Raucher haben es in Verfahren, in welchen es um die Anerkennung einer beruflich bedingten Lungenerkrankung geht, immer schwer. Dass Rauchen ungesund ist, ist allgemein bekannt. Ärzte und Berufsgenossenschaften machen es sich deshalb oft allzu leicht. Das Rauchen ist für sie die wesentliche Ursache für eine Bronchialerkrankung. Oft wird anschließend jahrelang darum gestritten, ob, wie lange und wie viel geraucht wurde.

Aus dieser Masse der leider negativen Entscheidungen sticht ein Urteil des Sozialgerichts Stralsund positiv hervor. Unvoreingenommen setzt sich das Gericht mit der Ursache der Lungenerkrankung des Klägers auseinander und hat dabei offensichtlich auch Gutachter gefunden, die ebenso objektiv mit dem Thema umgingen.

Langjährige Praktiker*innen wissen: Allzu oft läuft es anders.

In der Stralsunder Werft wird viel geschweißt

Im Norden Deutschlands gibt es viele Werften. Dort liegen Schiffe, die Schweißer mühsam, teilweise unter Extrembedingungen reparieren. In der Stralsunder Schiffswerft sei bei Schweißarbeiten „die Hütte blau gewesen“, meinte ein Zeuge in dem vom DGB Rechtsschutzbüro Stralsund vertretenen Verfahren gegenüber dem Sozialgericht.

Man habe von seinen Kollegen nur noch den Lichtbogen gesehen, aber nicht mehr den Mann. Die Lüftung sei nicht ausreichend gewesen. Es habe nicht ausreichend Abluftschläuchen gegeben. Der Funkenflug habe die vorhandenen Schläuche regelmäßig beschädigt. Dennoch seien diese nur unzureichend gewartet und notdürftig mit Klebeband repariert worden.

Die BK Nr. 4115

Die Berufskrankheitenverordnung führt die „Lungenfibrose durch extreme und langwierige Einwirkung von Schweißrauchen und Schweißgasen - (Siderofibrose) als Krankheiten auf, die als Berufskrankheit anerkannt werden kann (Merkblatt zur Berufskrankheitenverordnung Nr. 4115). Zu dieser Erkrankung kommt es, wenn die Lunge Eisenoxide des Schweißrauches aufgenommen hat.

Sowohl die Berufsgenossenschaft als auch das Sozialgericht ermittelten in medizinischer Hinsicht umfangreich. Dabei stellte sich heraus, dass das Krankheitsbild des Klägers demjenigen der Berufskrankheit Nr. 4115 entsprach. Die Berufsgenossenschaft hielt ihm jedoch entgegen, er habe viele Jahre lang geraucht, so dass nicht feststehe, ob die Arbeit oder das Rauchen die Lungenerkrankung hervorgerufen habe.

Der Kläger bestätigte, er habe 15 Jahre lang bis zu 18 Zigaretten am Tag geraucht. Auch in den Arbeitspausen habe er zur Zigarette gegriffen. Die Jurist*innen vom Rechtsschutzbüro Stralsund argumentierten dazu, der Kläger wäre auch ohne das Rauchen gleichermaßen krank geworden.

Die Ursache der Erkrankung

Auch dazu ermittelte das Gericht und entschied zugunsten des Klägers. Es sei nicht erheblich, wie viel der Kläger geraucht habe. Denn die Belastung am Arbeitsplatz sei ebenfalls wesentlich gewesen, so dass der notwendige ursächliche Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit und der Erkrankung bestehe.

Die Lungenerkrankung des Klägers müsse dazu in rechtlicher Hinsicht wesentlich durch die versicherte berufliche Tätigkeit verursacht worden sein. Es komme deshalb darauf an, ob die von der Berufskrankheitenverordnung geforderten extremen und langjährigen Einwirkungen durch Schweißrauche und Schweißgase vorlägen und keine alternativen, nicht versicherten Ursachen bestünden.

