Die Beitragsrechnung des Klägers landete beim Altpapier. © Adobe Stock: Andrei Korzhyts
Die Beitragsrechnung des Klägers landete beim Altpapier. © Adobe Stock: Andrei Korzhyts

Wann dürfen Krankenkassen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung erheben? Das war die Frage in einem Prozess vor dem Sozialgericht Potsdam. Der Kläger hatte mit seinem Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag geschlossen und erhielt anschließend monatliche Zahlungen aus einem Versorgungswerk.

 

Der Arbeitgeber hatte mit einem großen Versorgungswerk einen Vertrag geschlossen

 

Die FOVERUKA ist eine Versorgungs- und Unterstützungseinrichtung, die auch mit einem großen Arbeitgeber in Deutschland Versorgungsverträge für die dortigen Beschäftigten abgeschlossen hat. Beim Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis auf Veranlassung des Arbeitgebers zahlt die Einrichtung Versorgungen an die ehemaligen Beschäftigten, wenn diese die satzungsgemäßen Voraussetzungen erfüllt haben. Eine Krankenkasse aus der Pfalz forderte davon Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung – zu Unrecht wie das Sozialgericht Potsdam entschieden hat.

 

Ansprüche aus der Versorgungsregelung des vormaligen Arbeitgebers haben Belegschaftsmitglieder, die vor dem 1.1.1993 ein unbefristetes Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitgeber eingegangen waren, eine Wartezeit von zehn Dienstjahren erfüllen und das 55. Lebensjahr vollendet haben, wenn das Beschäftigungsverhältnis auf Veranlassung des Arbeitgebers beendet wird. Die Versorgungsleistung<s> </s>wird für jeden Monat nach dem Ausscheiden aus dem Unternehmen bis zum Tod des ehemaligen Belegschaftsmitglieds gezahlt.

 

Unter ähnlichen Voraussetzungen zahlt die FOVERUKA insbesondere auch Leistungen an ehemalige Belegschaftsmitglieder eines weltweit tätigen Automobilkonzerns. Die Entscheidung erlangt dadurch bundesweite Bedeutung.

 

Die Krankenkasse forderte Beiträge vom Kläger

 

Der vom DGB Rechtsschutz Berlin vertretene Kläger hatte die Voraussetzungen zum Bezug der FOVERKA erfüllt. Davon sollte er Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge zahlen. Sein Prozessbevollmächtigter, Michael Wittig, unterstützte ihn im Prozess erfolgreich. Das Sozialgericht gab der Klage statt.

 

Das Gesetz lege bei versicherungspflichtig Beschäftigten der Berechnung von Beiträgen in der Kranken- und Pflegeversicherung auch den Betrag einer Einnahme zugrunde, die mit einer Rente vergleichbar sei. Dazu zählten auch Versorgungsbezüge, heißt es im Urteil. Die gesetzliche Bestimmung gelte auch für Personen, die Arbeitslosengeld beziehen.

 

Der Rente vergleichbar seien auch Leistungen aus der betrieblichen Altersversorgung, soweit sie wegen einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit oder zur Alters- bzw. Hinterbliebenenversorgung erzielt würden. Eine Leistung sei der betrieblichen Altersversorgung zuzurechnen, wenn sie die Versorgung des*der Arbeitnehmer*in im Alter bezwecke, also der Sicherung des Lebensstandards nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben dienen solle.

 

Die betriebliche Altersversorgung unterscheide sich dadurch von sonstigen Zuwendungen des Arbeitgebers, die beispielsweise zur Überbrückung erwarteter Arbeitslosigkeit gezahlt würden oder Abfindungen für den Verlust des Arbeitsplatzes.

 

Überbrückungsleistungen sind keine Altersversorgung

 

Überbrückungsgelder, Überbrückungshilfen, Übergangsleistungen usw., für die keine Krankenversicherungsbeiträge gezahlt werden müssten, seien von Leistung des Arbeitgebers abzugrenzen, die der betrieblichen Altersversorgung dienten. Unabhängig von den subjektiven Vorstellungen und Beweggründen der Arbeitsvertragsparteien komme es auf den objektiven Inhalt der Leistung an. Dabei habe vor allem der vereinbarte Beginn der Leistung eine große Bedeutung.

 

Ein Versorgungsbezug liege nicht vor, wenn bei der Zusage von Übergangsbezügen, Überbrückungsgeldern usw. nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses für den Beginn der Zahlung auf ein Lebensalter abgestellt werde, dass nach allgemeiner Verkehrsanschauung typischerweise nicht schon als Beginn des Ruhestandes gelten könne und darüber hinaus eine befristete Zahlung bis zum Beginn der Altersrente vorgesehen sei.

