Auch wenn die Dreiwochenfrist verstrichen ist - die Krankenkasse muss nicht alles zahlen. Copyright by Adobe Stock/YK
Auch wenn die Dreiwochenfrist verstrichen ist - die Krankenkasse muss nicht alles zahlen. Copyright by Adobe Stock/YK

Diese Regelung soll dem Grundsatz dienen, dass die Träger von Sozialleistungen Anträge schnell bearbeiten müssen. Eine Krankenkasse soll davon abgehalten werden, Anträge des/der Versicherten nicht zu bearbeiten oder aber den Antragsteller an einen anderen Sozialversicherungsträger-zum Beispiel die Rentenversicherung- zu verweisen. Der Gesetzgeber hat dabei in Kauf genommen, dass die Krankenkasse in diesem Fall auch Leistungen zahlen muss, die dem/ der Versicherten nach dem Leistungskatalog der Krankenkassen eigentlich nicht zugestanden hätten. Dieser Grundsatz gilt für alle Sozialversicherungsträger, also auch für die Rentenversicherung, wenn der/die Versicherte sich zuerst an sie wendet.
 
Das hat sich nun zumindest teilweise geändert, wie folgender vom Bundessozialgericht entschiedener Fall zeigt.
 

Medikament auf „Kassenzettel“?

Der Kläger litt unter einer neurologischen Erkrankung, wegen der er unter anderem schlecht gehen konnte. Er nahm im Rahmen eines Therapieversuchs ein Medikament mit dem Namen „Fampyra“ ein. Daraufhin ging es ihm viel besser. Das Problem war allerdings, dass dieses Medikament nicht dafür zugelassen war, die Krankheit des Klägers zu bekämpfen. Es handelte sich also um ein sogenanntes „ off-label-use“ des Medikaments.
 
Der Kläger beantragte bei seiner Krankenkasse, dass diese ihm eine Therapie mit dem Arzneimittel Fampyra finanziert. Die Kasse lehnte den Antrag nach einem Zeitraum von über drei Wochen mit der Begründung ab, dass man nicht mit ausreichender Sicherheit sagen könne, ob eine Behandlung des Klägers mit diesem Medikament auf Dauer erfolgreich sei. Es gebe dazu keine zuverlässigen wissenschaftlichen Erkenntnisse. Das Arzneimittel Fampyra gehöre damit grundsätzlich nicht zu den Medikamenten, die die gesetzliche Krankenversicherung bezahlen müsse.
 

Anspruch aufgrund der Genehmigungsfiktion?

Dagegen wehrte sich der Kläger und beantragte beim zuständigen Sozialgericht, dass die Beklagte die Übernahme der Kosten für eine Arzneimitteltherapie mit Fampyra übernehmen solle. Der Anspruch sei schon deshalb entstanden, weil die Krankenkasse nicht innerhalb der Dreiwochenfrist auf seinen Antrag reagiert habe. Er gelte daher als genehmigt. Ob die Krankenkasse gesetzlich verpflichtet sei, dieses Medikament zu finanzieren, spiele keine Rolle. Es reiche aus, dass er die beantragte Leistung für erforderlich halte. Außerdem könne er Atteste von behandelnden Ärzten vorweisen, die diese Therapie ebenfalls als geeignet angesehen hätten.
 

Krankenkasse: keine Genehmigungsfiktion im Falle des „off -label- use“

Die Krankenkasse war hier anderer Meinung: nach ihr tritt die Genehmigungsfunktion nur dann ein, wenn der Antrag des/der Versicherten auf Leistungen gerichtet sei, die zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehörten. Das sei hier nicht der Fall. Außerdem habe sie ja den Antrag des Klägers-wenn auch nach Ablauf der Dreiwochenfrist-abgelehnt.
 

Landessozialgericht: Krankenkasse muss zahlen

Das Sozialgericht und später das Landessozialgericht gaben dem Kläger Recht. Nach Meinung beider Gerichte ist ausschlaggebend, dass der Kläger die von ihm begehrte Arzneitherapie für geeignet und erforderlich hielt. Das würden die vom Kläger vorgelegten ärztlichen  Atteste belegen. Der Antrag des Klägers sei daher nicht böswillig, so dass die Genehmigungsfiktion nach Ablauf von drei Wochen eingetreten sei.
 

