Wer den ganzen Tag im Homeoffice arbeitet braucht auch mal eine Pause. © Adobe Stock: bnenin
Wer den ganzen Tag im Homeoffice arbeitet braucht auch mal eine Pause. © Adobe Stock: bnenin

Der Sachbearbeiter einer Krankenkasse aus dem Raum Bremen arbeitete in Vollzeit im Homeoffice. Im April 2021 erlitt er in der Mittagspause einen Unfall, als er stolperte und sich den Arm brach. Er hatte sich zuvor ein Hähnchen zum Mittagessen gekauft.

 

Für Arbeitnehmer:innen, die im Betrieb arbeiten, entschied das Bundessozialgericht bereits, dass auch Wege in der Arbeitspause zu einem anderen Ort zum Zweck der Nahrungsaufnahme oder des Einkaufs von Nahrungsmitteln für den alsbaldigen Verzehr am Arbeitsplatz unfallversichert sein können.

 

Der beabsichtigte Verzehr bzw. Einkauf von Nahrungsmitteln während der Arbeitszeit dient nämlich anders als der Einkauf oder Verzehr vor Arbeitsantritt der Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit. Damit wird die Fortsetzung der betrieblichen Tätigkeit gefördert.

 

Gilt das auch für Wegeunfälle im Homeoffice?

 

Beschäftigte in Vollzeit, welche im Homeoffice arbeiten, können ebenfalls während ihrer Arbeitszeit Wege außerhalb der Wohnung, zum Beispiel im Rahmen der Mittagspause, zurücklegen.

 

In der erstinstanzlichen Entscheidung des Sozialgerichts Stade hieß es hierzu, das Bundessozialgericht habe grundsätzlich entschieden, dass die mit der täglichen Mittagspause zusammenhängenden Wege vom Versicherungsschutz des Gesetzes umfasst seien. Sonstige, nach Belieben des:der Beschäftigten zurückgelegte Wege aus der eigenen Wohnung und dem dort eingerichteten Homeoffice zum Zwecke der Nahrungsaufnahme bzw. des Einkaufs seien demgegenüber nicht versichert. Ansonsten könne das jeweils zu jedem beliebigen Zeitpunkt auftretende Hungergefühl zu einem rund um die Uhr geltenden Versicherungsschutz führen.

 

Der Kläger habe den Weg vom Imbisswagen zum Homeoffice nicht zu einer beliebigen Uhrzeit zurückgelegt, sondern in seiner Mittagspause. Er habe sich dazu ordnungsgemäß aus dem Zeiterfassungssystem seines Arbeitgebers ausgebucht und damit den Beginn der Mittagspause dokumentiert. Für solche außerhalb der Wohnung bzw. des Homeoffice stattfindenden Unfälle habe immer schon Versicherungsschutz nach dem Gesetz bestanden.

 

Das Landessozialgericht betrachtet den Zusammenhang mit der Arbeit

 

Dem hat sich das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) nun in seinem Urteil vom 16. März 2023 angeschlossen. Es müsse ein innerer oder sachlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der zum Unfall führenden Verrichtung gegeben sein, so das LSG.

 

Der Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit sei von der Notwendigkeit geprägt, persönlich an der Arbeitsstelle anwesend zu sein und dort die betriebliche Tätigkeit zu verrichten. Darüber hinaus stünden Wege zur Nahrungsaufnahme während der Arbeitszeit unter Versicherungsschutz. Es handele sich beispielsweise um einen Weg zur Gaststätte, um dort Essen einzunehmen oder um einen Weg zum Lebensmittelgeschäft, um dort Lebensmittel oder Getränke zum Verzehr während der Mittagspause zu erwerben.

 

Diese Wege seien dadurch gekennzeichnet, dass sie regelmäßig unaufschiebbare, notwendige Handlungen darstellten, um die Arbeitskraft von Versicherten zu erhalten und es ihnen zu ermöglichen, die jeweilige betriebliche Tätigkeit fortzusetzen. Das Essen und Trinken selbst sowie der Aufenthalt am Ort der Nahrungsaufnahme seien in der Regel dem persönlichen Bereich zuzuordnende und damit nicht versicherte Betätigungen.

 

In der juristischen Literatur wird gestritten

 

Das LSG setzt sich im Urteil eingehend mit der Tätigkeit des Klägers und auch mit unterschiedlichen Rechtsmeinungen in der Literatur bzw. der Rechtsprechung auseinander. Dort werde teilweise die Auffassung vertreten, dass bei der Zurücklegung von Wegen zur und von der Nahrungsaufnahme, die aus der  Wohnung herausführten, kein Versicherungsschutz bestehe. Begründet werde dies im Wesentlichen damit, dass ein solcher Weg nicht in einer ähnlichen besonderen Beziehung zur Betriebstätigkeit stehe, wie bei der Ausübung der Tätigkeit in der Unternehmensstätte. Beschäftigte im Homeoffice könnten i.d.R. die Nahrung im häuslichen Bereich aufnehmen und seien nicht gleichermaßen z.B. auf ein Restaurant oder eine Kantine angewiesen.

