1,3 Millionen Rentnerinnen und Rentner werden ab Januar 2021 einen Zuschuss zu ihrer Rente bekommenCopyright by Adobe Stock/wavebreak3
1,3 Millionen Rentnerinnen und Rentner werden ab Januar 2021 einen Zuschuss zu ihrer Rente bekommenCopyright by Adobe Stock/wavebreak3

Wer in Deutschland abhängig beschäftigt ist und nicht nur geringfügig verdient, ist auch in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert. Die Vorgängerin der Deutschen Rentenversicherung (DRV) wurde durch den Reichstag bereits zum 1. Januar 1891 im Kaiserreich als Rentenversicherung der Arbeiter (RV) eingeführt. Von Anfang an mussten Arbeitnehmer Beiträge für die Rentenversicherung zahlen.

 

 

 

Der Generationenvertrag dient dazu, die Lebensleistung von Menschen zu würdigen

Seit 1957 finanziert sich die Rentenversicherung nach dem sogenannten „Umlagesystem“. Die Rentenversicherung bildet keine Rücklagen mehr. Von den Beiträgen, die jeweils zur Hälfte von dem Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen zu leisten sind, zahlt die DRV die aktuellen Renten. Das ist der sogenannte „Generationenvertrag“: die aktive Generation der Arbeitnehmer*innen versorgt die ältere Generation, die ihrerseits zuvor eine noch ältere Generation versorgt hat.
Hinter alledem steht ein Versprechen: wer ein Großteil seines Lebens gearbeitet und in die Rentenversicherung eingezahlt hat, soll im Alter gut versorgt sein. Dabei sollen auch diejenigen nicht benachteiligt werden, die Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt haben. Ein solches Versprechen ist kein Ausdruck großer Güte, sondern angesichts der vom Grundgesetz gewährten ewigen Unantastbarkeit der Menschenwürde für unser Land eine Pflicht.

Viele Menschen arbeiten jahrzehntelang voll und können von der Rente nicht leben

Soweit die Theorie. Bereits heute beziehen Millionen Rentner*innen in Deutschland eine so geringe Rente, dass sie beim Sozialamt zusätzlich Grundsicherung beantragen müssen. Die bekommen sie allerdings nur nachdem das Amt geprüft hat, ob sie überhaupt bedürftig sind. Von vielen wird verlangt, dass sie zuerst ihr Hausgrundstück, ihr Auto oder weiteres Vermögen verwerten, bevor der Staat ihnen eine Grundsicherungsrente gewährt.
Angesichts vieler Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt steht zu befürchten, dass in Zukunft noch viel mehr Menschen betroffen sein werden. Viele Experten gehen davon aus, dass das Rentenniveau bis 2045 von 47,8 auf 41,6 Prozent sinken wird. Das Bruttorentenniveau gibt an, in welchem Verhältnis die durchschnittliche Bruttorente zum durchschnittlichen Bruttoverdienst der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten steht.

Auch die „Helden des Alltags“ werden schnell wieder vergessen

Unter denen, die heute schon eine Rente unterhalb Ihres Bedarfs beziehen, gehören viele derjenigen Menschen, die wir in der Corona-Krise als „Helden des Alltags“ oder als „systemrelevant“ bezeichnet haben: Altenpfleger*innen, Verkäufer*innen und viele mehr.
Wer jahrzehntelang in die Rentenversicherung eingezahlt hat, soll im Alter auch etwas davon haben, fand jetzt die Bundesregierung und brachte einen Gesetzentwurf in den Bundestag ein, der freilich einen Kompromiss darstellt. Obwohl die Einführung einer Grundrente bereits im Koalitionsvertrag beschlossen gewesen ist, gab es jahrelanges unwürdiges Gerangel um die Frage, ob eine Grundrente eine Bedürftigkeitsprüfung voraussetzen soll. Die Unionsparteien haben darauf bestanden.