 

Das Rentenalter ist ein maßgebliches Kriterium

 

Ein Lebensalter von 55 bis 60 Jahren könne noch nicht als Beginn des Ruhestandes gelten. Ein fester Zeitpunkt lasse sich jedoch nicht ermitteln. Auch bei einer niedrigeren Altersgrenze könne wegen besonderer Beanspruchungen der Berufsgruppe aus sachlichen Gründen eine betriebliche Altersversorgung in Betracht kommen. Das Bundessozialgericht habe dies beispielsweise bei der Zusage einer befristeten "Firmenrente" für Flugbegleiter ab dem 55. Lebensjahr so entschieden.

 

Selbst unbefristete Leistungen, die ein Arbeitgeber nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis anfänglich mit Überbrückungsfunktion auch über den Renteneintritt hinaus zahle, stellten zunächst keine Versorgungsbezüge dar. Dies würden sie erst ab dem Zeitpunkt des Renteneintritts, spätestens ab Erreichen der Regelaltersgrenze. Erst dann beginne die Beitragspflicht.

 

Im Beitragsrecht gelten auch Grundrechte

 

Das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 GG spreche gegen eine Beitragsbemessung unbefristeter, auch über den Renteneintritt hinaus gezahlter Leistungen, die eine anfängliche Überbrückungsfunktion hatten. Der Eingriff gegen dieses Grundrecht sei auch bei der Erhebung von Beiträgen des Versorgungsbezugs möglichst gering zu halten.

 

Im Hinblick darauf verbiete es sich, Überbrückungsleistungen allein deshalb als Versorgungsbezug einzuordnen, weil sie auf einer Versorgungsordnung beruhen, die (auch) Leistungen mit Versorgungsfunktion regele.

 

Umgekehrt dürfe auch eine Leistung mit anfänglichem Überbrückungszweck nicht allein deshalb insgesamt als beitragspflichtiger Versorgungsbezug betrachtet werden, weil die Überbrückungsfunktion später durch eine Versorgungsfunktion abgelöst werde. Das Gesetz fordere, beide Fälle differenziert zu betrachten.

 

Die Beitragspflicht gilt für rentenähnliche Einnahmen

 

Nach dem Recht der betrieblichen Altersversorgung würden als Versorgungsbezug nur diejenigen Leistungen gelten, die der Rente vergleichbar seien, „soweit sie wegen einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit oder zur Alters- oder Hinterbliebenenversorgung erzielt werden“. Die Zahlung habe erst mit dem Eintritt ins Rentenalter den Charakter einer Versorgung, die die gesetzliche Rente ergänze und ihren Ursprung in der Zusage des Arbeitgebers habe.

 

Der Beginn des tatsächlichen Rentenbezugs sowie die gesetzlich festgelegte Regelaltersgrenze seien einfache, leicht festzustellende Merkmale, anhand derer die Krankenkassen im Rahmen der Massenverwaltung für das Ende der Beitragsfreiheit solcher Leistungen anknüpfen könnten.

 

Berücksichtige man diese Grundsätze im Fall des Klägers, stehe fest, dass die Zahlung der FOVERUKA keine Einnahme darstelle, die zur Altersversorgung erzielt werde. Dabei spiele es keine Rolle, ob die in der Versorgungsordnung zugesagte Versorgungsleistung bei "normalem" Ruhestand eine starke Ähnlichkeit mit Renten der gesetzlichen Rentenversicherung aufweise und ein Zusammenhang bestehe zwischen dem Erwerb dieser Leistung und der früheren Beschäftigung.

 

FOVERUKA vor Vollendung des 60. Lebensjahr hat keine Versorgungsfunktion

 

Die Regelung für den vorzeitigen Ruhestand im Fall des Klägers sehe eine Versorgungsleistung ab dem 55. Lebensjahr nur vor, wenn ein Mitarbeiter auf Veranlassung des Arbeitgebers aus dem Beschäftigungsverhältnis ausscheide. Diese besondere Regelung, die für das Lebensalter zwischen dem 55. und dem 60. Geburtstag gelte, beinhalte gerade keine Altersvorsorgefunktion. Hier stehe die Überbrückungsfunktion der Leistung im Vordergrund.

 

Der Kläger habe in keiner Berufsgruppe mit besonderen Beanspruchungen gearbeitet, die die Wahl einer niedrigeren Altersgrenze im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung hätte erklären können. Dass bei älteren Arbeitnehmern die Gefahr besonders hoch sei, nach Verlust des Arbeitsplatzes bis zum Eintritt in den Ruhestand keine neue Beschäftigung zu finden, ändere an der Überbrückungsfunktion der Versorgungsleistung nichts. Solange der Kläger dem Arbeitsmarkt noch zur Verfügung stehe, liege gerade noch kein „Ausscheiden aus dem Erwerbsleben“ vor.

 

Dabei bleibe ohne Bedeutung, dass die Versorgungsleistung als „Betriebsrente" bezeichnet werde. Die Arbeitgeberleistung sei anhand objektiver Kriterien zu bestimmen. Die beklagte Krankenkasse habe daher zu Unrecht Beiträge von dieser Versorgungsleistung erhoben und müsse diese dem Kläger nun wieder zurückzahlen.

