Die verstorbene Ehefrau des Klägers bezog bis Februar 2015 Arbeitslosengeld. Arbeitslos wurde sie, weil ihr ehemaliger Arbeitgeber insolvent war. Nachdem das Arbeitsverhältnis beendet war, bestand von August 2012 bis Februar 2013 ein befristetes Beschäftigungsverhältnis mit einer Transfergesellschaft.

 

DRV verweigert abschlagsfreie Altersrente für besonders langjährig Versicherte

 

Zu Oktober 2015 beantragte die Frau eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte. Den Antrag lehnte die Deutsche Rentenversicherung (DRV) ab. Die erforderliche Wartezeit von 45 Jahren sei nicht erfüllt. Die DRV bewilligte stattdessen eine Altersrente für langjährig Versicherte mit gemindertem Zugangsfaktor.

 

Wie war die Rentenversicherung darauf gekommen, die Wartezeit sei nicht erfüllt? Sie hatte die zwei Jahre mit Bezug von Arbeitslosengeld außen vorgelassen. Diese Zeiten könnten nicht auf die Wartezeit von 45 Jahren angerechnet werden, hieß es.

 

Die Wartezeit bei der Altersrente für besonders langjährig Versicherte

 

Wer 45 Jahre Rentenbeiträge gezahlt hat, kann mit 63 Jahren Altersrente ohne Abschläge bekommen. In die 45 Jahre fließen auch Zeiten der Arbeitslosigkeit mit ein, allerdings nicht, wenn man in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn Arbeitslosengeld bezogen hat. Diese Zeiten werden nicht berücksichtigt.

 

Das Gesetz regelt aber zwei Ausnahmen. Eine davon für den Fall, wenn Arbeitslosengeld deshalb bezogen wurde, weil der Arbeitgeber in Insolvenz gegangen ist.

 

War der Bezug von Arbeitslosengeld durch die Insolvenz bedingt?

 

Das verneinte die DRV. Als Mitglied der IG Metall konnte die Frau über den DGB Rechtsschutz dagegen klagen. Das Sozialgericht Gotha wies die Klage ab. Im Laufe des Berufungsverfahrens vor dem Thüringer Landessozialgericht (LSG) verstarb die Ehefrau des Klägers, der den Rechtsstreit im Rahmen der Sonderrechtsnachfolge fortführte. Das LSG änderte die erstinstanzliche Entscheidung ab. Es verurteilt die DRV, dem Kläger ab Oktober 2015 eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte aus der Versicherung der verstorbenen Ehefrau zu zahlen. 

 

Da die DRV vor das Bundessozialgericht (BSG) zog, musste das oberste Gericht entscheiden, ob der Bezug von Arbeitslosengeld trotz der Transfergesellschaft durch die Insolvenz bedingt war. Das BSG bejahte diese Frage und wies die Revision der Rentenversicherung ab. Der Kläger war vertreten vom Gewerkschaftlichen Centrum für Revision und Europäisches Recht. 

 

DRV sieht die Transfergesellschaft als letzten Arbeitgeber

 

Die DRV berief sich darauf, dass es für die Frage, ob der Bezug von Arbeitslosengeld durch eine Insolvenz bedingt sei, immer auf den letzten Arbeitgeber ankomme. Damit habe man hier auf die Beschäftigung in der Transfergesellschaft abstellen müssen, die durch Auslauf der Befristung geendet habe.

 

Das BSG zog andere Schlüsse. Zwar habe die Versicherte unmittelbar vor dem Arbeitslosengeldbezug in einem Arbeitsverhältnis mit einer Transfergesellschaft gestanden. Bei wertender Betrachtung bliebe es aber dabei, dass die Insolvenz des vorherigen Arbeitgebers ursächlich für die Arbeitslosigkeit war.

 

Ohne Insolvenz kein Wechsel in die Transfergesellschaft

 

Maßgeblich für die Wertung ist der unmittelbare zeitliche und sachliche Zusammenhang zwischen Insolvenz des früheren Arbeitgebers und der Beschäftigung in der Transfergesellschaft. Arbeitnehmer, Insolvenzverwalter und Transfergesellschaft vereinbaren die Beendigung des ursprünglichen Arbeitsverhältnisses und begründen ein neues mit der Transfergesellschaft. Dabei ist der frühere Arbeitgeber in die Maßnahmen der Transfergesellschaft in verschiedener Hinsicht eingebunden.

