Bildunterschrift: Wer zahlt, wenn das verloren geht? Copyright by Adobe Stock/Win Nondakowit
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Der Fall kam vor das Sozialgericht Speyer. Es hat mit Urteil vom 19. Februar 2021 entschieden.

Der erste Verlust des Hörgeräts

Ein Versicherter litt zum einen an einer beiderseitigen Schallempfindungs-störung. Zum anderen war er dement.
Wegen seiner Hörprobleme war er auf die Unterstützung durch ein Hörgerät angewiesen.
Dieses Hörgerät verlor der Versicherte im Jahr 2016. Die Krankenkasse bezahlte ihm eine neue Hörhilfe.
 

Der zweite Verlust des Hörgeräts

Im August 2018 kam auch dieses Ersatzhörgerät bei einem Kleiderwechsel in einer Klinik abhanden. Es landete in der Schmutzwäsche. Dort fand es ein Pfleger. Er legte das Hörgerät auf den Nachttisch des Versicherten. Wann und wie es von dort verschwunden ist, war nicht zu klären.
 

Die Krankenkasse weigert sich zu zahlen

Da der Versicherte unbedingt ein neues Hörgerät brauchte, beantragte er es bei seiner Krankenkasse. Die Kasse lehnte eine Kostenübernahme ab. Sie verwies zum einen darauf, dass sie bereits im Jahr 2016 eine neue Hörhilfe bezahlt habe. Zum anderen widerspreche eine nochmalige Kostenübernahme dem Wirtschaftlichkeitsgebot des Rechts der Krankenversicherung. Zum dritten habe der demente Mensch seine Sorgfaltspflicht in besonders schwerem Maße verletzt. Er habe das Gerät zumindest in eine Verpackung und in die Nachttischschublade legen müssen.
 

Der Versicherte wehrt sich

Er beschafft sich zunächst auf eigene Kosten ein neues Hörgerät. Die Kosten dafür betragen 1303 €. Davon übernimmt die Haftpflichtversicherung der Klinik 594,50 Euro.
Gegen den ablehnenden Bescheid der Krankenkasse legt der Versicherte mithilfe von Jurist*innen der DGB Rechtsschutz GmbH Widerspruch ein.
Die Krankenkasse weist den Widerspruch zurück.
Deshalb klagt der Versicherte beim Sozialgericht Speyer. Er möchte erreichen, dass die Krankenkasse ihm die verbleibenden 708,50 € ersetzt.
 

Die Rechtslage

Nach dem Sozialgesetzbuch V haben Versicherte einen Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, wenn diese im Einzelfall erforderlich sind, um eine Behinderung auszugleichen. Dieser Anspruch erstreckt sich auch darauf, dass verlorene Hilfsmittel zu ersetzen sind.
Lehnt die Krankenkasse eine solche Versorgung zu Unrecht ab, muss sie dem Versicherten diejenigen Kosten erstatten, die entstehen, wenn er sich das Hörgerät selbst beschafft.
Das Sozialgericht Speyer hatte deshalb zu entscheiden, ob die Krankenkasse die Kostenübernahme zu Unrecht verweigert hat.
 

Die Entscheidung des Sozialgerichts Speyer

Die Richter*innen haben sich mit allen Argumenten der Krankenkasse auseinandergesetzt.
 

  • Der Kläger hat bereits zum zweiten Mal ein Hörgerät verloren.

 
Nach Auffassung des Sozialgerichtes Speyer komme es alleine darauf an, ob eine Versorgung mit dem Hörgerät zum Ausgleich der Behinderung notwendig sei. Keine Rolle dagegen dürfe spielen, ob der Kläger bereits zuvor einmal seine Hörhilfe verloren habe. Denn die entsprechende Vorschrift im Sozialgesetzbuch V enthalte keine zeitliche oder zahlenmäßige Beschränkung des Anspruchs auf Versorgung mit den medizinisch notwendigen Hilfsmitteln.
 

  • Die (nochmalige) Ersatzbeschaffung verstößt gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot.

 
Richtig sei zwar, dass der Sozialgesetzbuch V die Krankenkasse verpflichte, nur Leistungen zu erbringen, die notwendig und wirtschaftlich sind.
Auch die Krankenkasse streite nicht ab, dass eine Versorgung des Klägers mit dem Hörgerät notwendig sei. Deshalb könne die Krankenkasse allenfalls einwenden, es gebe ein gleichwertiges, aber billigeres Hörgerät. Die Leistung ganz zu versagen, sei durch das Wirtschaftlichkeitsgebot nicht gedeckt.
 