 

Hier geht es zum Urteil des Sozialgerichts Potsdam

Das sagen wir dazu:

Das Verfahren vor dem Sozialgericht Potsdam führte Michael Wittig von Rechtsschutzbüro Berlin. Er lässt uns wissen:

 

Wir haben neben diesem Verfahren noch weitere Verfahren in Berlin geführt (…). Leider gab es auch schon negative Entscheidungen, die aber eher so begründet wurden, dass es ungerecht sei, die Zahlungen nicht zu berücksichtigen.

Das SG Potsdam ist komplett unserer Argumentation gefolgt und hat als Maßstab die BSG-Entscheidung genommen. Dort war dem Lebensalter und der Lebenssituation eine große Bedeutung beigemessen worden. Auch wir hatten neben dem Lebensalter darauf abgestellt, dass Beschäftigung und Arbeitslosigkeit bis zum Eintritt in das Rentenalter unschädlich sind und die Regelung ab dem Rentenalter anders gestaltet ist. Das SG berücksichtigt auch die neuere Entscheidung des BSG (Lufthansa) zu gesundheitlichen/beruflichen Besonderheiten hinsichtlich des üblichen Rentenalters. Die Gegenseite hatte vorwiegend damit argumentiert, dass es doch ungerecht sei, wenn die Zahlung nicht berücksichtigt wird. Eine Auseinandersetzung mit den Kriterien aus der BSG-Rechtsprechung hinsichtlich des Charakters als Überbrückungsleistung erfolgte nicht. Wir hoffen, dass diese Auffassung auch in den noch anhängigen Verfahren Früchte trägt und auch andere Richter*innen sauber mit der Rechtsprechung argumentieren.“

 

Die FOVERUKA ist ein großes Versorgungswerk der Automobilindustrie. Dort laufen schon seit Jahren Programme, mit älteren Arbeitnehmer*innen Aufhebungsvereinbarungen unter Zahlung einer ähnlich gestalteten Versorgungsleistung abzuschließen. Dabei ist es wichtig, zu wissen, dass Krankenkassen von diesen Versorgungsleistungen nicht uneingeschränkt Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung erheben dürfen.

 

Eine rechtliche Überprüfung entsprechender Fälle ist daher in jedem Fall empfehlenswert.

                                               

Rechtliche Grundlagen

§ 226 SGB V

§ 226 Beitragspflichtige Einnahmen versicherungspflichtig Beschäftigter

(1) Bei versicherungspflichtig Beschäftigten werden der Beitragsbemessung zugrunde gelegt

1. das Arbeitsentgelt aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung,
2. der Zahlbetrag der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung,
3.der Zahlbetrag der der Rente vergleichbaren Einnahmen (Versorgungsbezüge),
4.das Arbeitseinkommen, soweit es neben einer Rente der gesetzlichen Rentenversicherung oder Versorgungsbezügen erzielt wird.

Dem Arbeitsentgelt steht das Vorruhestandsgeld gleich. Bei Auszubildenden, die in einer außerbetrieblichen Einrichtung im Rahmen eines Berufsausbildungsvertrages nach dem Berufsbildungsgesetz ausgebildet werden, steht die Ausbildungsvergütung dem Arbeitsentgelt gleich.

(2) Die nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 3 und 4 zu bemessenden Beiträge sind nur zu entrichten, wenn die monatlichen beitragspflichtigen Einnahmen nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 3 und 4 insgesamt ein Zwanzigstel der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buches übersteigen. Überschreiten die monatlichen beitragspflichtigen Einnahmen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 insgesamt ein Zwanzigstel der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buches, ist von den monatlichen beitragspflichtigen Einnahmen nach § 229 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 ein Freibetrag in Höhe von einem Zwanzigstel der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buches abzuziehen; der abzuziehende Freibetrag ist der Höhe nach begrenzt auf die monatlichen beitragspflichtigen Einnahmen nach § 229 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5; bis zum 31. Dezember 2020 ist § 27 Absatz 1 des Vierten Buches nicht anzuwenden. Für die Beitragsbemessung nach dem Arbeitseinkommen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 gilt § 240 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 4a entsprechend.

(3) Für Schwangere, deren Mitgliedschaft nach § 192 Abs. 2 erhalten bleibt, gelten die Bestimmungen der Satzung.

(4) Bei Arbeitnehmern, die gegen ein monatliches Arbeitsentgelt bis zum oberen Grenzbetrag des Übergangsbereichs (§ 20 Absatz 2 des Vierten Buches) mehr als geringfügig beschäftigt sind, gilt der Betrag der beitragspflichtigen Einnahme nach § 163 Absatz 10 des Sechsten Buches entsprechend.