Die Bedürftigkeitsprüfung bei der Grundrente verhöhnt die Lebensleistung der Betroffenen

Wobei den Koalitionären hätte eigentlich auffallen müssen, dass es bei einer Rente, die insbesondere die Lebensleistung von Menschen würdigen soll, Bedürftigkeit keine Rolle spielen kann. Wenn ein Entgelt eine Gegenleistung für eine Leistung darstellt, wird es niemals nur dann gezahlt, wenn und insoweit der potenzielle Empfänger bedürftig ist. Schließlich bekommt Herr Seehofer sein Ministergehalt auch nicht nur insoweit er bedürftig ist.
Der Kompromiss, der jetzt herumgekommen ist, verdient den Namen „Grundrente“ nur sehr bedingt. Man vermeidet den Begriff „Bedürftigkeitsprüfung“ und nennt dieselbe jetzt „Einkommensprüfung“, die sowohl für die Versicherten als auch für die Verwaltung unbürokratisch ausgestaltet und daher verwaltungsintern möglichst automatisiert durchgeführt werden soll. In der Praxis wird es einen Datenabgleich zwischen DRV und den Finanzämtern geben.

Ein Antrag ist nicht nötig

Eine Grundrente braucht also niemand zu beantragen. Mit der Berechnung der gesetzlichen Rente stellt die DRV fest, ob die Rente, die sich aus den Beitragszeiten errechnet so niedrig ist, dass sie durch einen Zuschuss aufgestockt werden muss, der aus Steuergeldern finanziert wird.
Um das Prinzip richtig zu verstehen, muss man sich zunächst einmal anschauen, wie die gesetzliche Rente eigentlich berechnet wird. Anschaulich und vereinfacht kann man das darstellen, wenn man einen Rentner betrachtet, bei dem nur das beitragspflichtige Einkommen eine Rolle spielt (Also keine Arbeitslosigkeit, längere Krankheit, Studium ect.).
Es werden zunächst für jedes Jahr, in dem er beschäftigt war, Entgeltpunkte berechnet. Das persönliche Jahreseinkommen des Rentners wird geteilt und das Durchschnittseinkommen aller Versicherten des gleichen Kalenderjahres. Allerdings wird das persönliche Jahreseinkommen nur bis zur Höhe der Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigt. Klar, für den r Rest zahlt der betroffene ja auch keine Beiträge.

Entscheidend sind die Entgeltpunkte

Wenn also das Einkommen in einem Kalenderjahr genau dem Durchschnittsverdienst der gesetzlich Versicherten entsprochen hat, bekommt der Rentner für dieses Jahr einen Entgeltpunkt.  Hat er nur halb so viel verdient 0,5 Entgeltpunkte.
Die Entgeltpunkte eines jeden Jahres werden addiert. Wer also etwa 40 Jahre lang immer genau den Durchschnittsverdienst hatte, erreicht am Ende 40 Entgeltpunkte. Wer immer nur die Hälfte verdient hat, 20 Entgeltpunkte. In der Praxis kommt es kaum vor, dass ein Beschäftigter jedes Jahr im gleichen Verhältnis zum Durchschnittsverdienst Einkommen hat. Deshalb müssen Entgeltpunkte für jedes Jahr getrennt berechnet und am Schluss addiert werden. Wie die DRV das gemacht hat, kann jede*r Rentner*in aus dem Versicherungsverlauf entnehmen, der dem Rentenbescheid beigefügt ist.
Die Entgeltpunkte werden dann mit dem sogenannten „aktuellen Rentenwert“ multipliziert. Das ist ein Wert, der jedes Jahr zum 1. Juli an die Lohnentwicklung angepasst wird. Derzeit gibt es für die westlichen und östlichen Bundesländer noch zwei aktuelle Rentenwerte. Seit dem ersten Juli 2020 beträgt er für Westdeutschland 34,19 Euro und für Ostdeutschland 33,23 Euro.

Anspruch auf Grundrente hat, wer mindestens 33 Jahre rentenversicherungspflichtig war und im Schnitt nur 30 und 80 Prozent des Durchschnittsverdienstes hatte

Aus dieser Rechnung ergibt sich dann die monatliche Rente. Ein westdeutscher Rentner mit 40 Entgeltpunkten bekommt als eine Monatsrente in Höhe von 40 mal 34,19 Euro, also 1.367,60 Euro brutto, sein ostdeutscher Kollege 40 mal 33,23 Euro, also 1.329,20 brutto.
Anspruch auf Grundrente hat jetzt, wer mindestens 33 Jahre gearbeitet, Kinder erzogen und Angehörige gepflegt, aber im Durchschnitt wenig verdient hat. Der Durchschnitt aller erworbenen Entgeltpunkte muss zwischen 30 und 80 Prozent des Durchschnittsverdienstes liegen (zwischen 0,3 und 0,8 Entgeltpunkte). Diese Entgeltpunkte werden dann verdoppelt - maximal auf 0,8 Entgeltpunkte. Anschließend wird der Wert um 12,5 Prozent verringert.
Das klingt kompliziert, lässt sich aber mit einem Beispiel anschaulicher machen:

