Wer trägt das Risiko bei elektronischer Übermittlung der Daten?
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Wer trägt das Risiko bei elektronischer Übermittlung der Daten? Copyright: @Adobe Stock – Ralf

 Voraussetzung für die Gewährung von Krankengeld ist, dass der/die Versicherte die Arbeitsunfähigkeit auch rechtzeitig bei der Krankenkasse meldet. Dabei genügte nicht, die Krankmeldung pünktlich auf den Weg zu bringen. Die Rechtsprechung war dazu in der Vergangenheit ziemlich gnadenlos. Der/die  Versicherte, also auch Neumann, trug die Beweislast dafür, dass die pünktlich abgeschickte Meldung auch pünktlich bei der Kasse eintraf. Das führte zu vielen ungerechten Ergebnissen.

 

Was heißt pünktlich?

§ 49 Absatz 1 Nr. 5 SGB V verlangt, dass die Arbeitsunfähigkeitsmeldung binnen Wochenfrist bei der Kasse eingehen muss. Ansonsten ruht der Anspruch auf Krankengeld. Die Kasse behauptet bei Neumann, die Meldung sei zu spät gewesen. Das hat zur Folge, dass Neumann für elf Tage kein Krankengeld erhalten soll.

 

Postlaufzeit zu Lasten von Neumann

Die Postlaufzeit geht zu Lasten der Versicherten. Das war bisher der Normalfall bei den gerichtlichen Entscheidungen.

Ändert Corona etwas daran? Die kleinen Filialen der Kassen waren häufig nicht besetzt, weil alle im Homeoffice oder Quarantäne waren. Und dann landet irgendwann, irgendwo ein Eingangsstempel auf der Arbeitsunfähigkeitsmeldung.

 

Umkehr der Beweislast?

So hat es das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (Urteil vom 5. November 2020 - L9 KR 204/19) gesehen.

Wenn offen bleibt, wie die Krankenkasse das Posteingangsmanagement und Einscannen von Post, die in einem zentralen Postfach anlandet, organisiert, kann für den Nachweis des rechtzeitigen Eingangs von fristgebundenen Dokumenten von Versicherten eine Umkehr der Beweislast eintreten. Zuvor hat das Sozialgericht Halle (Urteil vom 22.August 2018 - S 22 KR 410/17) also schon vor Corona entschieden, dass die Postbearbeitungssysteme bei den Krankenkassen (die Scan-Zentren) nicht zu Lasten der Versicherten gehen können, da diese keinen Einfluss darauf haben.

 

Immerhin hat Neumann seine Ehefrau als Zeugin für den Zeitpunkt, zu dem er die Meldung bei der Krankenkasse eingeworfen hat.

 

Ehefrau kann Zeugin sein

Zeuge/Zeugin kann Jeder/Jede sein. Eine Ehefrau hat ein Zeugnisverweigerungsrecht, muss aber die Wahrheit sagen, wenn sie aussagt. Das Gericht muss diese Aussage werten, und kann nicht per se unterstellen, die Aussage sei wegen der Nähe zum Partner in Zweifel zu ziehen.

 

Fehlende elektronische Übermittlung nicht zu Lasten von Neumann

Das Sozialgericht Dresden hat in zwei aktuellen Entscheidungen (vom 19. Januar und 28. März 2022 - S 45 KR 575/22 und S 25 KR 651/21) für die Versicherten geurteilt. Auf die Vernehmung der Ehefrau kam es gar nicht an. Dies wurde begründet mit dem Wegfall der Meldepflicht oder Meldeobliegenheit.

 

Wegfall der Meldeobliegenheit

Bisher war ganz klar, die Versicherten mussten melden und trugen das Risiko der Übermittlung. Diese Verpflichtung oder Obliegenheit hält das Sozialgericht aber seit Jahresbeginn 2021 für weggefallen. Der Gesetzgeber hat nämlich ab dem 1. Januar 2021 geregelt, dass die Ruhensfolge nicht eintritt, wenn Daten elektronisch übermittelt werden. Ausnahmen gelten nach dem Gesetz nur für Nicht-Vertragsärzte. Neumanns Arzt ist normaler Arzt mit Kassenzulassung.

