Stempel drunter – abgehakt! Im Einzelfall lohnt es sich aber durchaus, zu Gericht zu ziehen. Copyright by Adobe Stock/Coloures-Pic
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Beim Sozialgericht Speyer meint man es ernst. Nachdem das DGB Rechtsschutzbüro Pirmasens bereits eine Entscheidung gegen die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts erwirken konnte, ist gleiches auch Tatjana Dette vom DGB Rechtsschutzbüros Ludwigshafen gelungen.
 
Unter „David gegen Goliath“ hatten wir berichtet:
David gegen Goliath: Sozialgericht widersetzt sich der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
 

Das Gesetz enthält eine Wochenfrist

Nach dem Gesetz müssen Versicherte ihre Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse innerhalb einer Woche nach deren Beginn anzeigen. Halten sie diese Frist nicht ein, ruht der Anspruch auf Krankengeld so lange, bis die Meldung der Arbeitsunfähigkeit bei der Krankenkasse eingeht.
 
So lag der Fall eines 60-jährigen Pfälzers. Er hatte die Wochenfrist versäumt. Die Monate vorher gab es kein Problem, denn seine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen gingen rechtzeitig bei seiner Kasse ein. Nur ein einziges Mal lief es dann schief. Die Kasse stellte die Krankengeldzahlungen deshalb ein, bis er die Meldung nachgereicht hatte.
 

Die Krankenkasse war siegessicher

Der Fall schien klar zu sein. Die Krankengeldzahlung sollte ruhen. So sah es auch die Krankenkasse und war auch bis zuletzt siegessicher. Das Sozialgericht Speyer lehnte sich aber mit einer umfassenden Begründung gegen die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Das Bundessozialgericht hatte stets bestätigt, dass eine Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse innerhalb einer Woche anzuzeigen ist, will man die Streichung des Krankengeldes vermeiden.
 
Die Wochenfrist gelte nur für die erstmalige Anzeige der Arbeitsunfähigkeit bei der Krankenkasse. Bestehe fortlaufend schon länger Arbeitsunfähigkeit, zu könne die Krankenkasse diese Wochenfrist nicht mehr anwenden. Das hatte allerdings das Bundessozialgericht bislang anders gesehen.
 

Für die Meldung der Arbeitsunfähigkeit ist keine Form vorgeschrieben

Mit der Meldung seiner Arbeitsunfähigkeit habe der Kläger eine Tatsache mitgeteilt. Für diese Mitteilung gebe es keine bestimmte, vorgeschriebene Form. Erforderlich sei lediglich, dass die Kasse die Identität des Versicherten erkennen könne und auch eine Arbeitsunfähigkeit dieses Versicherten behauptet werde.
 
Nicht erforderlich sei der Hinweis, dass ein Arzt die Arbeitsunfähigkeit festgestellt habe.
 

Die Arbeitsunfähigkeit wird schon mit der Erstbescheinigung mitgeteilt

Fehle die Meldung der Arbeitsunfähigkeit, führe das zum Ruhen des Krankengeldanspruchs. Die Meldung sei damit lediglich eine Voraussetzung für die Zahlung des Krankengeldes. Von der Arbeitsunfähigkeit des Klägers wisse die Kasse seit der Vorlage der Erstbescheinigung.
 
Deshalb habe der Kläger auch keine weitergehende Pflicht mehr gehabt, seine Arbeitsunfähigkeit später noch einmal zu melden.
 

Das Bundessozialgericht fordert immer wieder neue Meldungen

Das Bundessozialgericht (BSG) sieht das allerdings anders. Es fordert immer wieder eine neue Meldung der Arbeitsunfähigkeit innerhalb einer Woche nach dem Ende des zuletzt gemeldeten Zeitraums.
 
Das BSG bestätige zwar, dass sich das nicht aus dem Wortlaut des Gesetzes ergebe. Das Gesetz spreche nur von einer Meldepflicht zu Beginn der Arbeitsunfähigkeit.
 
Die Krankenkasse müsse aber mit jedem konkreten Leistungsfall über das (Fort-)Bestehen der Arbeitsunfähigkeit informiert sein. Nur dann sei die Kasse in der Lage, vor einer Entscheidung über den Krankengeldanspruch den Gesundheitszustand des*der Versicherten durch den Medizinischen Dienst überprüfen zu lassen. Deshalb sei die Meldepflicht mit jeder weiteren Krankschreibung notwendig.
 

Das BSG setzt sich über den Wortlaut des Gesetzes hinweg

Das Bundessozialgericht setze sich damit über die Grenzen des möglichen Wortsinns der Bestimmungen hinweg, ohne diesen Umstand ausreichend zu reflektieren. Die Auffassung des Ersten Senats des Bundessozialgerichts sei deshalb nicht vertretbar, obwohl sie in ständiger Rechtsprechung bestätigt worden sei.
 
