Mädchen muss bei schwerer Skoliose erhöhte Strahlenbelastung in Kauf nehmen. Copyright by abyrvalg /Adobe Stock
Mädchen muss bei schwerer Skoliose erhöhte Strahlenbelastung in Kauf nehmen. Copyright by abyrvalg /Adobe Stock

Die Juristen der DGB Rechtsschutz GmbH vertraten vor dem Sozialgericht Mainz einen nicht ganz alltäglichen Fall. Er betraf die Tochter des Mitglieds der beklagten Krankenkasse. Sie litt an einer Erkrankung der Wirbelsäule, die schleichend fortschreitend verlief. Um den Verlauf und den Therapieerfolg zu dokumentieren und auch um Verschlechterungen zu erkennen, waren regelmäßige Röntgenaufnahmen der Wirbelsäule notwendig. Es fielen 4-8 Röntgenaufnahmen jährlich an.

 

 

EOS-Röntgen mit 3D-Darstellung führt zu reduzierter Strahlenbelastung

Durch die herkömmlichen Röntgenaufnahmen kam es zu einer erheblichen Strahlenbelastung des Kindes. Diese Strahlenbelastung erhöhte nachweislich auch das spätere Brustkrebsrisiko. Schließlich gingen die Ärzte ebenfalls von einem größeren Risiko aus, an Leukämie zu erkranken.
 
Mit dem EOS- Röntgen sei die Belastung durch Strahlen deutlich niedriger, so der Vater des Kindes. Die Krankenkasse lehnte den Antrag dennoch ab. Sie verwies darauf, der Gemeinsame Bundesausschuss habe diese neue Untersuchungsmethode noch nicht genehmigt. Eine Kostenübernahme scheide daher zwingend aus.
 

Das Gericht zieht sich auf Formalien zurück

Es bestand kein Zweifel daran, dass das EOS-Röntgen zu einer geringeren Strahlenbelastung führt. Dennoch schloss sich das Sozialgericht nicht der Argumentation des Klägers an. Das Gericht hielt dem Kläger gesetzliche Bestimmungen entgegen.
 
Der Kläger könne nicht verlangen, dass die Krankenkasse ihm die Kosten erstatte, die er selbst verauslagt habe. Auch habe er keinen Anspruch darauf, dass die Krankenkasse zukünftig die Kosten übernehme.
 

Nur Leistungen, die nicht aufgeschoben werden können, dürfen Versicherte selbst beschaffen

Die Krankenkasse hatte die Kostenübernahme abgelehnt. Im Widerspruchsverfahren ließ der Kläger für seine Tochter dann dennoch entsprechende Aufnahmen fertigen. Die Kosten hierfür übernahm er zunächst selbst. Im Klageverfahren ging es unter anderem um die Übernahme dieser vorgelegten Kosten für die selbst beschafften Aufnahmen.
 
Das Sozialgericht verwies auf die gesetzliche Bestimmungen. Demnach seien von einer Krankenkasse Kosten nur dann im Nachhinein zu erstatten, wenn diese eine unaufschiebbare Leistung betreffen. Gleiches gelte für den Fall, dass ein Antrag auf Kostenübernahme zu Unrecht abgelehnt wurde. Die Kasse habe die entstandenen Kosten in diesen Fällen immer dann zu erstatten, soweit die Leistung auch notwendig war.
 
In den selbst beschafften Röntgenaufnahmen sah das Gericht keine unaufschiebbare Leistung. Diese sei nämlich nur dann gegeben, wenn sie aus medizinischen Gründen nicht hätte aufgeschoben werden können. Vorliegend hätten der Kläger und seine Tochter jedoch abwarten können.
 

Medizinischer Notfall muss gegeben sein

Voraussetzung sei dabei letztlich einen medizinischen Notfall. Ein solcher Notfall liege vor, wenn dringend eine Behandlung erfolgen müsse und ein Kassenarzt nicht rechtzeitig zur Verfügung stehe. Dies sei vor allem der Fall, wenn Gefahren für Leib und Leben entstünden oder heftige Schmerzen unzumutbar lange andauerten.
 
