Mit der Reform der Opferentschädigung werden Formen psychischer Gewalt ins Gesetz aufgenommen und Opfer sexueller Gewalt bessergestellt. Copyright by Adobe Stock/rudall30
Mit der Reform der Opferentschädigung werden Formen psychischer Gewalt ins Gesetz aufgenommen und Opfer sexueller Gewalt bessergestellt. Copyright by Adobe Stock/rudall30

Das Opferentschädigungsgesetz (OEG) regelt Leistungen für Menschen, die Gewalt erfahren mussten und dadurch gesundheitlich beeinträchtigt sind. Ab einem Grad der Schädigungsfolgen von 30% besteht Anspruch auf eine Rente. Das Gesetz sieht neben Heilbehandlungen weitere Hilfen vor, z.B. zur beruflichen Rehabilitation, heilpädagogische Hilfen und Wohnungshilfen.
 
Der Anspruch aus dem OEG setzt eine vorsätzliche Gewalttat voraus, durch die das Opfer eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Anspruch haben auch Hinterbliebene.
 

Reformbedarf schon lange bekannt

Das OEG ist eine gute Sache. An einem Problem kam der Gesetzgeber aber irgendwann nicht mehr vorbei: Das Opfer muss die Tat beweisen und auch nachweisen, dass sie ursächlich für gesundheitliche Schäden ist. Deshalb kommt bei den wenigsten Opfern tatsächlich die nötige Hilfe an. Grade wenn Menschen komplexe Gewalterfahrungen gemacht haben, wird es für sie im OEG-Verfahren schwer.
 
Es geht aber um eine sozialrechtliche Entschädigung und nicht um eine Verurteilung im Strafverfahren. Das Gesetz sollte sich deshalb weniger an einer Beweisbarkeit orientieren, sondern an den Bedürfnissen der Betroffenen. Diese Überlegung hat bei der Reform eine Rolle gespielt, auch wenn der Terroranschlag am Breitscheidplatz letztlich den Gesetzgeber zum Handeln gebracht hat.
 

Das Problem der Kausalität

Der Gesetzgeber hält vom Grundsatz an der Notwendigkeit des doppelten Ursachenzusammenhangs fest. Die Tat muss nach wie vor ursächlich für die gesundheitliche Schädigung sein. Und der/die Betroffene muss nachweisen, dass seine Beeinträchtigungen Folge dieser Schädigung sind.
 
Besonders problematisch ist der Bereich des sexuellen Missbrauchs in der Kindheit. Zum einen sind die lange zurückliegenden Taten meist schwer beweisbar. Die komplexen Folgen des sexuellen Missbrauchs treten oft mit zeitlicher Verzögerung auf. Nicht selten wird hier zunächst eine falsche Diagnose gestellt.
 

Bei Beweisnotstand kann es ausreichen, die Taten glaubhaft zu machen

Gibt es keine Zeugen, weil der Täter unbekannt, verstorben oder als Angehöriger die Aussage verweigert, gilt ein abgesenkter Beweismaßstab. Das Opfer hat die Taten glaubhaft zu machen, d.h. es muss überwiegend wahrscheinlich sein, dass es sich so zugetragen hat.
Im neuen SGB XIV ist diese Beweiserleichterung im § 117 festgehalten.
Die Krux dabei: Oft holen Sozialgerichte aussagepsychologische Gutachten ein, zu der Frage ob die Schilderungen des Opfers glaubhaft sind. Solche Gutachten gelten als zulässig, sind aber nicht immer als Beweismittel geeignet.   
 
Wer die erste Hürde nimmt, die Behörde also von der erfahrenen Gewalt überzeugt, muss eine weitere Hürde nehmen. Der gesundheitliche Schaden muss ursächlich auf die Gewalttat zurückzuführen sein. Die Kausalität zwischen Tat und Schädigung gilt als bewiesen, wenn sie wahrscheinlich ist. Dafür muss mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang sprechen. Das bleibt auch mit dem SGB XIV so.
 

Bestärkte Wahrscheinlichkeit bei psychischen Erkrankungen

Diese neue Regelung (§ 4 Absatz 5 SGB XIV) zur Beweiserleichterung bei der Kausalitätsprüfung kommt insbesondere Opfern sexueller oder psychischer Gewalt zugute. Die Vermutungsregel besagt, dass die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Tat, Schädigung und dem Auftreten von dauerhaften Störungen im Einzelfall vermutet wird, wenn die medizinischen Tatsachen dafür sprechen. In der Folge verschiebt sich die Beweislast auf die Behörde. Diese muss  - um die Vermutung zu widerlegen - beweisen, dass das Opfer bereits vorher erkrankt war oder die Erkrankung andere Ursachen hat als die Tat.
 
Zu kritisieren ist hier, dass die Vermutungsregel ausschließlich auf psychische Gesundheitsstörungen beschränkt ist.
 

Psychische Gewalt fällt nicht unter den Begriff des tätlichen Angriffs aus dem OEG

Waren die Familienverhältnisse zerrüttet und gibt es Hinweise auf eine Vernachlässigung als Kind durch die Eltern, kommt schnell der sogenannte Milieuschaden ins Spiel. So ist die familiäre Situation schnell als vermeintlich wahre Ursache für psychische Probleme gefunden und ein Anspruch aus dem OEG wird verneint.
 
Mit dem neuen SGB XIV wird der Gewaltbegriff um Formen psychischer Gewalt ergänzt. Von einer psychischen Gewalttat spricht das Gesetz bei einem schwerwiegenden Verhalten, mindestens vergleichbar mit sexuellem Missbrauch, Menschenhandel, Vergewaltigung, Geiselnahme oder der Nachstellung.
Ob Vernachlässigungen im Elternhaus darunter fallen, erscheint fraglich. Das Gesetz stellt aber die erhebliche Vernachlässigung von Kindern ausdrücklich einer Gewalttat gleich.
 
 
LINKS:
Das Gesetz zur Regelung des sozialen Entschädigungsrechts vom 19.12.2019 ist im Bundesgesetzblatt nachzulesen.