Im Notlagentarif können private Krankenversicherungen mit rückständigen Beiträgen gegen Erstattungsansprüche des Versicherten aufrechnen.  Copyright by Gina Sanders/Fotolia
Im Notlagentarif können private Krankenversicherungen mit rückständigen Beiträgen gegen Erstattungsansprüche des Versicherten aufrechnen. Copyright by Gina Sanders/Fotolia

Die private Krankenversicherung hat einige Vorteile. Der Bundesgerichtshof zeigt mit seinem Urteil allerdings, dass es auch Nachteile gibt: Denn wenn die Versicherung die Aufrechnung erklärt, bleibt der Versicherte auf den Behandlungskosten sitzen.

Hintergrund: Der Notlagentarif  

Der Kläger ist bereits seit 1983 bei der Beklagten privat krankenversichert. Seit September 2016 ist er in den sogenannten Notlagentarif eingeordnet, weil mit den Versicherungsprämien im Rückstand ist.
 
Verfügen privat krankenversicherte Menschen nicht mehr über die notwendigen finanziellen Mittel zur Leistung der regelmäßigen Beiträge, häufen sich Beitragsschulden an. Seit April 2007 besteht in Deutschland für jeden Bürger die Pflicht, zumindest gesetzlich krankenversichert zu sein. Seit Anfang 2009 umfasst diese Pflicht auch die bis dahin privat krankenversicherten Bürger.
 
Es besteht also nicht mehr die Möglichkeit, überhaupt nicht über eine Krankenversicherung, sei es „gesetzlich“, sei es „privat“, zu verfügen. Bestehen in der privaten Krankenversicherung Beitragsschulden, ist also die Kündigung des Vertrages keine Option mehr.
 
Der Notlagentarif soll einen Versicherungsschutz garantieren, der viel günstiger ist als der bisherige Tarif. Dadurch sollen Versicherte die Möglichkeit haben, die bisherigen Beitragsschulden abzutragen, ohne weiterhin mit fortlaufenden hohen Beitragskosten belastet zu sein. Den Notlagentarif gibt es auch in der gesetzlichen Krankenversicherung, etwa für dort freiwillig Versicherte. 

Kläger zahlt keine Beiträge mehr

Sammelten sich hohe Beitragsschulden an, wurden Versicherte früher in den sogenannten Basistarif eingestuft. Dieser Tarif bietet in etwa die gleichen Leistungen wie die gesetzliche Krankenversicherung.
 
Doch auch der Basistarif hat es in sich, was die zu zahlenden Beiträge angeht! Wer im Basistarif privat versichert ist, zahlt den für die gesetzliche Krankenversicherung gültigen monatlichen Höchstbetrag. Der säumige privat Versicherte kam mit Hilfe des Basistarifs also nur schwer aus den Schulden. Dies hat der Gesetzgeber erkannt und im August 2013 den Notlagentarif eingeführt.
 
Der Kläger musste sich im November 2016 für vier Tage zu einer stationären Behandlung in ein Krankenhaus begeben. Dieses stellte ihm für die Behandlung einen Betrag von rund 1.900 EUR in Rechnung. Die Rechnung reichte der Kläger bei der Beklagten ein.
 
Mitte Januar 2017 ging dem Kläger ein Schreiben zu, in dem die Beklagte gegen die Rechnung mit den Prämienrückständen aufrechnete. Hiergegen zog der Kläger vor Gericht: Durch die Aufrechnung bestehe faktisch kein Versicherungsschutz.

Versicherungsschutz besteht fort

Mit dieser Klage hatte er vor dem Bundesgerichtshof keinen Erfolg: Der Versicherer könne eine fällige Prämienforderung gegen eine Forderung aus der Versicherung aufrechnen. Dies ergebe sich aus dem Gesetz.
 
Die weiteren Umstände führen nach Ansicht des BGH zu keinem anderen Ergebnis. So ergebe sich ein Aufrechnungsverbot nicht etwa aus der Gesamtschau der maßgeblichen Vorschriften oder dem Regelungszweck des versicherungsrechtlichen Gefüges.
 
Der Notlagentarif diene dem vorübergehenden Schutz des Versicherungsnehmers vor weiterer Überschuldung durch zukünftige Prämien. Eine Befreiung von der Pflicht zur Zahlung bereits angefallener Prämien für die Zeit, in welcher der Versicherungsvertrag ruht, beabsichtige der Gesetzgeber demgegenüber nicht.
 
Auch beseitige die Aufrechnung den effektiven Versicherungsschutz nicht, denn der Kläger verfüge weiterhin über einen Behandlungsanspruch. Die Kündigung der Pflichtversicherung sei grade nicht zulässig.