Diese Situation sei bei der Tochter des Klägers zweifelsfrei nicht gegeben. Im Gegenteil, ausweislich der vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen sei die 3D-Wirbelsäulen-Darstellung auf lange Sicht angelegt. Sie sei damit zur ständigen Kontrolle und Dokumentation des Therapieerfolges bestimmt.
 

Leistung wurde zu Recht abgelehnt

Die Krankenkasse habe die Kostenübernahme auch zu Recht abgelehnt. Der Erstattungsanspruch reiche nämlich nicht weiter als der eigentliche Sachleistungsanspruch. Normalerweise habe die Kasse eine Sachleistung zu erbringen.
 
Die Krankenkasse müsse jedoch nur das bezahlen, wozu sie gesetzlich verpflichtet sei. Für die 3D-Wirbelsäulen-Darstellung gebe es allerdings keinen gesetzlichen Anspruch. Damit könne auch eine derartige, selbst beschaffte Leistung von der Krankenkasse nicht übernommen werden.
 

Kostenübernahme nur für notwendige diagnostische Behandlungen

Die Krankenkasse müsse nur notwendige diagnostische Behandlungen übernehmen. Es bestehe nicht bereits dann eine Leistungspflicht, wenn die streitige Untersuchung nach eigener Einschätzung der Versicherten oder der behandelnden Ärzte sinnvoll sei. Auch eine ärztliche Empfehlung nutze hierbei nichts.
 
Vielmehr müsse die betreffende Untersuchung rechtlich von der Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung umfasst sein. Bei neuen Untersuchung-und Behandlungsmethoden setzte das eine positive Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses voraus.
 

Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses sind zu beachten

Die vom Gemeinsamen Bundesausschuss festgelegten Richtlinien seien zwingend zu beachten. Diese Richtlinien regelten nicht nur, unter welchen Voraussetzungen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zulasten der Krankenkasse erbracht und abgerechnet werden dürften. Sie legten vielmehr auch den Umfang der Leistungen fest, die die Krankenkassen den Versicherten schuldeten.
 
Bei dem EOS-Röntgen handele es sich um eine neue Untersuchungsmethode. Sie sei bislang nicht Bestandteil des vertragsärztlichen Leistungsspektrums. Diese Form des Röntgens könne daher ambulant nur dann auf Kosten der Krankenkasse erbracht werden, wenn eine Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses vorliege. Hieran fehle es allerdings.
 
Eine notstandsähnliche Situation habe bei dem Kind ebenfalls nicht vorgelegen. Schließlich gebe es auch keine Verwaltungspraxis bei der Beklagten Krankenkasse, wonach entsprechende Kosten üblicherweise übernommen würden.

Landessozialgericht Baden-Württemberg 11. Senat
Urteil SG Mainz 11.6.19

Das sagen wir dazu:

Die Regeln für die Kostenübernahme im Krankenversicherungsrecht sind sehr streng. Das hat, wie der vorliegende Fall zeigt, durchaus auch Nachteile für Versicherte. Neue Behandlungsformen müssen immer erst vom Gemeinsamen Bundesausschuss genehmigt sein, damit Kosten hierfür erstattet werden können.

Im Gegenzug enthält dieser Formalismus jedoch durchaus auch Vorteile für Versicherte. Wird eine Leistung vom Gemeinsamen Bundesausschuss genehmigt, so ist die Krankenkasse verpflichtet, die Kosten hierfür zu übernehmen.

Das hilft in einzelnen Situationen allerdings nicht unbedingt viel weiter. Einziger Anknüpfungspunkt bleibt dann oft die Frage, ob entgegen dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse eine Empfehlung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss nicht ausgesprochen wurde.

Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat sich mit dieser Frage schon 2014 befasst. Es verweist darauf, es müsse ein Ausnahmefall vorliegen, in dem es keiner Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses bedürfe. Das Gericht nennt dies ein sogenanntes Systemversagen. Trotz entsprechender Anhaltspunkte für eine therapeutische Zweckmäßigkeit muss dabei aus willkürlichen oder sachfremden Erwägungen heraus eine Empfehlung unterblieben sein.