  • Der Kläger hat seine Sorgfaltspflichten verletzt.

 
In diesem Zusammenhang argumentieren die Richter*innen in zwei Richtungen.
Zum einen sei dem Kläger keine Pflichtverletzung vorzuwerfen. Allein die Tatsache, dass das Hörgerät verloren gegangen sei, rechtfertige nicht den Schluss, der Kläger habe seine Sorgfaltspflicht verletzt. Denn der Kläger sei aufgrund seiner Demenz gar nicht in der Lage, auf sein Hörgerät „aufzupassen“.
Zum anderen stehe ein (unterstelltes) Verschulden des Klägers einer Leistungspflicht der Krankenkasse nicht entgegen. Denn Ansprüche gegen die Krankenkasse auf Hilfsmittel hingen grundsätzlich nicht davon ab, ob der Kläger ihre Notwendigkeit schuldhaft herbeigeführt habe.
 

Das Ergebnis

Die Krankenkasse lehnte die Finanzierung des Ersatzgerätes zu Unrecht ab. Deshalb hat das Gericht sie verurteilt, die beim Kläger verbliebenen Kosten in Höhe von 708,50 € zu erstatten.

Hier geht es zum Urteil

Rechtliche Grundlagen

Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477)
§ 33 Hilfsmittel
(1) Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind. Die Hilfsmittel müssen mindestens die im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 Absatz 2 festgelegten Anforderungen an die Qualität der Versorgung und der Produkte erfüllen, soweit sie im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 Absatz 1 gelistet oder von den dort genannten Produktgruppen erfasst sind. Der Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln zum Behinderungsausgleich hängt bei stationärer Pflege nicht davon ab, in welchem Umfang eine Teilhabe am Leben der Gemeinschaft noch möglich ist; die Pflicht der stationären Pflegeeinrichtungen zur Vorhaltung von Hilfsmitteln und Pflegehilfsmitteln, die für den üblichen Pflegebetrieb jeweils notwendig sind, bleibt hiervon unberührt. Für nicht durch Satz 1 ausgeschlossene Hilfsmittel bleibt § 92 Abs. 1 unberührt. Der Anspruch umfasst auch zusätzlich zur Bereitstellung des Hilfsmittels zu erbringende, notwendige Leistungen wie die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln, die Ausbildung in ihrem Gebrauch und, soweit zum Schutz der Versicherten vor unvertretbaren gesundheitlichen Risiken erforderlich, die nach dem Stand der Technik zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit und der technischen Sicherheit notwendigen Wartungen und technischen Kontrollen. Ein Anspruch besteht auch auf solche Hilfsmittel, die eine dritte Person durch einen Sicherheitsmechanismus vor Nadelstichverletzungen schützen, wenn der Versicherte selbst nicht zur Anwendung des Hilfsmittels in der Lage ist und es hierfür einer Tätigkeit der dritten Person bedarf, bei der durch mögliche Stichverletzungen eine Infektionsgefahr besteht oder angenommen werden kann. Zu diesen Tätigkeiten gehören insbesondere Blutentnahmen und Injektionen. Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in seiner Richtlinie nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 bis zum 31. Januar 2020 die Tätigkeiten, bei denen eine erhöhte Infektionsgefährdung angenommen werden kann. Wählen Versicherte Hilfsmittel oder zusätzliche Leistungen, die über das Maß des Notwendigen hinausgehen, haben sie die Mehrkosten und dadurch bedingte höhere Folgekosten selbst zu tragen. § 18 Absatz 6a des Elften Buches ist zu beachten.
(2) Versicherte haben bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres Anspruch auf Versorgung mit Sehhilfen entsprechend den Voraussetzungen nach Absatz 1. Für Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, besteht der Anspruch auf Sehhilfen, wenn sie
1.
nach ICD 10-GM 2017 auf Grund ihrer Sehbeeinträchtigung oder Blindheit bei bestmöglicher Brillenkorrektur auf beiden Augen eine schwere Sehbeeinträchtigung mindestens der Stufe 1 oder
2.