Gerichte seien nämlich grundsätzlich an dem Wortlaut eines Gesetzestextes gebunden. Nur der Gesetzestext sei das Ergebnis eines parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens. Eine Überschreitung der Grenze des Wortlautes verstoße gegen das Gebot, sich an Gesetze zu halten, aber auch gegen das Gewaltenteilungsprinzip.
 

Das Gesetz spricht nur vom Beginn der Arbeitsunfähigkeit

Der Wortlaut des Gesetzes spreche nur vom Beginn der Arbeitsunfähigkeit im Zusammenhang mit der Pflicht zur Meldung bei der Krankenkasse. Es sei lediglich die Rede davon, dass „die Arbeitsunfähigkeit“ gemeldet werden müsse. Nichts spreche dafür, dass eine fortbestehende Arbeitsunfähigkeit mehrmals zu melden sei.
 
Das habe das Bundessozialgericht auch selbst erkannt. In einem seiner Urteile verwende es nämlich die Formulierung „anders als es der Wortlaut des § 49 Abs. 1 Nr. 5 Halbs. 2 SGB V nahezulegen scheint“.
 

Der Gesetzgeber hat die Bestimmung bewusst formuliert

Es gebe aber keine Regelungslücke im Gesetz. Deshalb sei das Bundessozialgericht auch nicht befugt, Schlüsse aus einer Formulierung zu ziehen, die sich daraus nicht ergäben. Hätte der Gesetzgeber die Bestimmung so auslegen wollen, wie das BSG es mache, wäre es ein Leichtes gewesen, das Gesetz mit Inkrafttreten des SGB V auch genauso zu formulieren.
 
Das habe der Gesetzgeber jedoch nicht getan. Das BSG müsse sich deshalb an den eindeutigen Wortlaut des Gesetzes halten.

Hier geht es zum Urteil

Das sagen wir dazu:

Es steht zu befürchten, dass eine obere Instanz die Entscheidung kassieren wird. Aber ganz frei nach dem Motto „steter Tropfen höhlt den Stein“ ist es gut, wenn erstinstanzliche Gerichte sich mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung auseinandersetzen und dabei begründete eigene Auffassungen entwickeln, die sich der derzeit herrschenden Rechtsprechung widersetzen.

Fallen diese Urteile dann auch noch zu Gunsten der Versicherten aus, bleibt zu hoffen, dass derartige Auseinandersetzungen mit schwieriger juristischer Materie im Laufe der Zeit möglicherweise doch bis in die oberen Instanzen durchdringt und zu einer Änderung der Rechtsprechung führt.

Rechtliche Grundlagen

§ 49 I Nr. 5 SGB V

Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477)
§ 49 Ruhen des Krankengeldes
(1) Der Anspruch auf Krankengeld ruht,

1.
soweit und solange Versicherte beitragspflichtiges Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erhalten; dies gilt nicht für einmalig gezahltes Arbeitsentgelt,
2.
solange Versicherte Elternzeit nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz in Anspruch nehmen; dies gilt nicht, wenn die Arbeitsunfähigkeit vor Beginn der Elternzeit eingetreten ist oder das Krankengeld aus dem Arbeitsentgelt zu berechnen ist, das aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung während der Elternzeit erzielt worden ist,
3.
soweit und solange Versicherte Versorgungskrankengeld, Übergangsgeld, Unterhaltsgeld oder Kurzarbeitergeld beziehen,
3a.
solange Versicherte Mutterschaftsgeld oder Arbeitslosengeld beziehen oder der Anspruch wegen einer Sperrzeit nach dem Dritten Buch ruht,
4.
soweit und solange Versicherte Entgeltersatzleistungen, die ihrer Art nach den in Nummer 3 genannten Leistungen vergleichbar sind, von einem Träger der Sozialversicherung oder einer staatlichen Stelle im Ausland erhalten,
5.
solange die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse nicht gemeldet wird; dies gilt nicht, wenn die Meldung innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder die Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten im elektronischen Verfahren nach § 295 Absatz 1 Satz 7 erfolgt,
6.
soweit und solange für Zeiten einer Freistellung von der Arbeitsleistung (§ 7 Abs. 1a des Vierten Buches) eine Arbeitsleistung nicht geschuldet wird,
7.
während der ersten sechs Wochen der Arbeitsunfähigkeit für Versicherte, die eine Wahlerklärung nach § 44 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 abgegeben haben,
8.
solange bis die weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit nach § 46 Satz 3 ärztlich festgestellt wurde.

(2) (weggefallen)
(3) Auf Grund gesetzlicher Bestimmungen gesenkte Entgelt- oder Entgeltersatzleistungen dürfen bei der Anwendung des Absatzes 1 nicht aufgestockt werden.
(4) (weggefallen)