Eigentlich war es ja verboten. Während der Arbeitszeit duldete der Arbeitgeber nicht, dass seine Beschäftigten, die an Schleusen eingesetzt waren, duschten. Ausnahmen dafür gab es nur für Fälle, in denen es zu einer besonderen Verschmutzung gekommen war oder sich ein Sturz ins Wasser ereignete.
Der Kläger, Schichtleiter an einer Schleuse, befinde sich während seiner Arbeit in einem geschlossenen Raum, so dass es keine Notwendigkeit zum Duschen gebe, argumentierte die Berufsgenossenschaft im Verfahren.
Der Kläger duschte häufiger während der Pause
Dennoch hatte der Kläger eine Dusche genommen. Es sei üblich, sich auch während einer Kaffeepause mal schnell duschen zu gehen, wenn die telefonische Erreichbarkeit der Schleuse gesichert sei, äußerte sich der Mann. So habe es sich auch an einem Tag im Januar 2021 ereignet. Besonders verschmutzt sei er am betreffenden Tag nicht gewesen, sondern lediglich verschwitzt, da er aufgrund eines Hochwassers viel habe laufen und die Kurbeln von Hand bedienen müssen, um das Wasser beim Durchschleusen unter Kontrolle zu halten.
Der Kläger wollte nach dem Duschen ein Handtuch greifen, ist dabei jedoch an ein wegen Umbauarbeiten lose herabhängendes Kabel gekommen und erlitt einen Stromschlag. Der dadurch verursachte Sturz führte zu mehreren Knochenverletzungen.
Die Berufsgenossenschaft hatte kein Einsehen und lehnte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab. Die Jurist:innen des DGB Rechtsschutzbüros Bad Kreuznach vertraten den Betroffenen erfolgreich im sozialgerichtlichen Verfahren.
Auf den Zusammenhang kommt es an
Zwischen der tatsächlich verrichteten Tätigkeit zum Zeitpunkt des Unfallereignisses und der eigentlichen beruflichen Tätigkeit müsse es einen Zusammenhang geben, führt das Sozialgericht in seinem Urteil aus. Maßgebliches Kriterium für die wertende Entscheidung darüber sei, ob der Versicherte eine dem Beschäftigungsverhältnis dienende Verrichtung ausüben wollte und ob diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände bestätigt werde.
Dies sei anhand einer Gesamtabwägung und anschließenden Bewertung zu beurteilen. Es komme dabei darauf an, ob die jeweilige Verrichtung noch innerhalb der Grenze liege, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der Gesetzlichen Unfallversicherung reiche.
Zur Motivationslage des Klägers, sich zu duschen, gab es aus Sicht des Gerichts schon ausreichende Vorermittlungen. Danach stand fest, dass am Unfalltag ein besonderer, betrieblich bedingter Anlass bestand, der den Kläger zum Duschen veranlasste. Der Kläger habe nämlich nicht generell am Ende jeder Arbeitsschicht bzw. vor jeder Heimfahrt sozusagen routinemäßig aus Eigeninteresse geduscht, sondern nur bei betrieblich bedingtem Erfordernis – so das Sozialgericht.
Die Arbeit brachte den Kläger zum Schwitzen
Es sei am Unfalltag so gewesen, dass der Kläger händische und damit anstrengende Arbeiten an der Schleuse bzw. den Kurbeln zu erledigen hatte, weil er wegen eines Hochwassers eine Gefahrensituation abwenden musste. Durch einen manuellen Kurbelbetrieb habe sich der Kläger angestrengt und deshalb geschwitzt. Außerdem habe das Fett des Zahnradmechanismus bei ihm auch zu einer Verschmutzung geführt.
Der Kläger habe deshalb aus Gründen, die durch die versicherte Tätigkeit veranlasst gewesen seien, geduscht. Eine nachfolgend noch durchzuführende Schichtübergabe sei dann möglicherweise auch als weitere Motivation für eine vorherige Dusche hinzugetreten, was aber nicht entscheidend gewesen sei.