Ansatz der Kritik

Der BGH nimmt in seinem Urteil auch Bezug auf das Urteil des OLG Hamm ( Az.: 20 U 235/15), das eine Aufrechnung mit rückständigen Prämien durch den Versicherer für unzulässig hält: Nur ein Verbot der Aufrechnung könne ein Mindestmaß an Versorgung der Versicherten gewährleisten. Durch die Aufrechnung müsse der Versicherte für die Behandlungskosten selbst aufkommen. Dies widerspreche dem Sinn und Zweck einer Krankenversicherung.
 
Der BGH lässt diese Auffassung aber nicht gelten: Hat der Beitragsrückstand ein bestimmtes Volumen erreicht, ruht der ursprüngliche Versicherungsvertrag und der Versicherte wird in den Notlagentarif übergeleitet. Dies ist aber nicht der Fall, wenn der Versicherungsnehmer hilfebedürftig im Sinne des SGB II oder SGB XII ist, bzw. wird.
 
Für den Notlagentarif hält das Gesetz einige spezielle Regelungen bereit. So entfallen insbesondere Risikozuschläge, Leistungsausschüsse und Selbstbehalte. Für die Zeit der Säumnis ist ein Wechsel in den oder aus dem Notlagentarif ausgeschlossen.
 
Der Versicherer muss den Versicherten über die Fortsetzung des Versicherungsvertrages im Notlagentarif in Textform unterrichten. Der BGH betont, dass in diesem Zusammenhang keine Rede davon ist, dass etwa bisherige Prämienrückstände entfallen.

Hier geht es zum Urteil

Das sagen wir dazu:

Der Notlagentarif führt nach Ansicht des BGH dazu, dass eine weitere Überschuldung des Versicherten vermieden wird. Der Notlagentarif bringt geringere monatliche Prämien mit sich. Letztlich soll der Notlagentarif dazu dienen, dem Versicherten die Rückkehr in den vormaligen, „normalen“ Versicherungsschutz zu ermöglichen.

Die Entscheidung des BGH ist letztlich hinzunehmen. Für eine Korrektur der gesetzlichen Regelungen im Rahmen einer allgemeinen Billigkeitserwägung sieht das Gericht keinen Raum.

Grund zur Kritik gibt es aber trotzdem: Der Notlagentarif mag Versicherten helfen, die sich finanziell lediglich moderaten Behandlungskosten ausgesetzt sehen, die sie wegen der Aufrechnung des Versicherers alleine tragen müssen.

Müssen im Notlagentarif Versicherte sich jedoch über längere Zeit überaus teuren Behandlungen unterziehen, bleibt für ein „Abschmelzen“ der rückständigen Prämien kaum Raum, da sich durch den Notlagentarif die Forderungen der Ärzte und/oder Krankenhäuser nicht mindern. Wer dann im Außen-verhältnis ständig zahlen muss, wird kaum finanziellen Spielraum für die Abtragung der Beitrags-schulden haben.

Das Urteil macht zudem deutlich: Private Krankenkassen sind durchaus lukrativ für Menschen, die über ein hinreichend hohes Einkommen verfügen. Dank guter Tarifabschlüsse der DGB Gewerkschaften gibt es auch Gewerkschaftsmitglieder, die privat krankenversichert sind.

Allerdings muss man, wenn man sich für die PKV entscheidet, die Verpflichtung zur Prämienleistung auch „durchhalten“. Ansonsten droht die Abstufung in den Notlagentarif – dieser Tarif bietet eine Versorgung auf dem Niveau der gesetzlichen Krankenkasse.

Dies ist an sich nicht schlecht – rechtfertigt aber letztlich nicht den zuvor betriebenen Aufwand einer Versicherung in einer privaten Krankenkasse.

Sofern sich ein Wechsel in die PKV also anbietet, will dies gut überlegt sein. Wenn nicht absehbar ist, dass die Prämien problemlos gezahlt werden können, mag es ein entscheidender Aspekt sein dass ein langwieriger Verbleib im Notlagentarif nicht mehr bietet als das, was die GKV ohnehin leistet.

Rechtliche Grundlagen

§ 35 Versicherungsvertragsgesetz (VVG)

Der Versicherer kann eine fällige Prämienforderung oder eine andere ihm aus dem Vertrag zustehende fällige Forderung gegen eine Forderung aus der Versicherung auch dann aufrechnen, wenn diese Forderung nicht dem Versicherungsnehmer, sondern einem Dritten zusteht.