In streitigen Fällen hilft es daher letztlich möglicherweise nur weiter, in dieser Richtung zu recherchieren und zu argumentieren.

Rechtliche Grundlagen

Kostenerstattung im Krankenversicherungsrecht

Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477)

§ 13 Kostenerstattung

(1) Die Krankenkasse darf anstelle der Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2) Kosten nur erstatten, soweit es dieses oder das Neunte Buch vorsieht.
(2) Versicherte können anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung wählen. Hierüber haben sie ihre Krankenkasse vor Inanspruchnahme der Leistung in Kenntnis zu setzen. Der Leistungserbringer hat die Versicherten vor Inanspruchnahme der Leistung darüber zu informieren, dass Kosten, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden, von dem Versicherten zu tragen sind. Eine Einschränkung der Wahl auf den Bereich der ärztlichen Versorgung, der zahnärztlichen Versorgung, den stationären Bereich oder auf veranlasste Leistungen ist möglich. Nicht im Vierten Kapitel genannte Leistungserbringer dürfen nur nach vorheriger Zustimmung der Krankenkasse in Anspruch genommen werden. Eine Zustimmung kann erteilt werden, wenn medizinische oder soziale Gründe eine Inanspruchnahme dieser Leistungserbringer rechtfertigen und eine zumindest gleichwertige Versorgung gewährleistet ist. Die Inanspruchnahme von Leistungserbringern nach § 95b Absatz 3 Satz 1 im Wege der Kostenerstattung ist ausgeschlossen. Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie kann dabei Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten in Höhe von höchstens 5 Prozent in Abzug bringen. Im Falle der Kostenerstattung nach § 129 Absatz 1 Satz 5 sind die der Krankenkasse entgangenen Rabatte nach § 130a Absatz 8 sowie die Mehrkosten im Vergleich zur Abgabe eines Arzneimittels nach § 129 Absatz 1 Satz 3 und 4 zu berücksichtigen; die Abschläge sollen pauschaliert werden. Die Versicherten sind an ihre Wahl der Kostenerstattung mindestens ein Kalendervierteljahr gebunden.
(3) Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach dem Neunten Buch werden nach § 18 des Neunten Buches erstattet.
(3a) Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (Medizinischer Dienst), eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung. Wird ein im Bundesmantelvertrag für Zahnärzte vorgesehenes Gutachterverfahren gemäß § 87 Absatz 1c durchgeführt, hat die Krankenkasse ab Antragseingang innerhalb von sechs Wochen zu entscheiden; der Gutachter nimmt innerhalb von vier Wochen Stellung. Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet. Die Krankenkasse berichtet dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen jährlich über die Anzahl der Fälle, in denen Fristen nicht eingehalten oder Kostenerstattungen vorgenommen wurden. Für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gelten die §§ 14 bis 24 des Neunten Buches zur Koordinierung der Leistungen und zur Erstattung selbst beschaffter Leistungen.
(4) Versicherte sind berechtigt, auch Leistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterliegen auf Grund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung. Es dürfen nur solche Leistungserbringer in Anspruch genommen werden, bei denen die Bedingungen des Zugangs und der Ausübung des Berufes Gegenstand einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft sind oder die im jeweiligen nationalen System der Krankenversicherung des Aufenthaltsstaates zur Versorgung der Versicherten berechtigt sind. Der Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie hat dabei ausreichende Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten in Höhe von höchstens 5 Prozent vorzusehen sowie vorgesehene Zuzahlungen in Abzug zu bringen. Ist eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum möglich, kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung auch ganz übernehmen.
(5) Abweichend von Absatz 4 können in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz Krankenhausleistungen nach § 39 nur nach vorheriger Zustimmung durch die Krankenkassen in Anspruch genommen werden. Die Zustimmung darf nur versagt werden, wenn die gleiche oder eine für den Versicherten ebenso wirksame, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit rechtzeitig bei einem Vertragspartner der Krankenkasse im Inland erlangt werden kann.
(6) § 18 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 gilt in den Fällen der Absätze 4 und 5 entsprechend.