 

Das BSG stellte auch auf den Zweck der Transfergesellschaften ab. Beschäftigte, deren Arbeitsplätze infolge betrieblicher Umstrukturierungen wegfallen, sollen möglichst nicht arbeitslos, sondern weiterqualifiziert und in reguläre Arbeitsverhältnisse vermittelt werden.

 

Im Ergebnis sei deshalb die Insolvenz des vorhergehenden Arbeitgebers ursächlich für den Wechsel in die Transfergesellschaft und damit auch für den Bezug von Arbeitslosengeld.

 

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Das sagen wir dazu:

Die Entscheidung des Bundessozialgerichts ist überzeugend und letztlich nicht überraschend. Denn das BSG hatte sich schon mit den Wartezeiten bei der Rente mit 63 zu befassen, wenn eine Transfergesellschaft im Spiel war.

 

In einem Fall ging es nicht um eine Insolvenz, sondern um eine vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers (BSG, Urteil vom 20. Mai 2020 – B 13 R 23/18 R). Das ist neben der Insolvenz des Arbeitgebers die zweite Ausnahme, wo die Arbeitslosigkeit unmittelbar vor der Rente bei der Wartezeit angerechnet wird. In dem Urteil heißt es: „Für die Prüfung, ob der "Bezug von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung" (§ 51 Absatz 3a SGB VI) durch die "vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers" bedingt ist, ist nicht nur auf den letzten Arbeitgeber vor dem Leistungsbezug abzustellen“. Nach der Lehre von der rechtlich wesentlichen Bedingung könne der Leistungsbezug auch durch Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe eines früheren Arbeitgebers bedingt sein, wenn diese unmittelbare Ursache für den Wechsel in ein befristetes Transferarbeitsverhältnis waren.

 

Anders als manche Landessozialgerichte übersieht das BSG den speziellen Zweck der Transfergesellschaft nicht. Hier wird keine reguläre Beschäftigung ausgeübt, sondern Beschäftigte aufgefangen, deren Arbeitgeber insolvent sind oder ihr Geschäft aufgeben müssen. Und Insolvenz und Geschäftsaufgabe sind der einzige Grund für die betroffenen Arbeitnehmer*innen in die Transfergesellschaft überzugehen. Wenn am Ende eine Vermittlung in einen neuen Job nicht klappt und es doch zur Arbeitslosigkeit kommt, wäre es alles andere als fair, wenn sich das bei der Wartezeit für die Rente mit 63 negativ auswirken würde.

 

Aber: Das gilt nur, wenn Insolvenz oder Geschäftsaufgabe tatsächlich vorliegen. Wer als Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis beendet und in die Transfergesellschaft wechselt, um einer drohenden Insolvenz oder Schließung des Betriebs zuvorzukommen, wird seine 45 Jahre nicht voll bekommen, wenn er anschließend bis zur Rente arbeitslos ist. Auch einen solchen Fall hatte das BSG schon zu entscheiden (BSG, Urteil vom 12. März 2019 – B 13 R 19/17 R). Danach wird die Wartezeit einer Rente für besonders langjährig Versicherte nicht durch den Bezug von Arbeitslosengeld in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn erfüllt, wenn der Versicherte zuvor zur Insolvenzabwendung in eine Transfergesellschaft wechselte.

 

Die Wartezeit wird also nur erfüllt, wenn der Wechsel in eine Transfergesellschaft auf einer Insolvenz oder vollständigen Geschäftsaufgabe des ursprünglichen Arbeitgebers beruht.

 

In anderen Fällen bietet sich eventuell für betroffene ältere Arbeitnehmer*innen die Möglichkeit, nicht ganz auszuscheiden, sondern über eine geringfügige Beschäftigung (mit Rentenversicherungspflicht) im Betrieb zu bleiben. So können fehlende Monate für die Altersrente für besonders langjährig Versicherte nachgeholt werden. Neben dem Minijob ist der Bezug von Arbeitslosengeld möglich, und bis zu 165,- € wird der Nebenverdienst darauf nicht angerechnet. 

 


Rechtliche Grundlagen

§ 51 Absatz 3a Sozialgesetzbuch VI

§ 51 SGB VI Anrechenbare Zeiten
(3a) Auf die Wartezeit von 45 Jahren werden Kalendermonate angerechnet mit
1.
Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit,
2.
Berücksichtigungszeiten,
3.
Zeiten des Bezugs von
a)
Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung,
b)
Leistungen bei Krankheit und
c)
Übergangsgeld,
soweit sie Pflichtbeitragszeiten oder Anrechnungszeiten sind; dabei werden Zeiten nach Buchstabe a in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nicht berücksichtigt, es sei denn, der Bezug von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung ist durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt, und
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