Wer nach einer Kündigung einen neuen Job mit geringerem Verdienst in Aussicht hat, sollte sich zum Thema Arbeitslosengeld beraten lassen. Copyright by Adobe Stock/matttilda
Wer nach einer Kündigung einen neuen Job mit geringerem Verdienst in Aussicht hat, sollte sich zum Thema Arbeitslosengeld beraten lassen. Copyright by Adobe Stock/matttilda

Neumann verdiente über einen langen Zeitraum ca. 3.200 € brutto monatlich. Dann eine plötzliche Betriebsschließung. Die Belegschaft wurde aufgefordert, kurzerhand zu entscheiden, ob man in eine Transfergesellschaft wechselt oder eine Abfindung annimmt.
 

Schlechter bezahlter Job, um Arbeitslosigkeit zu vermeiden

Neumann entschied sich für die zweite Möglichkeit. Er wusste, dass er wegen der Abfindung und Nichteinhaltung der Kündigungsfrist eine Sperrzeit bzw. ein Ruhen des Arbeitslosengeldes riskiert.
 
Schon fünf Tage nach seinem Ausscheiden trat er einen neuen Job an. Hier verdiente er nur 2.400 € brutto. Doch zur Arbeitslosigkeit kam es dann trotzdem. Neumann wurde zum 1. August 2020 arbeitslos.
 

Verdienst nach jährlichem Bemessungsrahmen

Die Agentur für Arbeit nahm für das Arbeitslosengeld den Zeitraum von August 2019 bis Juli 2020.
Der Juli fiel dabei unter den Tisch. Denn es zählen nur die bereits abgerechneten Monate. Und die letzte Beschäftigung war im Baubereich, wo die Löhne immer erst zum 15. des Folgemonats fällig sind.
 
Die Arbeitsagentur addierte die Lohnbeträge, für die Beiträge zur Sozialversicherung abgeführt wurden. Das ergab:

 7 Monate mit 3.200 € = 22.400 € und
 4 Monate mit 2.400 € = 9.600 €
 Gesamt: 32.000 €
 
Dieser Betrag wird durch die Kalendertage geteilt, in denen er verdient wurde. Das sind in unserem Beispiel 334 Tage (365 Kalendertage im Jahr abzüglich 31 Tage für den Juli). Daraus ergibt sich ein tägliches Entgelt von 95,81 €
 
Davon gehen dann noch pauschaliert Beiträge zur Sozialversicherung und Steuern ab. Von dem sich daraus ergebenden Betrag erhält der kinderlose Neumann dann 60%.
 

Härtefallantrag auf zweijährigen Bemessungsrahmen

Neumann findet das ungerecht. Über viele Jahre hat er von den 3.200 € in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt. Nur, weil er einen schlechter bezahlten Job angenommen hat, ist jetzt auch das Arbeitslosengeld geringer.
 
Er stellt einen Härtefallantrag nach § 150 SGB III. Danach ist auf einen zweijährigen Bemessungszeitraum abzustellen, wenn es unbillig hart wäre, von dem einjährigen Bemessungszeitraum auszugehen.
 

Wann ist die einjährige Bemessung unbillig hart?

Dazu hat das Bundessozialgericht mit Urteil vom 24.11.2010 (B 11 AL 30/09 R) eine Vorgabe gemacht. Eine unbillige Härte liegt vor, wenn das Bemessungsentgelt aus dem erweiterten Bemessungsrahmen das um 10% erhöhte Bemessungsentgelt aus dem einjährigen Bemessung übersteigt. Ist das nicht der Fall, ist nur der einjährige Bemessungsrahmen maßgeblich.

Bundessozialgericht, Urteil vom 24.11.2010
Das ist Neumann zu theoretisch. Er lässt es sich vorrechnen:
95,81 € tägliches Entgelt + 10% (= 9,58 €) ergibt 105,39 €.
Wenn bei Berechnung mit dem zweijährigen Bemessungsrahmen mehr als 105,29 € herauskommt, liegt eine unbillige Härte vor:

                      32.000 € für 334 Tage
                      Vorjahr 3.200 € x 12 = 38.400 € für 365 Tage
Gesamt:           Verdienst von 70.400 € in 699 Tagen, damit täglich 100,72.

Ein Betrag von mehr als 105,29 € wird nicht erreicht. Es bleibt bei der einjährigen Bemessung.
 
Neumann fragt sich: Ändert sich etwas, wenn mein Lohn des letzten Monats berücksichtigt wird?
 
