Schwere Arbeit reicht alleine nicht aus. Copyright by Thomas Füssel/Fotolia
Schwere Arbeit reicht alleine nicht aus. Copyright by Thomas Füssel/Fotolia

Bereits 2009 hatte die Krankenkasse des Klägers die Anerkennung der Berufskrankheit Wirbelsäulenschäden bei der zuständigen Berufsgenossenschaft angezeigt. Der Kläger hatte Zeit seines Lebens körperlich schwer gearbeitet. Er war als Straßenbauer, Betonbauer, Zimmermann und auch als Hilfsarbeiter im Modellbau bei verschiedenen Arbeitgebern beschäftigt.
 
Rückenschmerzen traten erstmals 1991 auf Grund eines Bandscheibenvorfalls in der Lendenwirbelsäule auf. In den Folgejahren stellten die Ärzte schließlich auch Bandscheibenvorfälle in der Halswirbelsäule fest. Im Verfahren hieß es dann, eine Berufskrankheit der Lendenwirbelsäule könne nicht anerkannt werden, denn der Kläger habe auch in der Halswirbelsäule entsprechende Schäden. Es sei jedoch nicht nachgewiesen, dass auch diese entsprechenden beruflichen Belastungen ausgesetzt war.
 
Dies führte sodann zu der Entscheidung, dass die Erkrankung der Wirbelsäule insgesamt nicht beruflich bedingt sein könne. 2009 schied er Kläger wegen seines Gesundheitszustandes schließlich aus dem Erwerbsleben aus.
 

Langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten erforderlich

Die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit regelt das Gesetz zusammen mit der Berufskrankheitenverordnung. Die Berufskrankheit Lendenwirbelsäulenschäden liegt vor, wenn bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule gegeben sind. Diese müssen durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung verursacht worden sein. Schließlich müssen die Beschwerden zur Unterlassung der schädigenden Tätigkeit geführt haben.
 

Arbeitstechnischen Voraussetzungen bereits 1991 erfüllt

Die Berechnung der berufliche Belastung im Anerkennungsverfahren der Berufskrankheit Wirbelsäulenschäden erfolgt auf der Basis des sogenannten Mainz-Dortmunder-Dosismodells. Dies ist eine Berechnungsformel, die die Dauer der Belastung und die Schwere der zu hebenden Gewichte einbezieht. Daraus entsteht sodann ein Wert, der eine gewisse Mindestgröße haben muss. Ist diese Mindestgröße zumindest hälftig überschritten, liegen die arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Anerkennung der Berufskrankheit vor.
 
Der Kläger hatte diesen Schwellenwert bereits 1991 überschritten. Das stand nach langen, umfangreichen Ermittlungen des Gerichts fest.
 

Keine Anerkennung der Berufskrankheit bei Fehlen einer Voraussetzung

Die Berufskrankheit Wirbelsäulenschäden setzt voraus, dass bei einer versicherten Tätigkeit Einwirkungen oder Belastungen auf den Körper auftreten. Des Weiteren muss nachgewiesen sein, dass eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Wirbelsäule vorliegt, die durch die berufliche Belastung verursacht ist. Hier geht es um den ursächlichen Zusammenhang.
 
Das reicht aber insgesamt betrachtet immer noch nicht aus. Der*die Versicherte muss schließlich auch seine*ihre gefährdenden Tätigkeiten unterlassen. Es dürfen keine Arbeiten mehr verrichtet werden, die sich schädlich auf die Wirbelsäule auswirken können.
 
Fehlt eine dieser Voraussetzungen, kann die Berufskrankheit nicht anerkannt werden. Dabei müssen die berufliche Tätigkeit und der Körperschaden voll nachgewiesen sein. Für den Ursachenzusammenhang zwischen der Tätigkeit und der Bandscheibenerkrankung reicht jedoch die sogenannte hinreichende Wahrscheinlichkeit. Das ist rechtlich betrachtet mehr als die bloße Möglichkeit.
 

Langjähriges schweres Heben und Tragen für Lendenwirbelsäulenerkrankung erforderlich

Die Berufskrankheitenverordnung kennt eine beruflich bedingte Erkrankung der Halswirbelsäule und eine Erkrankung der Lendenwirbelsäule. Für beide stellt sie konkrete Anspruchsvoraussetzungen auf.
 
Bei der Lendenwirbelsäulenerkrankung sind das das langjährige Heben und Tragen schwerer Lasten oder eine Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung. Die Tätigkeit müsse grundsätzlich dazu geeignet sein, die Bandscheibenerkrankung hervorzurufen, so das Landessozialgericht.
 
Nach der Berechnungsgrundlage des Mainz-Dortmunder-Dosismodell sei das beim Kläger der Fall. Da Bandscheibenerkrankungen jedoch unterschiedliche Ursachen haben könnten, dürfe nun aber nicht von vorne herein darauf geschlossen werden, dass vorhandene Beschwerden auch beruflich bedingt seien.
 
