Wer abhängig beschäftigt ist, unterliegt in der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich der Sozialversicherungspflicht. Das heißt, sie/er ist in der gesetzlichen Rentenversicherung und der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung pflichtversichert. Das ist ein Segen, auch wenn neoliberale Geschöpfe diese Pflicht für „Bevormundung“ oder „Paternalismus“ halten.

Die Pflichtversicherung dient vor allem dem Schutz von Menschen, die gezwungen sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen oder zum Überleben auf staatliche Transferleistungen angewiesen sind. Wer selbstständig ist oder von seinem Reichtum lebt, unterliegt nicht der Sozialversicherungspflicht. Die Pflicht zur Krankenversicherung stellt im Übrigen einen Sonderfall dar, der hier nicht zur Erörterung ansteht.

Viele Arbeitgeber*innen versuchen, sich aus ihrer Verantwortung zu stehlen

Was die Sache letztlich doch etwas komplizierter macht, ist die Frage, was eigentlich „abhängig beschäftigt“ genau heißt. Das zeigen die vielen Fälle sogenannter „Scheinselbstständigkeit“. Arbeitgeber*innen versuchen, sich aus ihrer Verantwortung zu stehlen, indem sie eigentlich weisungsgebundene Arbeit „outsourcen“ und angeblich selbstständigen Subunternehmern übertragen. Das kann dann schon einmal der Koch sein, der über die Speisekarte selbstständig entscheidet oder der Taxifahrer, der seine Arbeitszeit selbstbestimmt oder der Maurer, der seine eigene Kelle mit auf die Baustelle nimmt.

Für Arbeitgeber*innen hat es – im Gegensatz zu den Beschäftigten – viele Vorteile, wenn diese rechtlich keine Arbeitnehmer*innen sind: kein Kündigungsschutz, kein bezahlter Urlaub und keine Entgeltfortzahlung bei Krankheit, um nur die wichtigsten Pflichten zu nennen. Darüber hinaus besteht eben auch keine Sozialversicherungspflicht und der Arbeitgeber muss keine anteiligen Beträge zur Arbeitslosen-, Renten- und Krankenversicherung leisten.

Entscheidend ist, wie die vertragliche Beziehung tatsächlich gelebt wird

Ob allerdings jemand abhängig beschäftigt ist, ergibt sich nicht nur und auch nicht in erster Linie aus dem Vertrag, der dem Beschäftigungsverhältnis zugrunde liegt und schon gar nicht daraus, wie die Partner diesen Vertrag bezeichnen. Entscheidend ist vielmehr, wie die Beziehung tatsächlich gelebt wird. Nicht was draufsteht ist entscheidend, sondern was darin ist. Und das entscheiden im Zweifel die Gerichte.

Im Sozialrecht ist insoweit der § 7 des 4. Sozialgesetzbuches (§ 7 SGB IV) maßgeblich: danach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.

Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg musste kürzlich darüber entscheiden, ob der Chefdirigent des Philharmonieorchesters der Stadt Konstanz sozialversicherungspflichtig beschäftigt oder selbstständig ist.

Die Rentenversicherung ist der Meinung, der Chefdirigent leiste abhängige Arbeit

Seit September 2016 leitet ein ausgebildeter Violinist und Dirigent als Chefdirigent das Philharmonieorchester der Stadt Konstanz auf der Grundlage eines 5-jährigen Dirigentenvertrages. Ende September 2016 beantragte die Stadt Konstanz bei der Rentenversicherung, den sozialversicherungsrechtlichen Status des Chefdirigenten festzustellen. 

Mit Bescheid vom Januar 2017 stellte die Rentenversicherung ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis des Dirigenten zur Stadt Konstanz fest, denn er habe den organisatorischen Rahmen einzuhalten, der durch die Stadt einseitig vorgegeben werde. Laut Dirigentenvertrag habe die Stadt die Rechtsmacht, die Durchführung der Beschäftigung einseitig zu bestimmen. Ein unternehmerisches Risiko trage der Dirigent nicht.

Die Stadt hatte gegen diese Statusfeststellung erfolgreich Klage beim Sozialgericht erhoben. Dieses stellte fest, dass die Tätigkeit als Chefdirigent bei der Stadt nicht der Versicherungspflicht unterliegt. Nach Gesamtabwägung aller Umstände sei der Dirigent selbständig für die Stadt tätig.

Die Rentenversicherung akzeptierte das Urteil indessen nicht und legte Berufung beim LSG ein. Dieses bestätigte jetzt allerdings das Urteil der ersten Instanz.

Im vorliegenden Fall überwiegen die Indizien, die für Selbstständigkeit sprechen

Das LSG führte in seiner Begründung aus, dass die Tätigkeit eines Dirigenten grundsätzlich sowohl als Beschäftigung als auch im Rahmen eines freien Dienstverhältnisses ausgeübt werden könne.  Im vorliegenden Fall überwögen jedoch die Indizien, die für eine selbständige Tätigkeit als Chefdirigent des Philharmonieorchesters sprächen. 

Insbesondere fehle es in wesentlichen Bereichen an einem Weisungsrecht der Stadt Konstanz gegenüber dem Chefdirigenten und an einer relevanten betrieblichen Eingliederung. Der Dirigent trage das volle Ausfallrisiko, dass Konzerte nicht zur Aufführung gebracht werden könnten. Könne er die Konzerte, für die er unter Umständen über Monate hinweg mit dem Orchester geprobt habe, aus welchen Gründen auch immer nicht aufführen, gingen ihm rund 80 Prozent seines Honorars verloren. 

Der Chefdirigent lege auch die Konzerttermine fest und träfe letztlich die Entscheidung über die Probentermine. An Arbeitszeiten sei er nicht gebunden. 