einen verordneten Fern-Korrekturausgleich für einen Refraktionsfehler von mehr als 6 Dioptrien bei Myopie oder Hyperopie oder mehr als 4 Dioptrien bei Astigmatismusaufweisen; Anspruch auf therapeutische Sehhilfen besteht, wenn diese der Behandlung von Augenverletzungen oder Augenerkrankungen dienen. Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in Richtlinien nach § 92, bei welchen Indikationen therapeutische Sehhilfen verordnet werden. Der Anspruch auf Versorgung mit Sehhilfen umfaßt nicht die Kosten des Brillengestells.
(3) Anspruch auf Versorgung mit Kontaktlinsen besteht für anspruchsberechtigte Versicherte nach Absatz 2 nur in medizinisch zwingend erforderlichen Ausnahmefällen. Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in den Richtlinien nach § 92, bei welchen Indikationen Kontaktlinsen verordnet werden. Wählen Versicherte statt einer erforderlichen Brille Kontaktlinsen und liegen die Voraussetzungen des Satzes 1 nicht vor, zahlt die Krankenkasse als Zuschuß zu den Kosten von Kontaktlinsen höchstens den Betrag, den sie für eine erforderliche Brille aufzuwenden hätte. Die Kosten für Pflegemittel werden nicht übernommen.
(4) Ein erneuter Anspruch auf Versorgung mit Sehhilfen nach Absatz 2 besteht für Versicherte, die das vierzehnte Lebensjahr vollendet haben, nur bei einer Änderung der Sehfähigkeit um mindestens 0,5 Dioptrien; für medizinisch zwingend erforderliche Fälle kann der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Ausnahmen zulassen.
(5) Die Krankenkasse kann den Versicherten die erforderlichen Hilfsmittel auch leihweise überlassen. Sie kann die Bewilligung von Hilfsmitteln davon abhängig machen, daß die Versicherten sich das Hilfsmittel anpassen oder sich in seinem Gebrauch ausbilden lassen.
(5a) Eine vertragsärztliche Verordnung ist für die Beantragung von Leistungen nach den Absätzen 1 bis 4 nur erforderlich, soweit eine erstmalige oder erneute ärztliche Diagnose oder Therapieentscheidung medizinisch geboten ist. Abweichend von Satz 1 können die Krankenkassen eine vertragsärztliche Verordnung als Voraussetzung für die Kostenübernahme verlangen, soweit sie auf die Genehmigung der beantragten Hilfsmittelversorgung verzichtet haben. § 18 Absatz 6a des Elften Buches ist zu beachten.
(5b) Sofern die Krankenkassen nicht auf die Genehmigung der beantragten Hilfsmittelversorgung verzichten, haben sie den Antrag auf Bewilligung eines Hilfsmittels mit eigenem weisungsgebundenem Personal zu prüfen. Sie können in geeigneten Fällen durch den Medizinischen Dienst vor Bewilligung eines Hilfsmittels nach § 275 Absatz 3 Nummer 1 prüfen lassen, ob das Hilfsmittel erforderlich ist. Eine Beauftragung Dritter ist nicht zulässig.
(6) Die Versicherten können alle Leistungserbringer in Anspruch nehmen, die Vertragspartner ihrer Krankenkasse sind. Vertragsärzte oder Krankenkassen dürfen, soweit gesetzlich nicht etwas anderes bestimmt ist oder aus medizinischen Gründen im Einzelfall eine Empfehlung geboten ist, weder Verordnungen bestimmten Leistungserbringern zuweisen, noch die Versicherten dahingehend beeinflussen, Verordnungen bei einem bestimmten Leistungserbringer einzulösen. Die Sätze 1 und 2 gelten auch bei der Einlösung von elektronischen Verordnungen.
(7) Die Krankenkasse übernimmt die jeweils vertraglich vereinbarten Preise.
(8) Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, leisten zu jedem zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgegebenen Hilfsmittel als Zuzahlung den sich nach § 61 Satz 1 ergebenden Betrag zu dem von der Krankenkasse zu übernehmenden Betrag an die abgebende Stelle. Der Vergütungsanspruch nach Absatz 7 verringert sich um die Zuzahlung; § 43c Abs. 1 Satz 2 findet keine Anwendung. Die Zuzahlung bei zum Verbrauch bestimmten Hilfsmitteln beträgt 10 vom Hundert des insgesamt von der Krankenkasse zu übernehmenden Betrags, jedoch höchstens 10 Euro für den gesamten Monatsbedarf.
(9) Absatz 1 Satz 6 gilt entsprechend für Intraokularlinsen beschränkt auf die Kosten der Linsen.