Je mehr Monate mit dem niedrigen Verdienst zugrunde gelegt werden, desto eher wird die Grenze von 10% überschritten. Käme zu den 32.000 € weitere 2.400 € hinzu (= 34.400 €) läge der maßgebliche Betrag bei 103,68 € (auf ein Jahr gerechnet, also dividiert durch 365 = 94,25 € + 10%). Auch hier wird der Betrag für einen Härtefall nicht erreicht.
 

Härtefallantrag wird abgelehnt

Bei der Beratung schildert Neumann, dass ein Kumpel, der im großen Industriebetrieb beschäftigt war, mit Sozialplan und fetter Abfindung raus ist. Auch der hat acht Monate noch woanders für viel weniger Geld gearbeitet, bekommt nun Arbeitslosengeld nach dem vollen bisherigen Verdienst. Und sein Antrag wird abgelehnt.
 
Neumanns Unmut ist verständlich, aber die Berechnung der Agentur für Arbeit ist richtig. Der Kumpel von Neumann hat anders als er die Kündigungsfrist beim Ausscheiden aus dem Betrieb eingehalten. So musste er keine Sperrzeit und kein Ruhen fürchten. Er hat nach dem Ausscheiden und vor Antritt der neuen Arbeit eine Woche Arbeitslosengeld bezogen.
 

Kurze Arbeitslosigkeit rettet höheres Arbeitslosengeldes

Neumanns Kumpel war gut informiert. Er kannte § 151 Abs. 4 SGB III. Dieser lautet:

Haben Arbeitslose innerhalb der letzten zwei Jahre vor der Entstehung des Anspruchs Arbeitslosengeld bezogen, ist Bemessungsentgelt mindestens das Entgelt, nach dem das Arbeitslosengeld zuletzt bemessen worden ist.

Durch die kurze Arbeitslosigkeit und Festsetzung nach dem hohen alten Verdienst hat er gesichert, dass bei erneuter Arbeitslosigkeit das Arbeitslosengeld in der alten Höhe gezahlt wird. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Vorschrift erreichen, dass Arbeitslose in genau dieser Situation trotzdem eine Stelle annehmen, auch, wenn diese schlechter bezahlt ist.
 
Eine alternative für Neumann war es nicht, denn er hatte sich die Kündigungsfrist mit der Abfindung abkaufen lassen.

Das sagen wir dazu:

Je größer die Differenz zur alten Vergütung ist und je länger der schlechter bezahlte Job ausgeübt wird, desto eher könnte ein Härtefall vorliegen.
Ganz wichtig: die Behörde prüft das nicht von selbst, sondern es muss ein Antrag gestellt werden (§ 151 Abs. 3 SGB III).

Ein direkter Kollege von Neumann fand nicht sofort eine neue Stelle. Die plötzliche Betriebsschließung hat die Agentur für Arbeit zwar anerkannt ohne eine Sperrzeit zu verhängen. Die Abfindung führte aber zum Ruhen des Arbeitslosengeldes. Das hieß, der Ex-Kollege erhielt erstmal einen längeren Zeitraum kein Arbeitslosengeld. Daher war es richtig, dass Neumann direkt einen neuen Job angenommen hat.

Rechtliche Grundlagen

§ 150 SGB III Bemessungszeitraum und Bemessungsrahmen
(1) Der Bemessungszeitraum umfasst die beim Ausscheiden aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen. Der Bemessungsrahmen umfasst ein Jahr; er endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs.
(2) Bei der Ermittlung des Bemessungszeitraums bleiben außer Betracht (…)
(3) Der Bemessungsrahmen wird auf zwei Jahre erweitert, wenn
1.
der Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthält,
2.
in den Fällen des § 142 Absatz 2 der Bemessungszeitraum weniger als 90 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthält oder
3.
es mit Rücksicht auf das Bemessungsentgelt im erweiterten Bemessungsrahmen unbillig hart wäre, von dem Bemessungsentgelt im Bemessungszeitraum auszugehen.
Satz 1 Nummer 3 ist nur anzuwenden, wenn die oder der Arbeitslose dies verlangt und die zur Bemessung erforderlichen Unterlagen vorlegt.

§ 151 SGB III Bemessungsentgelt
(1) Bemessungsentgelt ist das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das die oder der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat. Arbeitsentgelte, auf die die oder der Arbeitslose beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis Anspruch hatte, gelten als erzielt, wenn sie zugeflossen oder nur wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht zugeflossen sind.
(…)
(4) Haben Arbeitslose innerhalb der letzten zwei Jahre vor der Entstehung des Anspruchs Arbeitslosengeld bezogen, ist Bemessungsentgelt mindestens das Entgelt, nach dem das Arbeitslosengeld zuletzt bemessen worden ist.
(…)