Wer Depressionen hat, für den ist die Welt oft nur schwarz-weiß. Da fehlt dann manchmal sogar die Kraft, eine adäquate Behandlung einzuleiten. Copyright by Adobe Stock/picture-waterfall
Wer Depressionen hat, für den ist die Welt oft nur schwarz-weiß. Da fehlt dann manchmal sogar die Kraft, eine adäquate Behandlung einzuleiten. Copyright by Adobe Stock/picture-waterfall

Die Klägerin des Verfahrens litt an vielen unterschiedlichen Krankheiten. Im Vordergrund ihres Beschwerdebildes standen Depressionen. Deswegen beantragte sie auch die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Der Rentenversicherungsträger lehnte ab. Das Sozialgericht gab ihrem Antrag jedoch im Wesentlichen statt.
 

Die Gutachten ergaben Möglichkeiten der Behandlung

Das Gericht holte im Verfahren ein ärztliches Gutachten ein. Daraus ergab sich, dass die psychische Krankheit der Klägerin durchaus stärker behandelt werden könnte. Nach einer erfolgreichen adäquaten Therapie sei das Leistungsvermögen der Klägerin nicht mehr so stark beeinträchtigt, dass sie keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen könne, so der Gutachter.
 
Das Gericht verurteilte die Rentenversicherung dennoch, der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit zu gewähren. Zwar sei die depressive Phase der Klägerin medikamentös behandelbar. Das wirkte sich jedoch nur für die Zukunft aus. Momentan sei die Klägerin derart erwerbsgemindert, dass sie die gewünschte Rente erhalten müsse. Die Tatsache, dass eine Behandlung das Beschwerdebild bessern könne, führe allenfalls dazu, der Klägerin nur eine Zeitrente zuzusprechen.
 

Das Gutachten im Berufungsverfahren bestätigte die psychische Erkrankung

Im nachfolgenden Berufungsverfahren ordnete das Gericht ein weiteres Gutachten an. Dieses Gutachten bestätigte, dass bei der Klägerin eine chronifizierte Panikstörung und Depressionen vorliegen. Das Gericht weist im Urteil ergänzend darauf hin, dass der Gutachter außerdem ein Vermeidungsverhalten der Klägerin diagnostiziert habe, welches diese außerstande setzte, eine adäquate Behandlung in Anspruch zu nehmen.
 
Das geschehe bei der Klägerin aber nicht bewusst. Sie simuliere nicht. Sie zeige auch keine Tendenz, ihre Krankheit zu verfälschen. Diese eindeutigen Aussagen des Gutachters ließen eine Entscheidung des Gerichts zu. Es bestehe keine Notwendigkeit, den Beschwerden, die die Klägerin geschildert habe, noch einmal intensiver nachzugehen. Die Tatsache, dass die Klägerin keine ausreichende Behandlung in Anspruch nehme, stehe einer Rentengewährung nämlich nicht entgegen.
 

Früher hatte das Gericht anders entschieden

Das Gericht halte an seiner früheren Rechtsprechung nicht mehr fest. Bislang habe es entschieden, Depressionen könnten nur dann zur Gewährung einer Rente führen, wenn diese vorher ausreichend behandelt würden. Dies käme erst dann in Betracht, wenn die depressive Symptomatik einen qualifizierten Verlauf zeige, der nicht zur vollständigen Gesundung führe.
 
Dabei müsste der Versicherte alle möglichen Behandlungsversuche sowie eine medikamentöse Behandlung eingeleitet haben. Eine Rente könne erst dann gewährt werden, wenn es dennoch zu einer ungünstigen Bewältigung der Krankheit komme, soziale Unterstützung fehle, psychische Begleiterkrankungen vorlägen und lange Arbeitsunfähigkeitszeiten aufgetreten seien.
 

