Die Klägerin und der verstorbene Versicherte lernten sich im Jahr 2002 kennen. Der Versicherte erkrankte 2010 an Krebs. Im Mai 2011 wurden fortschreitende Knochenmetastasen festgestellt. Im September 2011 heirateten die Klägerin und der Versicherte.

Kein Anspruch auf Hinterbliebenenrente bei unterjähriger Ehe

Der Versicherte verstarb knapp ein halbes Jahr später im Februar 2012. Die Klägerin beantragte im März 2012 Witwerrente. Diese wurde jedoch von der Beklagten abgelehnt.
Hinterbliebene haben keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.
Die gegen den negativen Bescheid der Rentenversicherung erhobene Klage war erfolglos. Zur Überzeugung der 17. Kammer des Sozialgericht Stuttgart war nicht nachgewiesen, dass die Ehe mit dem Versicherten aus anderen als aus Versorgungsgründen geschlossen worden ist.

Ausnahmsweise Witwenrente, wenn Ehe nicht nur zu Versorgung geschlossen wurde

Dies ergebe sich daraus, dass der Versicherte zum Zeitpunkt der Eheschließung aufgrund der Metastasierung unzweifelhaft an einer lebensbedrohlichen Erkrankung gelitten habe.
Um die gesetzliche Vermutung der Versorgungsabsicht zu widerlegen, sei die nachvollziehbare Hoffnung der Klägerin und des Versicherten auf eine eventuelle Heilung oder einen möglichst mehrjährigen Krankheitsverlauf nicht ausreichend

Langjährige Liebesbeziehung begründet keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente

Allerdings, so die Stuttgarter Sozialrichter*innen, können die Dauer des vorherigen nichtehelichen Lebensverhältnisses und das Bestehen einer Liebesbeziehung ein mögliches Indiz dafür sein, dass keine Versorgungsehe gegeben sei.
Ein besonderer, gegen eine Versorgungsehe sprechender Umstand liege jedoch nicht darin, dass die Klägerin und der Versicherte schon seit einigen Jahren in häuslicher Gemeinschaft lebten.
Dieser Umstand spreche vielmehr eher umgekehrt dafür, dass alleiniger oder überwiegender Zweck der Ehe gewesen sei, der Klägerin eine Versorgung zu verschaffen. Denn einem langjährigen Zusammenleben "ohne Trauschein" liege die langjährige bewusste Entscheidung zu Grunde, eben nicht zu heiraten und damit nicht den vielfältigen gesetzlichen Regelungen, die für Eheleute gelten, zu unterliegen.

Hier finden Sie die Pressemitteilung des Sozialgerichts Stuttgart vom 16.08.2017 zum Urteil vom 20.10.2016, S 17 R 2259/14 

Lesen Sie auch unseren Beitrag zu einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg vom 15.06.2016: „Heirat erst zwei Monate vor dem Tod des Mannes, dennoch Anspruch auf Witwengeld“

Das sagen wir dazu:

„Versorgungsehe“ kann Witwen- oder Witwerrente ausschließen!

Der Anspruch auf eine Witwen- oder Witwerrente kann dann ausgeschlossen werden, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr bestanden hat (§ 46 Abs. 2a Sozialgesetzbuch (SGB) VI. Dies gilt nur dann nicht, wenn nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. 

Seit 1.1.2005 gilt die auch für eingetragene Lebenspartnerschaften.

Durch besondere Umstände, wie zum Beispiel Unfalltod, kann die rechtliche Vermutung, dass eine Ehe/Lebenspartnerschaft von weniger als einem Jahr zum Zweck der Erlangung einer Hinterbliebenenversorgung geschlossen/begründet wurde, widerlegt werden

Für die Widerlegung der rechtlichen Vermutung „Versorgungsehe" kommt es auf die Beweggründe beider Ehegatten/Lebenspartner an. Wenn neben dem Versorgungsgedanken auch andere, objektiv beweis- und nachvollziehbare Gründe zumindest in gleichem Maße für die Eheschließung/Begründung der Lebenspartnerschaft ausschlaggebend waren, so reicht dies für die Widerlegung der Vermutung aus. 

Die rechtliche Vermutung kann auch dadurch widerlegt werden, dass nur für einen der Ehegatten/Lebenspartner die Versorgungsabsicht im Vordergrund stand.

Auskunft des behandelnden Arztes/Gutachters kann Entscheidungsgrundlage begründen

Der Auskunft des behandelnden Arztes kommt bei der Beurteilung und Prognose einer Erkrankung erhebliche Bedeutung zu.

Letztendlich wird es am behandelnden Arzt und/oder ggfs. Gutachter liegen, wie die Frage beantwortet wird, ob im Zeitpunkt der Eheschließung/Begründung der Lebenspartnerschaft tatsächlich noch nicht vorhersehbar war, dass eine Erkrankung in absehbarer Zeit zum Tode führen würde?

Rechtliche Grundlagen

§ 46 Abs. 2a Sozialgesetzbuch (SGB) VI



§ 46 SGB VI Witwenrente und Witwerrente
(1) Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten Anspruch auf kleine Witwenrente oder kleine Witwerrente, wenn der versicherte Ehegatte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Der Anspruch besteht längstens für 24 Kalendermonate nach Ablauf des Monats, in dem der Versicherte verstorben ist.
(2) Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente, wenn sie

1.
ein eigenes Kind oder ein Kind des versicherten Ehegatten, das das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erziehen,
2.
das 47. Lebensjahr vollendet haben oder
3.
erwerbsgemindert sind.

Als Kinder werden auch berücksichtigt:
1.
Stiefkinder und Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Erstes Buch), die in den Haushalt der Witwe oder des Witwers aufgenommen sind,
2.
Enkel und Geschwister, die in den Haushalt der Witwe oder des Witwers aufgenommen sind oder von diesen überwiegend unterhalten werden.

Der Erziehung steht die in häuslicher Gemeinschaft ausgeübte Sorge für ein eigenes Kind oder ein Kind des versicherten Ehegatten, das wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, auch nach dessen vollendetem 18. Lebensjahr gleich.

(2a) Witwen oder Witwer haben keinen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.

(2b) Ein Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente besteht auch nicht von dem
Kalendermonat an, zu dessen Beginn das Rentensplitting durchgeführt ist. Der Rentenbescheid über die Bewilligung der Witwenrente oder Witwerrente ist mit Wirkung von diesem Zeitpunkt an aufzuheben; die §§ 24 und 48 des Zehnten Buches sind nicht anzuwenden.

(3) Überlebende Ehegatten, die wieder geheiratet haben, haben unter den sonstigen Voraussetzungen der Absätze 1 bis 2b Anspruch auf kleine oder große Witwenrente oder Witwerrente, wenn die erneute Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt ist (Witwenrente oder Witwerrente nach dem vorletzten Ehegatten).

(4) Für einen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente gelten als Heirat auch die Begründung einer Lebenspartnerschaft, als Ehe auch eine Lebenspartnerschaft, als Witwe und Witwer auch ein überlebender Lebenspartner und als Ehegatte auch ein Lebenspartner. Der Auflösung oder Nichtigkeit einer erneuten Ehe entspricht die Aufhebung oder Auflösung einer erneuten Lebenspartnerschaft.