Duschen aus persönlicher Motivation kann auch zu einem Arbeitsunfall führen
Trotz des eigenwirtschaftlichen Charakters einer Verrichtung – wie das Duschen - sei durchaus ausnahmsweise ein innerer Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit anzunehmen, wenn nämliche eine objektiv gefährliche Betriebseinrichtung den Unfall des Versicherten wesentlich verursacht habe. So sehe es auch das Bundessozialgericht (BSG).
Zu Unfällen während einer Dienstreise habe das BSG beispielsweise entschieden, dass für die ausnahmsweise Ausweitung des gesetzlichen Unfallversicherungsschutzes zwei Voraussetzungen erfüllt sein müssten:
Erforderlich sei zum einen, dass die Gefahr sich bei solchen privaten Verrichtungen des täglichen Lebens auswirke, die auch während einer Dienst- oder Geschäftsreise zwangsläufig anfielen, mit der Folge, dass sich der Versicherte der Gefährdung nicht entziehen könne. Ein betrieblicher Bezug sei deshalb gegeben, wenn besondere gefahrbringende Umstände am Ort des Dienstgeschäfts Unfälle beispielsweise bei der Nachtruhe, der Körperreinigung oder der Nahrungsaufnahme einschließlich der damit zusammenhängenden Wege verursachten. Der Kläger sei während der Körperreinigung auf dem Weg zum Abtrocknen verunglückt. Dieser Gesichtspunkt stehe damit einer Bewertung als Arbeitsunfall nicht entgegen.
Als weitere Voraussetzung für die Annahme eines betrieblichen Zusammenhangs habe das Bundessozialgericht festgelegt, dass es sich um eine Gefahrenquelle handeln müsse, die in ihrer besonderen Eigenart dem Versicherten am Wohn- oder Betriebsort nicht begegnet wäre. Ein Unfall, der sich bei einer dem persönlichen Lebensbereich zugehörigen und deshalb an sich unversicherten Tätigkeit ereigne, könne dadurch dennoch ausnahmsweise einen betrieblichen Bezug aufweisen, wenn er nämlich durch eine gefährliche Einrichtung ausgelöst werde, die zu benutzen der Versicherte wegen des auswärtigen Dienstgeschäfts gezwungen sei.
Der Versicherungsschutz greift hier nur ausnahmsweise
Die damit verbundene Ausweitung des Versicherungsschutzes habe jedoch Ausnahmecharakter; sie sei nur gerechtfertigt, soweit sich die aus der Dienstreise erwachsenen Unfallgefahren nach Art und Ausmaß von den vielfältigen alltäglichen Risiken abheben würden, denen jeder Mensch auch in seinem gewohnten Lebensumfeld ausgesetzt sei.
Im Fall des Klägers habe sich eine Gefahrensituation eröffnet und verwirklicht, die sich nach Art und Ausmaß von den vielfältigen alltäglichen Risiken des Lebens abhebe. Weder entspreche es dem täglichen Lebensrisiko, dass ein lose hängendes, unisoliertes Kabel Strom führe, noch habe der Kläger im vorliegenden Fall damit rechnen müssen.
Es bestand eine besondere Gefahrenlage
Unter diesen Voraussetzungen hatte das Sozialgericht keine Bedenken, festzustellen, dass der Kläger auch dann, wenn der Duschvorgang einer eigenwirtschaftlichen Verrichtung zugeordnet werden müsste, zum Unfallzeitpunkt unter dem Schutz der Gesetzlichen Unfallversicherung stand. Es sei zu einer besonderen, vom Betrieb geschaffenen Gefahrenlage gekommen, die sich von den alltäglichen Lebensrisiken abhob und mit der der Kläger nicht habe rechnen müssen.
Die Ablehnung des Ereignisses als Arbeitsunfall durch die Beklagte im angefochtenen Bescheid erwies sich daher als rechtswidrig und verletzte den Kläger in seinen subjektiven Rechten. Die beklagte Berufsgenossenschaft wird nun prüfen müssen, in welcher Höhe dem Verletzten eine Unfallrente zu zahlen ist und welche Behandlungskosten zu übernehmen sind.