Es kann lange dauern, bis eine Rente wegen Erwerbsminderung rückwirkend bewilligt wird.
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Es kann lange dauern, bis eine Rente wegen Erwerbsminderung rückwirkend bewilligt wird. © Adobe Stock - Von agenturfotografin

Neumann, Baujahr 1964, wurde langsam immer kränker. Zuerst hatte er gehofft, nach einem halben Jahr Arbeitsunfähigkeit ginge es vielleicht wieder. Doch die Krankenkasse sah die Erwerbsfähigkeit als erheblich gefährdet an und forderte ihn auf, einen Reha-Antrag zu stellen. Hintergrund dazu ist regelmäßig, dass die Krankenkasse natürlich lieber die Rentenkasse zahlen lassen möchte. Was Neumann nicht wusste: Ein Reha-Antrag kann in einen Rentenantrag umgedeutet werden.

 

Neumann stellt Reha-Antrag

 

Neumann beantragt am 1. Juli 2021 die Reha. Oh Wunder, er bekommt auch ziemlich schnell einen Platz. Zeitweise waren Reha-Kliniken für ihre Spontanheilungen berüchtigt, in dem sie in den Entlassungsberichten arbeitsfähig ankreuzten und so Rechtsstreite mit den Krankenkassen produzierten, weil die Betroffenen eben nicht arbeitsfähig waren. Bei Neumann ist im vorläufigen Entlassungsbericht angekreuzt: weiter arbeitsunfähig. Dann dauert es einige Wochen bis der endgültige Reha-Bericht vorliegt.

 

Laut Reha-Bericht ist Neumann nicht mehr erwerbsfähig

 

Neumann findet im Reha-Bericht die medizinische Einschätzung wieder, dass er im bisherigen Job nicht mehr als drei Stunden täglich arbeiten kann. Das hilft ihm noch nicht weiter, denn da er nicht vor 1961 geboren ist, gilt kein sog. Berufsschutz mehr. Es kommt rechtlich darauf an, ob auch Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr als drei Stunden täglich möglich sind. Auch an dieser Stelle befindet sich ein entsprechendes Kreuzchen.

 

Neumann wartet ab

 

Neumann denkt, jetzt legt die Rentenversicherung los, doch nichts passiert. Vor Corona hätte er wahrscheinlich auch eine Aufforderung bekommen, die Rentenantragsvordrucke einzureichen.

Die DRV scheint aber die Corona-Zeit besonders schlecht vertragen zu haben, denn alles dauert ewig.

Neumann bekommt Krankengeld, das ist deutlich höher als die erwartete Rente und er wartet weiter ab.

Die Krankenkasse hat ihm etwa drei Monate vor Ablauf des Anspruchs (18 Monate inklusive Entgeltfortzahlung) mitgeteilt, dass er sich für die Zeit danach arbeitslos melden muss.

 

Arbeitsagentur bewilligt ALG

 

Arbeitslosengeld ist weniger als Krankengeld, es liegt immer noch ein bisschen über der Höhe der Erwerbsminderungsrente, wie sie ihm im letzten Jahr mitgeteilt wurde.

Trotzdem sehnt sich Neumann nach Ruhe und er stellt jetzt seinerseits den Antrag auf Erwerbsminderungsrente.

 

DRV bewilligt rückwirkend Erwerbsminderungsrente

 

Es dauert und dauert und dann muss Neumann noch Fragen zum Hinzuverdienst beantworten.

Danach passiert wieder nichts, er gibt die Unterlagen nochmals persönlich an der Rentenstelle ab, doch zwei Wochen später bekommt er eine Erinnerung, wonach die Vordrucke nicht vorlägen.

Nach ein paar Telefonaten muss eingeräumt werden, dass die Unterlagen längst vorliegen, aber wegen Rückstau in der Bearbeitung noch nicht im System erfasst wurden.

Und dann noch zwei Wochen später ist der Rentenbescheid da.

 

Der Rentenbescheid

 

Der Rentenbescheid beschreibt, welche Rente bewilligt wird, ab wann, ob befristet und in welcher Höhe. Bei Neumann sind es netto 1.400 €, die laufende Zahlung beginnt Ende Septembern 2022.

Dann wird eine Nachzahlung ausgewiesen. Dabei wurde schon der Zeitraum berücksichtigt, in dem er Übergangsgeld bekommen hatte. Das wird tagaktuell abgerechnet. Da Übergangsgeld höher war als die Rente, kann er den höheren Betrag behalten, Neumann muss nichts zurückzahlen und es wird auch nicht mit anderen Monaten verrechnet. Daraus ergibt sich der Nachzahlungsbetrag.

 

Abrechnung der Nachzahlung

 

Die Rente wurde rückwirkend ab dem 1. Juli 2021 bewilligt. Wenn laufend ab September bewilligt wird, ist also eine Nachzahlung von 14 Monaten abzüglich des einen Monats Übergangsgeld ermittelt worden, also 18.200 € (13 x 1.400 €). In diesen 13 Monaten hat Neumann zunächst noch zehn Monate Krankgengeld in Höhe von monatlich 1.800 € erhalten. Daher geht der Anteil der Nachzahlung für diese Monate komplett an die Krankenkasse, die damit nur auf der Differenz von 400 € im Monat sitzenbleibt. Ebenso läuft es mit der Agentur für Arbeit. Dort hat er 1.600 € bekommen, die Agentur kriegt pro Monat 1.400 € zurück und die Differenz von 200 € im Monat kann Neumann ebenfalls behalten. Aus der Nachzahlung bleibt also hier nichts mehr zur Auszahlung. Für Neumann lief diesmal die lange Bewilligungszeit zu seinen Gunsten, da er das zu viel erhaltene Geld behalten kann.

