Ehemaligem Bergmann wird einmalige Kapitalabfindung seiner Verletztenrente verweigert.
Ehemaligem Bergmann wird einmalige Kapitalabfindung seiner Verletztenrente verweigert.

Nach der Entscheidung des Sozialgerichts Dortmund vom 03.02.2016 dürfen Berufsgenossenschaften die Abfindung von Arbeitsunfallopfern mit dem Kapitalwert der Verletztenrente ablehnen, wenn nach ärztlicher Feststellung eine verkürzte Lebenserwartung des Betroffenen besteht.

Verminderte Lebenserwartung rechtfertigt Ablehnung der Rentenkapitalisierung

In der von der 17. Kammer des Dortmunder Sozialgerichts entschiedenen Sache ging es um einen Bergmann, der wegen einer Quarzstaublungenerkrankung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 % eine Unfallrente bezieht. Den Antrag des Bergmanns auf Kapitalisierung der Rente lehnte die Berufsgenossenschaft ab. Begründet wird dies damit, dass keine dem Abfindungszeitraum entsprechende Lebenserwartung bestehe.

Die gegen den ablehnenden Bescheid der Berufsgenossenschaft gerichtete Klage wies das Sozialgericht Dortmund ab, da der Unfallversicherungsträger bei der Ermessensentscheidung über die Abfindung einer Rente medizinische Erwägungen berücksichtigen dürfe.

Für statthaft erachteten es die Sozialrichter*innen, darauf zu achten, dass der Abfindungsbetrag und die voraussichtliche Rentenzahlung ohne Abfindung miteinander korrespondierten.

Da der Kläger mit sieben Stents im Herzbereich versorgt sei und ein ausgeprägtes kardiovaskuläres Risikoprofil aufweise, bestehe eine verminderte Lebenserwartung. Die Ablehnung der Rentenkapitalisierung sei daher gerechtfertigt.


Anmerkung:

Über 750 000 Bundesbürger*innen beziehen aus der gesetzlichen Unfallversicherung eine Rente. Voraussetzung hierfür ist ein bleibender Gesundheitsschaden nach einem Arbeitsunfall oder aufgrund einer Berufskrankheit. Normalerweise werden die Unfallrenten monatlich überwiesen. Es besteht aber auch die Möglichkeit, die Rente "kapitalisieren" zu lassen: auf zehn Jahre oder - bei geringer Erwerbsminderung - auf Lebenszeit.

Keine Rechtsanspruch auf einmalige Kapitalabfindung

Auf eine einmalige Kapitalabfindung besteht jedoch kein Rechtsanspruch. Die Berufsgenossenschaft hat einen Ermessensspielraum:

Die Abfindung einer Verletztenrente in Höhe von 20 v. H. der Vollrente steht, wie dem Wortlaut des § 76 Abs. 1 S. 1 SGB VII („können“) zu entnehmen ist, im Ermessen des Versicherungsträgers. Es handelt sich hierbei nicht um ein bloßes „Kompetenz-Kann“ Dies bedeutet, dass die Beklagte ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten hat (§ 39 Abs. 1 S. 1 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuchs - SGB I).

Anspruch auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens

Dem entsprechend hat der Kläger einen Anspruch auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens (vgl. § 54 Abs. 2 S. 2 SGG). Bei seiner Entscheidung hat der Versicherungsträger nach sachlichen Gesichtspunkten das eigene Verwaltungsinteresse und das Interesse des Versicherten gegeneinander abzuwägen. Dabei muss er seiner Ermessensentscheidung einen zutreffenden Sachverhalt zu Grunde legen

In dem vom Sozialgericht Dortmund entschiedenen Fall jedoch wurde dem wegen einer Quarzstaublungenerkrankung eine Unfallrente beziehenden ehemaligen Bergmann die einmalige Kapitalabfindung verweigert, weil die Berufsgenossenschaft davon ausging, dass bei dem Kläger eine verminderte Lebenserwartung bestehe.

Allein die Versorgung des Herzens mit sieben Stents im Herzbereich und ein ausgeprägtes kardiovaskuläres Risikoprofil lassen nicht zwingend zu dem Ergebnis kommen, dass von einer verminderten Lebenserwartung auszugehen ist. Im Rahmen einer entsprechenden fachärztlichen/kardiologischen Behandlung kann man durchaus auch zu einem anderen Ergebnis kommen.

Sollte der Kläger gegen die für ihn ungünstige Entscheidung Berufung beim Landessozialgericht einlegen, werden wir über den weiteren Verlauf des Verfahrens berichten.

Hier gelangen Sie zur Pressemitteilung des Sozialgerichts Dortmund vom 15.03.2016.

Hier gelangen Sie zum Urteil des Landessozialgericht Baden-Württemberg vom 15.4.2010, Az: L 6 U 3418/09 zum Thema: „Abfindung einer Unfallrente in Höhe von 20 v H der Vollrente gem § 76 Abs 1 SGB 7 – Ermessensentscheidung.

Rechtliche Grundlagen

SGB VII § 76, SGB I § 39 und SGG § 54

SGB VII § 76
Abfindung bei Minderung der Erwerbsfähigkeit unter 40 vom Hundert

(1) Versicherte, die Anspruch auf eine Rente wegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von weniger als 40 vom Hundert haben, können auf ihren Antrag mit einem dem Kapitalwert der Rente entsprechenden Betrag abgefunden werden. Versicherte, die Anspruch auf mehrere Renten aus der Unfallversicherung haben, deren Vomhundertsätze zusammen die Zahl 40 nicht erreichen, können auf ihren Antrag mit einem Betrag abgefunden werden, der dem Kapitalwert einer oder mehrerer dieser Renten entspricht. Die Bundesregierung bestimmt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Berechnung des Kapitalwertes.

(2) Eine Abfindung darf nur bewilligt werden, wenn nicht zu erwarten ist, daß die Minderung der Erwerbsfähigkeit wesentlich sinkt.

(3) Tritt nach der Abfindung eine wesentliche Verschlimmerung der Folgen des Versicherungsfalls (§ 73 Abs. 3) ein, wird insoweit Rente gezahlt.


SGB I § 39
Ermessensleistungen

(1) Sind die Leistungsträger ermächtigt, bei der Entscheidung über Sozialleistungen nach ihrem Ermessen zu handeln, haben sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens besteht ein Anspruch.

(2) Für Ermessensleistungen gelten die Vorschriften über Sozialleistungen, auf die ein Anspruch besteht, entsprechend, soweit sich aus den Vorschriften dieses Gesetzbuchs nichts Abweichendes ergibt.

SGG § 54

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.