Maßgeblich sind tatsächliche Beeinträchtigungen

Das Landessozialgericht fordere für eine Rentengewährung nun aber nicht mehr, dass ein*e Versichete*r sich ausreichend behandeln lasse. Ob eine psychische Erkrankung behandelt werden könne, spiele allenfalls dafür eine Rolle, ob die Rente befristet werden müsse. Maßgeblich seien die tatsächlichen Beeinträchtigungen, die das Gericht dafür heranziehen müsse, ob eine Leistungsreduzierung in zeitlicher Hinsicht vorliege.
 
Würden Möglichkeiten einer Behandlung nicht ausgeschöpft, führe das auch nach dem Gesetz nicht dazu, dass ein Rentenanspruch ausgeschlossen sei. Dies gelte nur, wenn die gesundheitlichen Beeinträchtigungen absichtlich herbeigeführt worden seien.
 

Die Anforderungen für eine Rente blieben gleich

Unterbleibe eine Behandlung, führe das nicht dazu, dass vorhandene Gesundheitsstörungen keine Krankheit wären. Dies bewerte das Gericht nun im Gegensatz zu seinen früheren Entscheidungen neu. Das ändere aber nichts an den Anforderungen für die Gewährung einer Rente. Diese blieben gleich.
 
Wenn eine adäquate Behandlung unterbleibe, stehe es dem Rentenversicherungsträger frei, den Versicherten darauf hinzuweisen, dass Versicherte eine Mitwirkungspflicht haben. Erfüllten sie diese nicht, bestünde die Möglichkeit, die beantragte Rente zu versagen oder zu entziehen.
 

Bei vorhandenem Restleistungsvermögen gibt es nur eine Zeitrente wegen verschlossenen Arbeitsmarktes

Eine solche Situation läge bei der Klägerin jedoch nicht vor. Dennoch könne das Gericht nur eine zeitlich befristete Rente zu sprechen. Dies läge daran, dass das Leistungsvermögen der Klägerin aufgrund ihrer Erkrankungen auf untervollschichtig gesunken sei. Eine vollständige Aufhebung des Leistungsvermögens sei demgegenüber noch nicht anzunehmen.
 
Damit werde die Rentenversicherung aufgrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts eine Rente zahlen müssen, die darauf zurückzuführen sei, dass der Arbeitsmarkt für Teilzeittätigkeiten als verschlossen gelte. Weil sich das theoretisch in der Zukunft jedoch wieder ändern könne, bliebe hier nur die Möglichkeit, der Klägerin die befristete Rente zuzusprechen.

Hier geht es zum Urteil

Das sagen wir dazu:

Dem Urteil des Landessozialgerichts ist im Wesentlichen zuzustimmen. Völlig zurecht hat das Gericht angenommen, dass es sehr wohl einen Unterschied macht ob sich jemand seiner Mitwirkungspflichten im Verfahren verschließt oder aber willentlich gerade eben aufgrund der vorliegenden Erkrankung nicht mehr in der Lage ist, eine angemessene Therapie einzuleiten.

Maßgeblicher Zeitpunkt

Maßgeblich für eine Rentengewährung ist immer der Zustand zum Zeitpunkt der Entscheidung im Verfahren. Liegen da Erkrankungen vor, die die Leistung beeinträchtigen, kann es keinen Unterschied machen, ob für die Zukunft erwartet werden kann, dass eine Behandlung zur Besserung führt.

Auch das Bundessozialgericht stellt nicht mehr darauf ab, welche Behandlungsmöglichkeiten gegeben sind, um die qualitative Leistungsreduzierung festzustellen. Selbst wenn ein Versicherter absichtlich eine Behandlung verweigert, ändert das nichts daran, dass die vorliegenden Gesundheitsstörungen gegeben und entsprechend zu bewerten sind.

Rechtliche Grundlagen

§ 103 SGB VI

Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, Altersrente für schwerbehinderte Menschen oder große Witwenrente oder große Witwerrente besteht nicht für Personen, die die für die Rentenleistung erforderliche gesundheitliche Beeinträchtigung absichtlich herbeigeführt haben.