Ist nichts mehr in der Börse drin, darf das Sozialamt keine Leistungen anrechnen, die nicht beantragt sind. Copyright by Adobe Stock/ Jenny Sturm
Ist nichts mehr in der Börse drin, darf das Sozialamt keine Leistungen anrechnen, die nicht beantragt sind. Copyright by Adobe Stock/ Jenny Sturm

Der Berliner Kläger bezog eine Altersrente und daneben Wohngeld. Sein Geld reichte zum Leben. Damit brauchte er keine ergänzende Sozialhilfe mehr.
 
Im Jahr 2017 entschied der Mann, keinen Antrag auf Weiterbewilligung des Wohngeldes zu stellen. Er beantragte stattdessen nur noch Sozialhilfe neben der Rente.
 

Die Sozialhilfe brachte Vergünstigungen im ÖPNV

Die Zahlung von Sozialhilfe hätte ihn in den Genuss von Vergünstigungen für Sozialhilfeempfänger gebracht, die Wohngeldempfängern versagt blieben. Es handelte sich beispielsweise um den sogenannten „Berlin-Pass", der unter anderem den Erwerb eines Sozialtickets für den öffentlichen Personennahverkehr ermöglicht.
 
Der Sozialhilfeträger lehnte den Antrag des Klägers ab. Er verwies auf den sogenannten Nachranggrundsatz des § 2 SGB XII. Sozialhilfe bekommt danach nicht, wer sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann oder die erforderliche Leistung von anderen erhält, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen.
 

Der Kläger erhielt kein Wohngeld

Der Kläger „erhielt“ jedoch keine andere Sozialleistungen, insbesondere nicht das Wohngeld, das der Beklagte anrechnen wollte. Er hatte Wohngeld bewusst nicht beantragt und wollte es auch nicht haben.
 
Das Sozialgericht hatte dazu in erster Instanz entschieden, dass das bloße Bestehen eines Wohngeldanspruchs nicht zu einem Leistungsausschluss aus dem Nachranggrundsatz führe. Das bestätigte nun auch das Bundessozialgericht.
 

Der Nachranggrundsatz ist keine Ausschlussnorm

Der sogenannten Nachranggrundsatz des § 2 Abs. 1 SGB XII stehe einer Leistungsgewährung nicht entgegen. Dieser Grundsatz sei lediglich ein Programmsatz, der ein Gebot der Sozialhilfe darstelle. Aus ihm ließe sich keine unmittelbare Rechtsfolgen, etwa ein Ausschluss anderer Ansprüche, ableiten.
 
Bislang habe das Bundessozialgericht in seinen Entscheidungen immer die Frage offengelassen, ob das in extremen Ausnahmefällen anders sein könne. Diese Frage verneinte der Senat nun ausdrücklich mit der Begründung, § 2 Abs. 1 SGB XII stelle generell keine Ausschlussnorm dar. Der Nachrang der Sozialhilfe ergebe sich vielmehr aus speziellen Normen, die den Nachranggrundsatz konkretisierten.
 

Sozialleistungsträger können vorrangige Leistungsansprüche selbst geltend machen

Der Sozialhilfeträger könne sich nämlich sein Geld durchaus wieder zurückholen. Das Gesetz sehe beispielsweise Erstattungsansprüche vor, wenn Sozialhilfeempfänger vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für den Bezug von Sozialhilfeleistungen selbst geschaffen haben.
 
Der Beklagte durfte dem Kläger nicht allein unter Hinweis auf den Nachranggrundsatz die begehrte Sozialhilfe versagen. Selbst unter Beachtung eventueller Rückgriffsmöglichkeiten des Sozialhilfeträgers steht Hilfeempfängern grundsätzlich ein Wahlrecht zwischen Wohngeld und Sozialhilfe zu.
 
Dabei ging es dem Kläger eigentlich nur um den „Berlin-Pass“.


Hier geht es zum Urteil

Rechtliche Grundlagen

§ 2 SGB XII

Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3022)
§ 2 Nachrang der Sozialhilfe
(1) Sozialhilfe erhält nicht, wer sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.
(2) Verpflichtungen anderer, insbesondere Unterhaltspflichtiger oder der Träger anderer Sozialleistungen, bleiben unberührt. Auf Rechtsvorschriften beruhende Leistungen anderer dürfen nicht deshalb versagt werden, weil nach dem Recht der Sozialhilfe entsprechende Leistungen vorgesehen sind.