An alternativen Erkrankungen kämen Leiden in Betracht, die mit einer erhöhten Eisenkonzentration in der Lunge einhergehen, zum Beispiel eine Hämochromatose oder Rheuma. Solche Krankheiten könnten der Anerkennung einer Berufskrankheit entgegenstehen.

E komme auch darauf an, wie der Kontakt mit dem schädigenden Stoff erfolgte und wie groß die Einwirkung gewesen sei. Das Krankheitsbild müsse ebenfalls genau geprüft werden. Es komme schließlich auch darauf an, wann die Erkrankung aufgetreten sei und wie sich eine eventuelle Alternativursache entwickelt habe.

Lungenfribrose durch Rauchen und Schweißen

Der Kläger sei Zigarettenrauch und Schweißgas ausgesetzt gewesen.

Das Inhalationsrauchen des Klägers wäre nach dem Ergebnis der eingeholten Gutachten für sich alleine nicht geeignet gewesen, die Veränderungen der Lungenfunktion zu verursachen. Das Rauchen habe die Schädigung allenfalls verstärkt.

Gebe es mehrere mögliche Ursachen für eine Erkrankung, sei zu prüfen, welche der Ursachen wesentlich für das Entstehen der Krankheit gewesen sei. Habe die außerberufliche Ursache eine überragende Bedeutung und sei daneben der beruflichen Kontakt zu den schädigenden Stoffen weniger gravierend gewesen, dränge sich der Eindruck auf, dass die Erkrankung auf außerberufliche Faktoren zurückgeführt werden müsse.

Einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Krankheit gebe es dann nicht.

Die überragende Bedeutung der Arbeitsplatzbelastung

Bestehe ein naturwissenschaftlich belegter, ursächlicher Zusammenhang zwischen einer beruflichen Einwirkung und einer Erkrankung, könne die berufliche Einwirkung als Ursache nicht deshalb verneint werden, weil es noch eine andere außerberufliche Einwirkung gegeben habe. Das widerspreche der Wertentscheidung des Gesetzgebers, wonach eine Berufskrankheit mit einer bestimmten, festgelegten Einwirkung in die Berufskrankheitenverordnung aufgenommen worden war.

Sowohl das Rauchen als auch das Schweißen hätten beim Kläger die Lungenerkrankung hervorrufen können. Es gebe mithin zwei wesentliche Ursachen. Die langjährige Belastung am Arbeitsplatz sei jedoch zu beachten.

Diese Ursache trete nicht hinter das unversicherten Risiko des Rauchens zurück. Dem Rauchen komme gegenüber der Arbeitsplatzbelastung keine überragende Bedeutung zu. Der Nikotingenuss allein erkläre im Übrigen die festgestellten Lungenveränderungen nicht.

Urteil des Sozialgericht Stralsund vom 14. Juni 2021 – S 14 U 3/18 hier im Volltext

Das Merkblatt zur Berufskrankheit Nummer 4115

Rechtliche Grundlagen

Merkblatt BK 4115

Merkblatt zur Berufskrankheit Nummer 4115
„Lungenfibrose durch extreme und langjährige Einwirkung von Schweißrauchen
und Schweißgasen - (Siderofibrose)“
Bek. des BMAS vom 30.12.2009 – IVa 4-45222-4115 -
GMBl 5/6/2010, S. 108 ff.
Der Ärztliche Sachverständigenbeirat “Berufskrankheiten” beim Bundesministerium für
Arbeit und Soziales hat das nachstehende Merkblatt zu der Berufskrankheit mit der
vorgenannten Legaldefinition verabschiedet, das hiermit bekannt gemacht wird.
Unter extremer und langjähriger Einwirkung von Schweißrauchen und Schweißgasen kann
nicht nur das Krankheitsbild der Siderose (vordergründig eher harmlos erscheinende „Eisentätowierung“ der Lunge) auftreten, sondern in deren Folge können - selten - auch Lungenfibrosen vorkommen. Nur solche Lungenfibrosen sind Gegenstand dieser Berufskrankheit.
....
Komplett: https://t1p.de/Merkblatt-zur-Berufskrankheit-Nummer-4115