Ein hypothetischer Fall aus Westdeutschland

Ernst Harms (dahinter verbirgt sich keine reale Person) ist Rentner, nachdem er 34 Jahre lang gearbeitet und in die Rentenversicherung eingezahlt hat. Leider wurde er als Lagerarbeiter in einem Unternehmen, das Lebensmittel vertreibt  - obwohl systemrelevant- sehr schlecht bezahlt. Nehmen wir an, er hat jährlich nur 70 Prozent des Durchschnittsverdienstes bekommen. Damit hätte er nur 23,8 Entgeltpunkte erreicht. Seine gesetzliche Rente beträgt nach bisherigem Recht also 813,72 Euro brutto (23,8 x 34,19 Euro), wenn er in Westdeutschland lebt.
Da er 34 Jahre gearbeitet und zwischen 30 und 80 Prozent des Durchschnittsverdienstes verdient hat, hat er grundsätzlich Anspruch darauf, dass seine gesetzliche Rente auf die „Grundrente“ erhöht wird. Dazu folgende Rechnung:
durchschnittliche Entgeltpunkte (EP): 0,7
 
Rente aus eigener Beitragsleistung:
34 Jahre x 0,7 EP x  34,19 Euro (Rentenwert West) = 813,72  Euro
 
Grundrentenzuschlag:
34 Jahre x 0,1 EP x 34,19 Euro (Rentenwert West)  - 12,5 % = 101,72 Euro
 
Die Gesamtrente beträgt also im Monat 813,72  Euro plus 101,72 Euro = 915,44 Euro.
Die Entgeltpunkte werden in diesem Fall nicht verdoppelt, da die Grenze bei 0,8 EP liegt.

Ein hypothetischer Fall aus Ostdeutschland

Daher noch ein weiteres Beispiel einer Arbeitnehmerin aus Ostdeutschland. Erna Dreiwitz hat durchschnittlich im Jahr 0,4 Entgeltpunkte erreicht und 35 Jahre gearbeitet.
Rente aus eigener Beitragsleistung:
33 Jahre x 0,4 EP x 33,23 Euro (Rentenwert Ost) = 438,64 Euro
Grundrentenzuschlag:
33 Jahre x 0,4 EP x 33,23 Euro (Rentenwert Ost)  - 12,5 % = 383,81 Euro
Die Rente beträgt also monatlich 822,45 Euro.
Diese Berechnungen dienen aber nur dazu, das Prinzip zu veranschaulichen. In der Praxis werden sie etwas komplizierter sein, da die Erwerbsbiografien zumeist auch komplizierter sind.

Es wird dann aber noch häufig Einkommen angerechnet

Im Datenabgleich mit dem Finanzamt erfolgt dann die Einkommensprüfung. Dabei gilt zunächst ein Einkommensfreibetrag in Höhe von monatlich 1.250 Euro für Alleinstehende (15.000 Euro im Jahr) und 1.950 Euro für Eheleute oder Lebenspartner (23.400 Euro im Jahr). Übersteigt das Einkommen den Freibetrag, wird die Grundrente um 60 Prozent des den Freibetrag übersteigenden Einkommens gemindert. Übersteigt das Einkommen von Alleinstehenden auch den Betrag von 1.600 Euro (19.200 Euro im Jahr) bzw. bei Eheleuten oder Lebenspartnern von 2.300 Euro (27.600 Euro im Jahr), ist das über diesen Betrag liegende Einkommen vollständig auf die Grundrente anzurechnen.
Die Bundesregierung geht davon aus, dass rund 1,3 Millionen Rentnerinnen und Rentner, die in ihrem Arbeitsleben unterdurchschnittliche Verdienste erzielt haben, künftig von der Grundrente profitieren werden.
 
Hier geht es zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, den der Bundestag am 1. Juli beschlossen hat