 

Die Technik war noch gar nicht da und daher wurde von Neumanns Arzt nichts übermittelt.

 

Was heißt denn "übermittelt werden"?

Soll der Wegfall der Pflicht nur gelten, wenn es auch tatsächlich geschieht oder bereits jetzt, wo die Pflicht grundsätzlich bestand, elektronisch zu übermitteln? Letzteres soll gelten, hat das Sozialgericht zugunsten der Versicherten angenommen.

 

Digitalisierungsstau überall

Natürlich kam es zu Verzögerungen bei der Einrichtung der Telematikinfrastruktur im Gesundheitswesen.  Das Gesetz wurde aber nicht geändert. Die Vertragsparteien einigten sich nur auf längere Umsetzungsfristen, was das Bundesministerium für Gesundheit nicht beanstandet hat. Der Gesetzgeber hatte ausdrücklich die Möglichkeit gegeben, dass die Partner der Bundesmantelverträge das Nähere über die Erfüllung der Pflichten regeln können. Das „wie“ konnte also geregelt werden, nicht aber das „ob“. Deshalb hat sich nichts daran geändert, dass die Verpflichtung bestand, den Auftrag des Gesetzgebers bis zum 1. Januar 2021 umzusetzen.

 

Ziel der Einführung: Versicherte entlasten

Das Sozialgericht Dresden hat sich zur Beurteilung mit den Motiven für das Gesetz befasst. Immer wieder war kritisiert worden, dass Versicherte ohne eigenes Verschulden, den grundsätzlich zustehenden Anspruch auf Krankengeld nicht realisieren konnten, weil etwas mit den Meldungen schief ging. Das sollte jetzt durch die digitale Meldung verhindert werden.

 

Weil nach dem Gesetzentwurf Versicherte entlastet werden sollten, sieht das Gericht ein drittschützendes Gesetz zu Gunsten der Versicherten. Das ließe sich aus den Erwägungen des Gesetzgebers entnehmen, mit der Folge, dass die Verschiebung der Umsetzung trotzdem die Meldeobliegenheit wegfallen lässt.

 

 

Lesen Sie zum Thema verspäteter Eingang der Krankmeldung auch den Beitrag "Verborgene Postwege"

 



 

 

Das sagen wir dazu:

Die Entscheidungen aus Dresden sind sehr zu begrüßen. Das Gesetz hatte eine lange Vorlaufzeit. Damit die Umsetzung von Schutzgesetzen für Arbeitnehmer*innen und Verbraucher*innen nicht auf die lange Bank geschoben werden, wünschen wir uns mehr solche Entscheidungen.

 

Die Urteile sind jedoch noch frisch, ob sie Bestand haben, bleibt abzuwarten. Zumindest können sie in Verfahren entgegengehalten werden, wenn Kassen darlegen, wie ihr Posteingang von einem privaten zertifizierten Abholdienst zum ebenfalls privaten Scandienst organisiert ist und dass natürlich beim ersten Dienstleister der Eingang ordnungsgemäß erfasst wird.

Rechtliche Grundlagen

§ 49 Absatz 1 Nr. 5 SGB V

§ 49 Ruhen des Krankengeldes
(1) Der Anspruch auf Krankengeld ruht,
1. – 4. (…)
5.
solange die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse nicht gemeldet wird; dies gilt nicht, wenn die Meldung innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder die Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten im elektronischen Verfahren nach § 295 Absatz 1 Satz 10 erfolgt,
6.-8. (…)
(2) (weggefallen)
(3) Auf Grund gesetzlicher Bestimmungen gesenkte Entgelt- oder Entgeltersatzleistungen dürfen bei der Anwendung des Absatzes 1 nicht aufgestockt werden.
(4) (weggefallen)