Das heißt, die Berufskrankheit kann nicht einfach dann anerkannt werden, wenn die Arbeit schwer war und die Bandscheiben geschädigt sind. Die Gerichte müssen immer auch zusätzlich prüfen ob die Schäden wirklich von der Arbeit kommen. Das lässt sich natürlich nicht so einfach beurteilen. Das gilt vor allem für die Gerichte, die selbst keine medizinische Beurteilung abgeben können.
 

Konsensempfehlungen als Beurteilungshilfe

Einer gerichtlichen Entscheidung ist immer der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand bezogen auf die geltend gemachte Wirbelsäulenerkrankung zu Grunde zu legen. Das sei immer noch das 2005 von verschiedenen medizinischen Fachkapazitäten erstellte Konsenspapier, so das LSG.
 
Die Erkenntnisse der Konsensarbeitsgruppe aus dem Jahr 2005 seien auch nicht veraltet. Andere Veröffentlichungen stellten insofern eindeutig Einzelmeinungen dar.
 
Beim Kläger war nun eine bestimmte Konstellation der Konsensempfehlungen zu prüfen (B2).  Diese Konstellation sei nicht als Gesetz zu werten. Es handele sich dabei um eine Art Sachverständigengutachten. Wie ein Gutachten sei das daher dann auch im Verfahren zu berücksichtigen.
 

1992 nur ein Segment der Lendenwirbelsäule betroffen

Vorliegend geht das LSG davon aus, dass der Kläger 1992 ausreichend schwer gearbeitet hatte, um die Lendenwirbelsäule zu schädigen. Bereits 1991 seien jedoch erste Wirbelsäulenbeschwerden aufgetreten. Dies stehe einem Zusammenhang mit dem Beruf entgegen.
 
Auch sei 1991 und selbst 1996 nur ein Segment der Wirbelsäule betroffen gewesen. Auch das stünde der Anerkennung entgegen.
 
Die Konsensempfehlungen setzten Bandscheibenvorfälle in mehreren Segmenten voraus. Das Gericht ließ es bei seiner Entscheidung ausdrücklich offen, ob dafür ausreicht, wenn zwei Segmente der Lendenwirbelsäule Bandscheibenvorfälle aufweisen. Es gibt aber einen Hinweis darauf, es spreche viel dafür, Bandscheibenschäden in drei Segmenten zu fordern.
 
Beim Kläger spielte das allerdings keine Rolle. Bei ihm war zwar später ein zweiter Bandscheibenvorfall festgestellt worden. Das reichte zur Anerkennung aber nicht aus. Das Erkrankungsbild des Klägers habe nämlich bereits vor Erreichen des dafür erforderlichen Schwellenwertes der beruflichen Belastung vorgelegen.
 
Die Bandscheibenschäden in der Halswirbelsäule spielten letztlich keine Rolle mehr.
 
Trete ein Bandscheibenschaden vor Erreichen der erforderlichen Mindestbelastung auf, so spreche viel dafür, dass die Ursache der Erkrankung nicht im Beruf zu sehen sei. Die Berufung wurde daher nach einer fast zehnjährigen Verfahrensdauer zurückgewiesen. 
  

Links:

LSG Saarland
Praxistipp Merkblatt

Das sagen wir dazu:

Berufskrankheitenverfahren gehören zu den schwierigsten sozialgerichtlichen Prozessen. Das hat mit der Beweispflicht im Verfahren zu tun.

Es ist nämlich nicht etwa so, dass die Berufsgenossenschaften belegen müssten, dass eine Erkrankung nicht von einer belastenden Tätigkeit kommt. Nein, es ist umgekehrt. Die Versicherten haben zu belegen, dass ihre Erkrankung auf den Beruf zurückgeführt werden muss. Da reicht es dann zwar aus, wenn das hinreichend wahrscheinlich gemacht werden kann. Trotzdem ist auch das im Einzelfall schwierig.

Letztlich hat das damit zu tun, dass erst einmal nur gewisse Erkrankungen anerkannt werden können. Dafür gibt es dann sehr umfangreich festgeschriebene Voraussetzungen. All das regelt die Berufskrankheitenverordnung.

Zu dieser Berufskrankheitenverordnung gibt es inzwischen viel medizinische Literatur und auch eine Vielzahlt höchstrichterlicher Urteile. An all dem haben sich die Gerichte zu orientieren.

Für den Bereich der Wirbelsäulenerkrankung ist das unter anderem das Konsenspapier. Da haben sich viele Ärzte auf einen gemeinsamen Konsens bei der Frage der medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung der entsprechenden Berufskrankheit festgelegt. Das Konsenspapier umfasst fast alle denkbaren Konstellationen von Wirbelsäulenschäden. Legt man dies zu Grunde, bleibt für Gerichte im Einzelfall fast kein eigener Spielraum für eine Entscheidung mehr.