20 betrage.

Frühere Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit wurden übernommen

Die VmG gäben hierfür ein Regelwerk vor. Die Anlage der VmG habe die früheren Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht übernommen. Diese werde auch nach dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft regelmäßig fortentwickelt.

Die VmG enthielten einerseits die Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen. Sie bezögen sich nicht nur auf das allgemeine Erwerbsleben. Der GdB stelle ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Gesundheitsbeeinträchtigung dar.

Der GdB wird in drei aufeinander folgenden Schritten festgestellt

Der GdB werde nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in drei aufeinander folgenden Schritten festgestellt.

Im ersten Schritt würden die einzelnen, nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen niedergeschrieben. Ebenso gelte das für die Teilhabebeeinträchtigungen, die sich daraus ableiteten.

In einem zweiten Schritt seien diese Gesundheitsstörungen sodann den einzelnen Funktionssystemen zuzuordnen, die in den VmG genannt würden.

Der dritte Schritt sei schließlich die Gesamtschau aller Gesundheitsstörungen. Dort würden die wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen zueinander betrachtet. Hier komme es dann auch zur Bildung des Gesamtgrades der Behinderung.

Die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen können ineinander aufgehen

Die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen könnten dabei ineinander aufgehen. Das heiße, sie könnten sich sozusagen decken. Sie können sich jedoch auch überschneiden, sich verstärken oder aber beziehungslos nebeneinanderstehen. Bei der Gesamtwürdigung müsse immer auch ein Vergleich mit der GdB-Tabelle der VmG erfolgen.

Im ersten Schritt, in dem die einzelnen Gesundheitsstörungen festgestellt würden, dürfe das Gericht ausschließlich medizinischen Bewertungen heranziehen.

Die Bildung des Gesamtgrades der Behinderung obliegt dem Gericht

Die Bildung des Gesamtgrades der Behinderung obliege allerdings nicht dem Arzt. Sie sei Aufgabe des Gerichts. Hierbei komme es nämlich maßgebend auf die Auswirkungen an, die die Gesundheitsstörungen im Rahmen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft haben.

Bei diesem zweiten und dritten Schritt müsse das Gericht über die Verhältnisse hinaus, die ein Gutachter medizinisch zu beurteilen habe, weitere Umstände berücksichtigen. Es handele sich dabei im Wesentlichen um gesellschaftliche Umstände.

Das Gericht befasst sich ausführlich mit den einzelnen Erkrankungen der Klägerin

Das Landessozialgericht befasst sich in seiner Entscheidung ausführlich mit den einzelnen Erkrankungen der Klägerin. Im konkreten Fall legte es zunächst die Bewertungen der Gutachter zugrunde. Zum Nachteil der Klägerin ging das Gericht allerdings davon aus, dass die Klägerin ihre Beschwerden zumindest teilweise simuliert hatte. Das Gericht nahm deshalb für die einzelnen Funktionsstörungen ebenso wie der Gutachter im Berufungsverfahren geringere Grade der Behinderung an, als dies im erstinstanzlichen Verfahren geschehen war.

Das Wirbelsäulenleiden sowie die damit verbundenen Schmerzen wurden vom Landessozialgericht nun nicht mehr mit einem Einzel-GdB von 30 bewertet. Er berücksichtigte vielmehr nun nur noch mehrere Einzel-GdB-Werte von 10 bzw. 20. Daraus resultierte nach Ansicht des Gerichts ein Gesamtgrad der Behinderung von nur 20.

Der GdB ist nach den einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen zu beurteulen

Lägen mehrere Beeinträchtigungen vor - so das LSG - sei der GdB nach den einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen zu beurteilen. Dabei müssten die insgesamt angenommenen Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde gelegt und deren wechselseitige Beziehung zueinander festgestellt werden. Eine Addition der Einzel-GdB`s sei allerdings nicht zulässig. Im Rahmen einer natürlichen und an der Wirklichkeit orientierten Gesamtschau müssten dann alle Auswirkungen gewertet werden. Maßgeblich sei hier als Grundlage die Überzeugung des Gerichts.

Im Rahmen dieser Gesamtschau werde zunächst die Behinderung betrachtet, die den höchsten Einzelgrad hervorrufe. Anschließend sei dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer werde.

Einzel-GdB`s von 10 und auch von 20 führen vielfach nicht zu einer Erhöhung

Einzelgrade der Behinderung von 10 und vielfach auch solche von 20 führten vielfach nicht zu einer Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung. Im Falle der Klägerin sah das Gericht keine Veranlassung, den bei ihr festgestellten Einzelgrad der Behinderung von 20 für die Psyche bei der Bewertung zusätzlich zu berücksichtigen. Diese Erkrankung stelle keine Ausnahme dar, die den GdB erhöhen könne.

Außerdem verstärke keine weitere Beeinträchtigung die Einschränkung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft. Der Gesamtgrad der Behinderung wird vom LSG daher mit nur 20 als angemessen betrachtet.

Das Verfahren, dass die Klägerin zumindest Sozialgericht Speyer noch teilweise gewinnen konnte, ging daher leider in der Berufung verloren.

Weitergehende Informationen zu diesem Thema siehe auch:

Behindert ist man nicht, behindert wird man

Hier geht es zum Urteil

Rechtliche Grundlagen

Rehabiltitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung

(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.
(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.
(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).
Fußnote
(+++ § 2: Zur Anwendung vgl. § 211 Abs. 3 +++)