Bundessozialgericht: Genehmigungsfiktion hilft nur bei einem Kostenerstattungsanspruch

Das Bundessozialgericht, das sich anschließend mit dem Fall zu befassen hatte, sah dies aber anders. In seinem Urteil von Mai 2020 machte das Bundessozialgericht klar, dass grundsätzlich zu unterscheiden sei zwischen einem Anspruch auf eine Leistung und einem Anspruch darauf, dass die Krankenkassen die Kosten für eine Leistung erstatten müsse.
Die Genehmigungsfiktion solle dem/der Versicherten eine vorläufige Rechtsposition geben, die es ihm/ihr möglich mache, sich die Leistung selbst zu beschaffen. Das sei auch dann der Fall, wenn ein Anspruch auf die beantragte Leistung eigentlich nicht bestehen würde. Voraussetzung sei aber, dass der/ die Versicherte gutgläubig gewesen sei, also nicht gewusst habe, dass er/sie eigentlich keinen Anspruch auf die Leistung gehabt habe.
 

Keine Genehmigungsfiktion bei einem Sachleistungsantrag

Im vorliegenden Fall habe der Kläger sich das Arzneimittel nicht selbst verschafft. Er habe vielmehr beantragt, dass die Krankenkasse ihm die Therapie gewähre. Somit habe er einen Antrag auf eine Leistung gestellt.
 
Hier könne die Krankenkasse auch nach Ablauf der Dreiwochenfrist über den Antrag entscheiden. Eine Genehmigungsfiktion würde in diesem Fall nicht eintreten. Das Bundessozialgericht begründet seine Auffassung mit dem Wortlaut der gesetzlichen Vorschrift, in der die Genehmigungsfiktion geregelt ist. Danach sei nur der diejenige/diejenige geschützt, die sich auf eigene Kosten die verlangte Leistung selbst beschafft habe und von der Krankenkasse die Kosten erstattet haben will.
 
Das Bundessozialgericht hat den Fall an das Landessozialgericht zurückverwiesen. Das Landessozialgericht muss nun entscheiden, ob der Kläger nach dem von dem Bundessozialgericht aufgestellten Rechtsprechung zum „off- label-use“ eine Arzneimitteltherapie mit dem Medikament Fampyra verlangen kann.
 
Hier geht es zu der Pressemitteilung des Bundessozialgerichts vom 20.5.2020-B 1 KR 9/18 R

Das sagen wir dazu:

Nach diesem Urteil des Bundessozialgerichts sind die Auswirkungen der Genehmigungsfiktion deutlich eingeschränkt worden. Während nach der früheren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts die Krankenkassen verpflichtet waren, auch Sachleistungen wie eine bestimmte Therapie zu finanzieren, wenn sie auf einen entsprechenden Antrag hin nicht rechtzeitig reagiert haben, ist das nun nicht mehr möglich. Die Genehmigungsfiktion hilft nur denjenigen Versicherten, die nach Ablauf der Dreiwochenfrist sich das Mittel auf eigene Kosten beschafft haben und nun das Geld von der Krankenkasse zurückverlangen - immer vorausgesetzt, dass er/sie gutgläubig war, d. h. also damit rechnen konnte, dass das Hilfsmittel die gewünschte positive Wirkung hat.

Mit anderen Worten: wenn der Kläger das Arzneimittel Fampyra nach dem Ablauf der Dreiwochenfrist auf eigene Kosten besorgt hätte und dann von seiner Krankenkasse eine Kostenerstattung verlangt hätte, wäre er wohl erfolgreich gewesen. Böswillig war er nicht, da er ärztliche Atteste vorliegen konnte, die bestätigt haben, dass das Medikament auch in seinem Fall helfen kann, auch wenn es dafür nicht offiziell zugelassen ist. Damit ist dem Kläger auf Dauer aber nicht geholfen, da er grundsätzlich wissen wollte, ob die Krankenkasse verpflichtet ist, für die Arzneimitteltherapie aufzukommen. Auf diesem Weg konnte er das aber nicht erreichen.

Lesen Sie hierzu auch:

Zu spät entschieden - Krankenkasse muss Kosten für Psychotherapie übernehmen!

Rechtliche Grundlagen

Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung

§ 13 Kostenerstattung

:
:
(3a) Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung. Wird ein im Bundesmantelvertrag für Zahnärzte vorgesehenes Gutachterverfahren gemäß § 87 Absatz 1c durchgeführt, hat die Krankenkasse ab Antragseingang innerhalb von sechs Wochen zu entscheiden; der Gutachter nimmt innerhalb von vier Wochen Stellung. Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet. Die Krankenkasse berichtet dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen jährlich über die Anzahl der Fälle, in denen Fristen nicht eingehalten oder Kostenerstattungen vorgenommen wurden. Für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gelten die §§ 14 bis 24 des Neunten Buches zur Koordinierung der Leistungen und zur Erstattung selbst beschaffter Leistungen