Späte Hochzeit = Versorgungsehe. Copyright by Adobe Stock/IVASHstudio
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Die 1940 geborene Klägerin und der ebenfalls 1940 Versicherte lernten sich 1997 kennen. Vier Jahre später zogen sie zusammen. Anfang April 2015 heirateten sie. Beim Standesamt wurden im Juni 2014 ausgestellte Geburtsurkunden eingereicht. Sechs Jahre zuvor war bei dem Versicherten ein Prostatakarzinom diagnostiziert worden. Die Behandlung des Karzinoms verlief erfolgreich. Im Januar 2016 verstarb der Versicherte. Als Todesursachen wurden eine dekompensierte Herzinsuffizienz, eine respiratorische Insuffizienz, eine Pneumonie, eine Immobilität, eine Parkinsonkrankheit und ein Prostatakarzinom angegeben.
 

Ehefrau des Versicherten beantragt Gewährung der großen Witwenrente

Der Hausarzt des Versicherten untersuchte diesen einen Tag vor dessen Tod. Er berichtete unter anderem über ein Prostatakarzinom mit Lungenmetastasen. Nach Kenntnis des Untersuchungsberichts ging die Rentenversicherung von einer lebensbedrohlichen Erkrankung zum Zeitpunkt der Heirat aus. Der Antrag der Klägerin auf Gewährung einer großen Witwenrente wurde abgelehnt. Sie begründete dies damit, dass die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe bei der Ehedauer unter einem Jahr nicht widerlegt sei. In dem Klageverfahren trug die Klägerin vor, dass die Eheschließung schon früher beabsichtigt gewesen sei. Aber aus privaten Gründen und wegen einer aufgetretenen psychischen Erkrankung des Versicherten im Sommer 2014 sei die Hochzeit verschoben worden. Diese Gründe vermochten das Sozialgericht (SG) nicht zu überzeugen. Die Klage blieb erstinstanzlich erfolglos.
 

Klägerin legt Berufung beim Landessozialgericht ein

Anders als das erstinstanzlicher Gericht entschieden die Richter*innen des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg. Sie gingen bei ihrer Entscheidung davon aus, dass besondere Umstände vorliegen und nicht von einer Versorgungsehe auszugehen sei. Eine gewichtige Bedeutung bei der Entscheidungsfindung komme zwar dem Gesundheitszustand des Versicherten zum Zeitpunkt der Heirat zu. Da sich den Arztberichten jedoch nicht entnehmen lasse, dass er damals an einer lebensbedrohlichen Erkrankung gelitten habe, komme allein die Krebserkrankung in Betracht. Die 2013 aufgetretenen Lungenmetastasen seien mit einer Hormonablation erfolgreich behandelt worden. Der Wert für das prostataspezifische Antigen (PSA-Wert) als Verlaufsparameter sei bis zur Nachweisgrenze gesunken. Zum Zeitpunkt der Eheschließung hätten stabile Verhältnisse bestanden. Anhaltspunkte für ein Fortschreiten der Krebserkrankung seien nicht ersichtlich gewesen. Nachdem die Hormontherapie wegen der psychischen Erkrankung des Versicherten beendet war, sei der PSA-Wert nur geringfügig angestiegen. Eine Behandlungsbedürftigkeit sei nicht mehr notwendig gewesen. Die Verwirklichung des schon lange gehegten Heiratswunsches hielt das Landessozialgericht als leitendes Motiv für die Heirat für glaubhaft und ausreichend. Der Klägerin wurde die große Witwenrente zugesprochen.
 
Hier geht es zur Pressemitteilung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg, Urteil vom 09.10.2019 - L 2 R 3931/18

Rechtliche Grundlagen

§ 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2a SGB VI

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337)
§ 46 Witwenrente und Witwerrente
(1) Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten Anspruch auf kleine Witwenrente oder kleine Witwerrente, wenn der versicherte Ehegatte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Der Anspruch besteht längstens für 24 Kalendermonate nach Ablauf des Monats, in dem der Versicherte verstorben ist.

(2) Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente, wenn sie
1.
ein eigenes Kind oder ein Kind des versicherten Ehegatten, das das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erziehen,
2.
das 47. Lebensjahr vollendet haben oder
3.
erwerbsgemindert sind.
Als Kinder werden auch berücksichtigt:
1.
Stiefkinder und Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Erstes Buch), die in den Haushalt der Witwe oder des Witwers aufgenommen sind,
2.
Enkel und Geschwister, die in den Haushalt der Witwe oder des Witwers aufgenommen sind oder von diesen überwiegend unterhalten werden.
Der Erziehung steht die in häuslicher Gemeinschaft ausgeübte Sorge für ein eigenes Kind oder ein Kind des versicherten Ehegatten, das wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, auch nach dessen vollendetem 18. Lebensjahr gleich.

(2a) Witwen oder Witwer haben keinen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.

(2b) Ein Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente besteht auch nicht von dem Kalendermonat an, zu dessen Beginn das Rentensplitting durchgeführt ist. Der Rentenbescheid über die Bewilligung der Witwenrente oder Witwerrente ist mit Wirkung von diesem Zeitpunkt an aufzuheben; die §§ 24 und 48 des Zehnten Buches sind nicht anzuwenden.

(3) Überlebende Ehegatten, die wieder geheiratet haben, haben unter den sonstigen Voraussetzungen der Absätze 1 bis 2b Anspruch auf kleine oder große Witwenrente oder Witwerrente, wenn die erneute Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt ist (Witwenrente oder Witwerrente nach dem vorletzten Ehegatten).

(4) Für einen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente gelten als Heirat auch die Begründung einer Lebenspartnerschaft, als Ehe auch eine Lebenspartnerschaft, als Witwe und Witwer auch ein überlebender Lebenspartner und als Ehegatte auch ein Lebenspartner. Der Auflösung oder Nichtigkeit einer erneuten Ehe entspricht die Aufhebung oder Auflösung einer erneuten Lebenspartnerschaft.