Mit dieser Frage beschäftigte sich sowohl das Bundesarbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz.
Wer ist bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten zuständig?
Schadensregulierung in diesen Fällen ist grundsätzlich Sache der Berufsgenossenschaften. Sie erhalten ihre finanziellen Mittel von den Arbeitgebern. Deshalb hat der Gesetzgeber im Sozialgesetzbuch VII ausdrücklich geregelt, dass eine zusätzliche Haftung des Arbeitgebers nur in Betracht kommt, wenn er den Schaden vorsätzlich herbeigeführt hat.
Ob ein Arbeitgeber bei Arbeitsunfall oder Berufskrankheit haftet, ist wichtig für die Frage, ob eine Anspruch auf Schmerzendgeld bestehen kann. Denn Schmerzensgeld gehört in aller Regel nicht zum Leistungskatalog der Berufsgenossenschaften.
Wann ist ein Schaden vorsätzlich herbeigeführt?
Vorsatz ist nach dem Bundesarbeitsgericht das Wissen und Wollen des rechtswidrigen Erfolgs. Mit „Erfolg“ ist dabei hier der Eintritt eines Personenschadens gemeint. Der Arbeitgeber muss also nicht nur bewusst und gewollt gegen Schutzbestimmungen verstoßen haben. Er muss auch den Personenschaden vorausgesehen und zumindest billigend in Kauf genommen haben. Den „Erfolg“ zu wünschen oder gar zu beabsichtigen, ist dagegen nicht erforderlich.
Wann nimmt der Arbeitgeber einen Personenschaden billigend in Kauf?
Den gesundheitlichen Schutz von Arbeitnehmer*innen sicherzustellen, ist der Zweck zahlreicher Gesetze und Verordnungen. So gibt es beispielsweise die Arbeitsstättenverordnung ebenso wie die Lastenhandhabungsverordnung oder die Technischen Regeln für Gefahrstoffe.
Im Fall des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz war die Klägerin der Meinung, dass allein schon aus einem vorsätzlichen Verstoß des Arbeitgebers gegen eine solche Schutzvorschrift zwangsläufig zu folgern sei, er habe auch den daraus entstandenen Personenschaden billigend in Kauf genommen.
Wie beurteilt das Landesarbeitsgericht den Fall?
Die Rechtsauffassung des Landesarbeitsgerichts lässt sich mit einem „einerseits - andererseits“ beschreiben.
„Einerseits …“
Das Gericht ist der Ansicht, allein die vorsätzliche Missachtung von Schutzvorschriften reiche nicht, um generell ein vorsätzliches Handeln anzunehmen. Schließlich verbiete es sich, den vorsätzlichen Verstoß gegen Schutzvorschriften mit einer ungewollten Folge und eine gewollten Arbeitsunfall oder eine gewollte Berufskrankheit gleich zu behandeln. Wollte man so verfahren, führte dies zu einer Haftung des Arbeitgebers in nahezu allen denkbaren Fällen.
„Andererseits …“
Das Landesarbeitsgericht stellt unter Berufung auf eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aber auch fest:
„Es gibt … keinen allgemeinen Erfahrungssatz, dass derjenige, der vorsätzlich eine zugunsten des Arbeitnehmers bestehende Schutzvorschrift missachtet, eine Schädigung oder eine mögliche Berufskrankheit des Arbeitnehmers nicht billigend in Kauf nimmt.“
Von einem Vorsatz auch im Hinblick auf den Personenschaden sei beim Arbeitgeber insbesondere auszugehen, „wenn er sein Vorhaben trotz starker Gefährdung des betroffenen Rechtsguts durchführt, ohne auf einen glücklichen Ausgang vertrauen zu können, und es dem Zufall überlässt, ob sich die von ihm erkannte Gefahr verwirklicht oder nicht.“
Aber auch die Höhe der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts könne nicht das alleinige Kriterium sein. Deshalb sei „ … immer eine umfassende Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles erforderlich.“
Was heißt das für die Praxis?
Der Kläger muss im Haftungsprozess darlegen und nachweisen, dass der Arbeitgeber (auch) hinsichtlich des Personenschadens Vorsatz hatte. Deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, dass Arbeitnehmer*innen Tatsachen vortragen, die den Schluss auf einen entsprechenden Vorsatz zulassen. Dies können etwa Äußerungen des Arbeitgebers („Ist mir doch egal, wenn was passiert“) oder seine dauerhafte Nicht-Reaktion auf Hinweise der Mitarbeiter*innen auf ein hohes Gefährdungspotenzial oder Auflagen von zuständigen Behörden sein.
Wer in der Lage ist, solche Tatsachen nicht nur zu behaupten, sondern auch zu beweisen, hat bei Gericht gute Karten.
Hier finden Sie das vollständige Urteil des Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz vom 02. August 2018 - 5 Sa 298/17
Hier geht es zur Entscheidung des Bundesarbeitsgericht vom 20. Juni 2013 - 8 AZR 471/12
Rechtliche Grundlagen
Beschränkung der Haftung der Unternehmer
(1) 1Unternehmer sind den Versicherten, die für ihre Unternehmen tätig sind oder zu ihren Unternehmen in einer sonstigen die Versicherung begründenden Beziehung stehen, sowie deren Angehörigen und Hinterbliebenen nach anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatz des Personenschadens, den ein Versicherungsfall verursacht hat, nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 versicherten Weg herbeigeführt haben. 2Ein Forderungsübergang nach § 116 des Zehnten Buches findet nicht statt.
(2) Absatz 1 gilt entsprechend für Personen, die als Leibesfrucht durch einen Versicherungsfall im Sinne des § 12 geschädigt worden sind.
(3) Die nach Absatz 1 oder 2 verbleibenden Ersatzansprüche vermindern sich um die Leistungen, die Berechtigte nach Gesetz oder Satzung infolge des Versicherungsfalls erhalten.