Kann Cannabis-Konsum Versicherungsschutz ausschließen? Copyright by Kit_Viatkins/Fotolia
Kann Cannabis-Konsum Versicherungsschutz ausschließen? Copyright by Kit_Viatkins/Fotolia

Der 37 jährige Kläger erlitt am 4. Mai 2017 gegen 13.30 Uhr auf dem direkten Weg von seinem Wohnort zum Beschäftigungsort einen Verkehrunfall. Er war mit einem E-Fahrrad unterwegs und übersah einen von rechts kommenden Pkw dessen Fahrer nicht mehr rechtzeitig bremsen konnte. Mit dem Körper schlug der Kläger auf die Windschutzscheibe des Pkw auf.

Im Zuge des Ermittlungsverfahrens gab er an, dass er am Abend vor dem Unfall zwischen 20 und 22 Uhr eine Cannabis-Zigarette geraucht habe. Er habe regelmäßig Cannabis geraucht. Die Wirkung halte bei ihm aber nur wenige Stunden an, sodass er am nächsten Morgen nicht mehr unter Einfluss der Droge gestanden habe. Er habe das von rechts kommende Auto schlicht übersehen.

Berufsgenossenschaft verweist auf drogenbedingtes Fehlverhalten

Die beklagte Berufsgenossenschaft (BG) lehnte eine Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall ab. Allein aufgrund des nachgewiesenen THC-Werts von 10 ng/ml im Serum sei von einem drogenbedingten Fehlverhalten auszugehen.

Kein Wert für absolute Fahruntüchtigkeit mangels gesicherter Dosis-Wirkung-Beziehung bei Cannabis gegeben

Das Sozialgericht (SG) Osnabrück schloss sich der Einschätzung der BG nicht an. Denn, so das Gericht, ein verbotswidriges Handeln schließe den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nicht grundsätzlich aus.  Auch greife das sogenannte Rechtsinstitut der selbstgeschaffenen Gefahr nicht ein. Denn für Cannabis gebe es im Unterschied zu Alkohol keine gesicherte Dosis-Wirkung-Beziehung und damit auch keinen Wert für eine absolute Fahruntüchtigkeit. Allein aufgrund der Blutuntersuchung nach dem Unfall lasse sich deshalb keine konkrete Beeinträchtigung der Wegefähigkeit nachweisen. Auch reiche allein ein objektiv riskantes Verhalten nicht aus. Vielmehr müssten daher auch bei einem nachgewiesenen THC-Wert von 10 ng/ml im Serum immer Beweiszeichen vorliegen, die es nahelegen, dass der Versicherte zum Unfallzeitpunkt rauschmittelbedingt zu einer zweckgerichteten Absolvierung des Weges nicht mehr imstande gewesen ist. Hierfür trage die Beklagte die Beweislast.

Auch ohne Drogeneinfluss ist ein unachtsames Überqueren einer Straße möglich

Eine konkrete Beeinträchtigung des Klägers durch den Drogenkonsum zum Unfallzeitpunkt habe sich nicht feststellen lassen. Zwar habe sich dieser nicht an die Straßenverkehrsordnung gehalten, da er die Straße überquerte, ohne ausreichend auf den von rechts kommenden Verkehr zu achten. Dabei handele es sich aber zur Überzeugung des Gerichts nicht um ein klares Anzeichen für eine drogenbedingte Fahruntüchtigkeit. Vielmehr könne eine solche Unachtsamkeit auch ohne Drogeneinfluss geschehen. Das Gericht wies darauf hin, dass es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auch nicht den Versicherungsschutz beende, wenn ein Versicherter aus bloßer Unachtsamkeit die Fahrspur wechsele oder fahrlässig auf die Gegenfahrbahn gerate. Über den Verkehrsverstoß hinaus hätten weder die Zeugen noch die Notärzte irgendwie geartete drogenbedingte Anzeichen angegeben bzw. festgestellt.
 
Hier geht es zum vollständigen rechtskräftigen Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 07.02.2019

Rechtliche Grundlagen

§§ 7 und 8 SGB VII

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII)


§ 7 Begriff

(1) Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten.

(2) Verbotswidriges Handeln schließt einen Versicherungsfall nicht aus.


§ 8 Arbeitsunfall

(1) Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen.

(2) Versicherte Tätigkeiten sind auch

das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit,
[…]