Wer sich auf den Zugang beruft, muss diesen beweisen.
© Adobe Stock - Von VRD
Wer sich auf den Zugang beruft, muss diesen beweisen. © Adobe Stock - Von VRD

Als die Klägerin den Bescheid im Juni 2020 tatsächlich erhält, erhebt sie Widerspruch, der als unzulässig verworfen wird. Sie stellt dann einen Antrag auf Überprüfung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheids, der das Datum 25.09.2012 trägt.

 

Einen solchen Antrag können Betroffene auf der Grundlage des § 44 SGB X stellen. Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Bescheides das Recht unrichtig angewandt oder von einem falschen Sachverhalt ausgegangen wurde, und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, ist der Bescheid, auch wenn unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.

 

Die Agentur für Arbeit lehnt den Überprüfungsantrag ab

 

Dabei überprüft sie den Bescheid inhaltlich und rechtlich nicht. Sie bezieht sich auf eine Vorschrift, wonach ein Bescheid nur innerhalb von vier Jahren zurückgenommen werden kann. Dieser Zeitraum sei hier abgelaufen.

 

Wird ein Überprüfungsantrag abgelehnt, ist dagegen ein Widerspruch möglich. Von diesem Recht macht die Klägerin Gebrauch. Die Arbeitsagentur weist den Widerspruch zurück und beruft sich erneut nur darauf, dass die Überprüfungsfrist abgelaufen sei.

 

Der DGB Rechtsschutz Hannover erhebt Klage beim Sozialgericht. Die Klägerin habe den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid erst im Juni 2020 erhalten und ein Rückforderungsanspruch sei verjährt.

 

Das Gericht hält die Klägerin für glaubwürdig

 

Für die Frage der Glaubwürdigkeit schaute das Gericht auch auf den Ablauf, wie er sich aus den Verwaltungsakten ergab. Danach hatte die Klägerin auf Aufforderungen, Anhörungen und Bescheide stets reagiert. Sie hatte auch reagiert, als das Jobcenter sie im Jahr 2012 zu der vermeintlichen Überzahlung befragt hatte. Das spreche dafür, dass die Klägerin den Aufhebung- und Erstattungsbescheid tatsächlich im Herbst 2012 nicht erhalten habe.

 

In der Akte ist kein Absendevermerk

 

Die Arbeitsagentur hingegen kann nicht nachweisen, dass der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid bereits im Jahr 2012 zugegangen war.

 

Zwar regelt das Gesetz eine Fiktionswirkung. Danach gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben (§ 37 Abs.2 SGB X). Diese Fiktionswirkung ist hier aber nicht eingetreten, so das Sozialgericht. Denn dafür müsse der Tag, an dem der Bescheid zu Post aufgegeben wird, in den Akten vermerkt sein. In der Akte finde sich kein solcher Vermerk und ein Versand ergebe sich auch aus keinen sonstigen Umständen.

 

Wer sich auf den Zugang beruft, muss diesen beweisen

 

Dieser allgemeinen Regel folgend, kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass es der Arbeitsagentur nicht gelungen ist, den Zugang zu beweisen.

Nach der Verwaltungsakte wurde im April 2020 der streitgegenständliche Bescheid erneut an die Klägerin versandt. Dazu führte die Vertreterin der Agentur für Arbeit zwar aus, einen „Kopie"-Stempel nutze die Behörde nicht und es sei nur eine Kopie des Entwurfes erneut übersandt worden. Das ergab sich aber aus der Akte so nicht.

 

Der Anspruch auf Erstattung von Leistungen ist verjährt

 

Der Erstattungsanspruch verjährt in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Verwaltungsakt nach Absatz 3 unanfechtbar geworden ist (§ 50 Absatz 2 SGB X). Damit trat hier eine Verjährung zum 31. Dezember 2016 ein.

  

Davon geht auch das Sozialgericht aus. Die Klägerin muss die rund 730 €, die die Arbeitsagentur fordert, nicht zurückzahlen.

  

 

 

Rechtliche Grundlagen

§ 44 SGB X (Zehntes Sozialgesetzbuch)

§ 44 Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes
(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.
(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.
(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.