Es kam zum Streit, als der Fahrdienstleiter einen Platzverweis erteilte.
© Adobe Stock - Von FoRoSo
Es kam zum Streit, als der Fahrdienstleiter einen Platzverweis erteilte. © Adobe Stock - Von FoRoSo

Der Fahrdienstleiter hatte während der Spätschicht an seinem Auto einen Obdachlosen gesehen, der eine Dose auf das Auto stellte. Er bat den Mann, die Dose zu entfernen. Die Situation eskalierte, nachdem er ihn später ein zweites Mal aufforderte, den abgesperrten Bereich des Bahngeländes zu verlassen.

 

Besteht ein Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit?

 

Der Arbeitgeber verneinte dies und lehnte es ab, das Ereignis als Arbeitsunfall anzuerkennen. Es hieß, die Sachbeschädigung durch den Obdachlosen und der daraus eskalierende körperliche Streit stünden nicht in einem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit als Fahrdienstleiter. Bei dem Versuch, den Obdachlosen von seinem Kfz abzuhalten, habe der Kläger allein eigenwirtschaftlich gehandelt.

 

Der Fahrdienstleiter erhob Widerspruch. Er wies darauf hin, dass sich die Person widerrechtlich auf dem Gelände der Deutschen Bahn befand und er ihr einen Platzverweis erteilt hat, da er in diesem Moment als einziger anwesender Mitarbeiter das Hausrecht im Bahnhof innehatte. Es habe sich demnach in erster Linie um eine berufliche Tätigkeit gehandelt und die Eskalation und der Angriff seien erst entstanden, als er der Person einen Platzverweis erteilt habe.

 

Die Deutsche Bahn wies den Widerspruch zurück, da die Handlungstendenz durch eine eigenwirtschaftliche Motivationslage geprägt gewesen sei.

 

Mit Hilfe des DGB Rechtschutzbüros Düsseldorf kam es zum Klageverfahren beim Sozialgericht Trier. Nach richterlicher Einschätzung handelt es sich bei dem Ereignis aus März 2018 um einen Arbeitsunfall.

 

Dabei setzt ein Arbeitsunfall voraus, dass

  • die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls einer versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang),
  • diese Verrichtung wesentlich ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis (Unfallereignis) verursacht hat (Unfallkausalität) und
  • das Unfallereignis wesentlich einen Gesundheitsschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität).

 

Handeln mit gemischter Motivationslage

 

Nach Auffassung des Gerichts hat zum Zeitpunkt des Platzverweises ein Handeln mit gemischter Motivationslage bestanden. Dabei setzen gemischte Tätigkeiten (zumindest) zwei gleichzeitig ausgeübte untrennbare Verrichtungen voraus, von denen (wenigstens) eine den Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt. Dabei dürfen sich beide gleichzeitig ausgeübten Verrichtungen auch nicht in nacheinander liegende Anteile zerlegen lassen.

 

Von der gemischten Tätigkeit ist ein Handeln mit gemischter Motivationslage abzugrenzen. Bei diesem wird nur eine einzige Verrichtung ausgeübt, die aber gleichzeitig sowohl einen privatwirtschaftlichen als auch betrieblichen Zweck verfolgt. Daher wird auch von Tätigkeiten mit einer gespaltenen Handlungstendenz gesprochen (Urteil des BSG vom 9. November 2010 - B 2 U 14/10 R). Eine solche Verrichtung mit gemischter Motivationstage erfüllt dann den Tatbestand der versicherten Tätigkeit, wenn das konkrete Geschehen hypothetisch auch ohne die private Motivation des Handelns vorgenommen worden wäre.

 

Das Sozialgericht nimmt hier eine gemischte Motivationslage an. Dabei geht es nicht davon aus, dass die Erteilung des Platzverweises objektiv betrachtet überwiegend eigenwirtschaftlich geprägt war.

Es sei insbesondere nicht zu erkennen, dass der Kläger eine Tätigkeit mit gemischter Motivationslage ausgeübt hat, die er hypothetisch auch ohne die private Motivation nicht vorgenommen hätte.

 

Bei der Erteilung des Platzverweises handelte es sich um eine versicherte Tätigkeit

 

Der Kläger hatte in der mündlichen Verhandlung zugestanden, dass er natürlich über die Verunreinigung seines Kfz verärgert war. Er habe aber auch die Sicherheit am Bahnhof zu jeder Zeit gewährleisten müssen. Für das Gericht erklärte er glaubhaft, dass zu keiner Zeit ein Aufenthalt betriebsfremder Personen in dem gesperrten Bereich toleriert werden kann und wird.

 

Im konkreten Fall ist also von einem Arbeitsunfall auszugehen, da der Fahrdienstleiter auch ohne die Bierdose auf seinem Auto den alkoholisierten Mann des Bahngeländes verwiesen hätte, was zu dem Streit und dem Angriff führte.

 

Sozialgericht Trier, Urteil vom 8. November 2022 – S 6 U 30/22