 

Verzinsung

 

Nachzahlungsbeträge sind nach § 44 SGB I zu verzinsen. Da bei Neumann keine Nachzahlung verbleibt, kommt es nicht in Betracht.

Aber in Fällen, in denen nachgezahlt wird, sollte ein Blick drauf geworfen werden, ob die Verzinsung erfolgt.

 

Progressionsvorbehalt in der Einkommensteuererklärung

 

Neumann machte sonst seine Steuererklärung einfach selbst. Er hat auch so viel herausgefunden, bzw. aus den Bescheinigungen gelesen, dass Arbeitslosen-/Übergangs-/ und Krankengeld steuerfrei sind, aber dem Progressionsvorbehalt unterliegen. Vereinfacht gesagt erhöhen solche Leistungen den Steuersatz.

Aus den anderen Einkünften wird vom Finanzamt runtergerechnet auf ein zu versteuerndes Einkommen. Ohne die Leistungen schaut man bei Neumann in die Grundtabelle und kann dann aus der Tabelle die Steuer ablesen, die Neumann als Jahressteuer bezahlen muss. Was vom Lohn einbehalten wurde, wird dann angerechnet. Bei der Progression nimmt man das zu versteuernde Einkommen, addiert die Leistungen und schaut in die Tabelle. Man nimmt nicht den Betrag, denn dann hätte man die Leistung ja voll versteuert, sondern ermittelt den Steuersatz in Prozenten.

Der Steuersatz steigt mit dem Einkommen und das in einer Kurve. Sagen wir in unserem Beispiel sind es 15 %. Das vorher ermittelte zu versteuernde Einkommen wird dann mit diesen 15 % versteuert. Ohne die Progression wären es vielleicht nur 10 % gewesen.

 

Renten in der Einkommensteuererklärung

 

Renten werden besteuert, das hat Neumann schon mitbekommen. Hintergrund ist dazu, dass auf der einen Seite Beträge für die Altersvorsorge in einem immer höheren Prozentsatz von der Steuer während des Erwerbslebens abgesetzt werden können, in gleicher Weise steigt aber der Anteil der Rente, der besteuert wird. Wer im Jahr 2021 Rentner wird, bei dem beträgt der sogenannte Ertragsanteil der Rente 81 %. Der bleibt während des ganzen Rentnerlebens gleich hoch. Zur Vereinfachung auf das Jahr erläutert: Die Rente ist brutto 1.800 € x 12 Monate = 21.600 €. Es muss aber nicht 100% versteuert werden, sondern 81 % = 17.496 €. Davon gehen noch ein paar Beträge runter und die Steuertabelle fängt erst bei 10.000 an, so dass Steuern anfallen, aber in geringem Maße.

 
Was ist mit der rückwirkenden Bewilligung?

 

Im Steuerrecht gilt grundsätzlich das Zuflussprinzip. Das heißt hier aber nicht, dass die rückwirkende Rente keine Rolle spielt. Der Bundesfinanzhof hat mit seiner Entscheidung vom 9.12.2015 (Az. XR 30/14) eine klare Leitlinie vorgegeben. Aufgrund der Überleitungsansprüche nach § 107 SGB der Krankenkasse und der Agentur für Arbeit tritt die Rente an die Stelle von Kranken- und Arbeitslosengeld in Höhe des Erstattungsanspruchs. D.h. Neumann muss in seiner Steuererklärung Rente ab dem 1.7.2021 auf der Anlage R angeben.

 

Neumann meint, das sind doch dann Zahlungen für mehrere Jahre, so dass diese als außerordentliche Einkünfte der sog. Fünftelregelung nach § 34 EStG unterworfen werden müssten. Dem hat das Finanzgericht Münster mit Entscheidung vom 19.9.2019 (Az. 5 K 371/19 E) eine Absage erteilt.

Die Zahlungen, die er darüber hinaus durch Arbeitslosen-/ Kranken- und Übergangsgeld bekommen hat, sind im Mantelbogen anzugeben.

Wenn Neumann schon seinen Steuerbescheid vom letzten Jahr hat, dann wird trotz Bestandskraft quasi rückabgewickelt, also nach diesem Prinzip vorgegangen.

Das sagen wir dazu:

Die rückwirkende Gewährung fand in der Vergangenheit meist nur bei langen Gerichtsverfahren um eine Erwerbsminderungsrente statt. Wegen allseits verlängerten Verfahrenszeiten, lange Wartezeiten auf Gutachtertermine etc. kommt es nun gehäuft dazu. Da bezogene Leistungen nur in Höhe der Rente rückabgewickelt werden, ist die Verfahrensverlängerung bei Neumann letztlich zu seinen Gunsten, weil nur die Rentennachzahlung verrechnet, er aber nichts zurückzahlen muss.

Fatal wird es, wenn Betroffene in Hartz IV abrutschen und letztlich noch zwei Behörden Leistungen erbringen müssen, nur, weil es bei der DRV so lange dauert.