 

Dieser Rechtsauffassung schließt sich das LSG ausdrücklich nicht an. Auch bei der Zurücklegung von Wegen aus dem Homeoffice zur und von der Nahrungsaufnahme bzw. dessen Erwerb zum alsbaldigen Verzehr bestehe grundsätzlich Unfallversicherungsschutz. Verwiesen wird hierbei einerseits auf die neuen Anforderungen bzw. Änderungen der (digitalen) Arbeitswelt mit einer Selbstbestimmtheit der Arbeit und einem sich entwickelnden Massenphänomen einer Beschäftigung im Homeoffice. Das führe dazu, dass der Schwerpunkt der (rechtlichen) Betrachtung nicht mehr auf den Ort von Arbeit zu legen sei, sondern dass überhaupt gearbeitet werde.

 

Homeoffice und betriebliche Tätigkeit müssen gleich behandelt werden

 

Andererseits gelte der Grundsatz der Gleichbehandlung, denn wer vollständig seine Arbeit zu Hause verrichte, dürfe nicht gezwungen sein, sein Homeoffice bzw. seine Wohnung überhaupt nicht mehr zu verlassen. Ferner erläutert das LSG, dass der Unternehmer auch bei den unter Versicherungsschutz stehenden Wegen vom Betriebssitz aus und zurück zur Nahrungsaufnahme die auf dem Weg befindlichen Gefahrenquellen nicht beherrsche. Die Risiken des öffentlichen Verkehrs träfen jede:n Teilnehmer:in in gleicher Weise, unabhängig davon, ob er:sie von seiner Privatwohnung oder vom betrieblichen Arbeitsplatz aus an den konkreten Unfallort gelangt sei.

 

Unter Berücksichtigung dessen sei jedenfalls ein Weg aus der Wohnung zum Zwecke einer privaten Nahrungsaufnahme bzw. dem Erwerb von Lebensmitteln zum alsbaldigen Verzehr als versichert anzusehen. Das gelte auch für den Kläger. Dieser habe am Unfalltag lediglich den einen Weg zum Kauf eines Hähnchens beabsichtigt, das er nach Rückkehr in seine Wohnung verzehren wollte. Weitere Wege zur Nahrungsaufnahme bzw. den Erwerb von Lebensmitteln in der Pause habe der Kläger nicht vorgesehen.

 

Das LSG ließ die Revision zum Bundessozialgericht zu

 

In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gebe es zur vorliegenden Fallkonstellation noch keine Entscheidung.

 

Mit der Anordnung des Arbeitgebers, die Arbeit im Homeoffice zu erbringen, ändere sich der Arbeitsort, der sich nun in der eigenen Wohnung befinde. Blieben Arbeitnehmer:innen während ihrer Homeoffice-Tätigkeit dabei in eine betriebliche Ablauforganisation eingebunden - wie hier der Kläger, der sein Telefon während seiner Pause zwecks Erreichbarkeit auf eine Kollegin umgestellt hatte -, sei auch eine direkte zeitliche und örtliche Einbindung der Nahrungsaufnahme bzw. des Erwerbs von Lebensmitteln zum alsbaldigen Verzehr außerhalb des Homeoffice unter Versicherungsschutz zu stellen.

 

Die in einem Revisionsverfahren zu entscheidende Rechtsfrage habe grundsätzliche Bedeutung, weil das Bundessozialgericht in einem Urteil aus dem Jahr 2013 zu diesem Thema bislang lediglich ausgeführt habe, im Fall eines in Vollzeit als Heim- oder Telearbeiter Tätigen, der von vornherein seine gesamte Arbeitszeit „zu Hause" zu erbringen habe, „möglicherweise aus Gleichheitsgründen zu fordern sein könnte“, dass jedenfalls ein Weg täglich zur Nahrungsaufnahme bzw. zur Versorgung mit Nahrungsmitteln unter Versicherungsschutz stehen müsse.

 

Unter anderem auch aufgrund des pandemiebedingten Massenphänomens des Homeoffice und der nicht abschließend in der unfallversicherungsrechtlichen Literatur geklärten Rechtslage bei Wegeunfällen zur Nahrungsaufnahme aus dem Homeoffice heraus halte der Senat eine höchstrichterliche Klärung für erforderlich.