Der Chefdirigent ist nicht in den Betrieb der Stadt eingegliedert

Nur etwa ein Drittel der von ihm international dirigierten Konzerte erbringe er im Auftrag der Stadt. Zudem trete er werbend am Markt auf und bediene sich eines Managements. 

Die Stadt habe außerdem nur ein Vetorecht bei der Auswahl von Stücken, die nicht im Einklang mit dem Charakter oder den finanziellen Mitteln der Philharmonie stünden. Im Übrigen habe sie hiervon auch keinen Gebrauch gemacht. 

Der Chefdirigent habe auch nicht die Rolle eines Vorgesetzten eingenommen, indem er bezüglich unpünktlicher Orchestermitglieder zusammen mit der Stadt nach „Lösungen“ gesucht habe.

Er sei auch nicht deshalb in den Betrieb der Stadt eingegliedert, weil er sich vertraglich verpflichtet habe, die Philharmonie bei drei der Stadt Konstanz wichtigen Veranstaltungen zu repräsentieren. 

Eine solche Vereinbarung sei dem Umstand geschuldet, dass sich die Stadt mit der Verpflichtung des Dirigenten als international renommierten Künstler „eine Marke eingekauft“ habe, mit der sie nach außen hin wahrgenommen werden und Werbung machen möchte.

Hier geht es zur Pressemitteilung des LSG Baden-Württemberg:

Praxistipp: § 7 Sozialgesetzbuch IV

Rechtliche Grundlagen

§ 7 Sozialgesetzbuch IV (SGB IV)

§ 7 Sozialgesetzbuch IV (SGB IV)
Beschäftigung

(1) Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.

(1a) Eine Beschäftigung besteht auch in Zeiten der Freistellung von der Arbeitsleistung von mehr als einem Monat, wenn


1. während der Freistellung Arbeitsentgelt aus einem Wertguthaben nach § 7b fällig ist und
2. das monatlich fällige Arbeitsentgelt in der Zeit der Freistellung nicht unangemessen von dem für die vorausgegangenen zwölf Kalendermonate abweicht, in denen Arbeitsentgelt bezogen wurde.

Satz 1 gilt entsprechend, wenn während einer bis zu dreimonatigen Freistellung Arbeitsentgelt aus einer Vereinbarung zur flexiblen Gestaltung der werktäglichen oder wöchentlichen Arbeitszeit oder dem Ausgleich betrieblicher Produktions- und Arbeitszeitzyklen fällig ist. Beginnt ein Beschäftigungsverhältnis mit einer Zeit der Freistellung, gilt Satz 1 Nummer 2 mit der Maßgabe, dass das monatlich fällige Arbeitsentgelt in der Zeit der Freistellung nicht unangemessen von dem für die Zeit der Arbeitsleistung abweichen darf, mit der das Arbeitsentgelt später erzielt werden soll. Eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt besteht während der Zeit der Freistellung auch, wenn die Arbeitsleistung, mit der das Arbeitsentgelt später erzielt werden soll, wegen einer im Zeitpunkt der Vereinbarung nicht vorhersehbaren vorzeitigen Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses nicht mehr erbracht werden kann. Die Vertragsparteien können beim Abschluss der Vereinbarung nur für den Fall, dass Wertguthaben wegen der Beendigung der Beschäftigung auf Grund verminderter Erwerbsfähigkeit, des Erreichens einer Altersgrenze, zu der eine Rente wegen Alters beansprucht werden kann, oder des Todes des Beschäftigten nicht mehr für Zeiten einer Freistellung von der Arbeitsleistung verwendet werden können, einen anderen Verwendungszweck vereinbaren. Die Sätze 1 bis 4 gelten nicht für Beschäftigte, auf die Wertguthaben übertragen werden. Bis zum 31. Dezember 2024 werden Wertguthaben, die durch Arbeitsleistung im Beitrittsgebiet erzielt werden, getrennt erfasst; sind für die Beitrags- oder Leistungsberechnung im Beitrittsgebiet und im übrigen Bundesgebiet unterschiedliche Werte vorgeschrieben, sind die Werte maßgebend, die für den Teil des Inlandes gelten, in dem das Wertguthaben erzielt worden ist.

(1b) Die Möglichkeit eines Arbeitnehmers zur Vereinbarung flexibler Arbeitszeiten gilt nicht als eine die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber begründende Tatsache im Sinne des § 1 Absatz 2 Satz 1 des Kündigungsschutzgesetzes.

(2) Als Beschäftigung gilt auch der Erwerb beruflicher Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen im Rahmen betrieblicher Berufsbildung.

(3) Eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt gilt als fortbestehend, solange das Beschäftigungsverhältnis ohne Anspruch auf Arbeitsentgelt fortdauert, jedoch nicht länger als einen Monat. Eine Beschäftigung gilt auch als fortbestehend, wenn Arbeitsentgelt aus einem der Deutschen Rentenversicherung Bund übertragenen Wertguthaben bezogen wird. Satz 1 gilt nicht, wenn Krankengeld, Krankentagegeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld, Übergangsgeld, Pflegeunterstützungsgeld oder Mutterschaftsgeld oder nach gesetzlichen Vorschriften Erziehungsgeld oder Elterngeld bezogen oder Elternzeit in Anspruch genommen oder Wehrdienst oder Zivildienst geleistet wird. Satz 1 gilt auch nicht für die Freistellung nach § 3 des Pflegezeitgesetzes.

(4) Beschäftigt ein Arbeitgeber einen Ausländer ohne die nach § 284 Absatz 1 des Dritten Buches erforderliche Genehmigung oder ohne die nach § 4a Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit, wird vermutet, dass ein Beschäftigungsverhältnis gegen Arbeitsentgelt für den Zeitraum von drei Monaten bestanden hat.