Das LSG Nordrhein-Westfalen meint, FFP2-Masken seien Teil des Regelbedarfs.
Das LSG Nordrhein-Westfalen meint, FFP2-Masken seien Teil des Regelbedarfs.

Wer auf Grundsicherung angewiesen ist, lebt ohnehin nicht gerade auf großem Fuß. Zwar sollen die Leistungen ein menschenwürdiges Existenzminimum gewährleisten, wie es das Grundgesetz vorschreibt. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hält es für ausreichend, wenn die Empfänger der Leistungen damit alle „existenznotwendigen Aufwendungen“ begleichen kann. 

Nach der Rechtsprechung des BVerfG kann der Gesetzgeber den typischen Bedarf zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums durch einen monatlichen Festbetrag decken. Er muss aber für einen zusätzlichen Leistungsanspruch einräumen, wenn ein Empfänger von Grundsicherung einen unabweisbaren, laufenden und nicht nur einmaligen, besonderen Bedarf hat, der über den Grundbedarf hinausgeht. 

Die Sozialgerichte vertreten unterschiedliche Rechtsauffassungen 

Das hat der Gesetzgeber vollzogen durch die „Mehrbedarfe“, die er in § 22 SGB II geregelt hat. Fraglich ist jetzt, ob Empfänger von „Hartz IV“ einen solchen Mehrbedarf beim Jobcenter geltend machen können, wenn das Tragen von Masken wegen der Pandemie vielerorts vorgeschrieben ist. Die Sozialgerichte haben bislang unterschiedliche Rechtsauffassungen sowohl in Eilverfahren als auch in Hauptsacheverfahren entschieden.

Wir hatten darüber u.a. in unserem Artikel „Sozialgerichte sehen den Anspruch auf FFP-2-Masken unterschiedlich“ bereits im März 2021 berichtet:

Jetzt hat mit dem Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen ein Gericht der 2. Instanz in der Hauptsache entschieden. Darum geht es:

Es gibt keine Rechtsgrundlage für das Jobcenter, Masken als Sachleistung zur Verfügung stelle

Der Kläger begehrte vergeblich vom Jobcenter, ihm einen Mehrbedarf in Form von 20 FFP2-Masken pro Woche zu gewähren. Hilfsweise verlangte er einen monatlichen Betrag zur Beschaffung der Masken in Höhe von 129,00 Euro im Monat. Das SG Aachen hatte seine Klage durch Urteil abgewiesen.

Dagegen hatte der Kläger Berufung beim LSG eingelegt. Diese hat das LSG nun zurückgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass das Jobcenter an ihn Masken herausgibt, meint das LSG. Auch stehe ihm keine höhere Leistung im Monat in Form eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 6 SGB II zu.

Es gebe keine Rechtsgrundlage dafür, dass das Jobcenter ihm die Masken als Sachleistung zur Verfügung stelle. Im Übrigen fehlten die gesetzlichen Voraussetzungen, damit das Jobcenter ihm Geld gewähren kann, mit dem der Kläger sich Masken in ausreichendem Umfang kaufen kann. Zwar handele es sich insoweit um einen besonderen, nicht jedoch im Einzelfall unabweisbaren Bedarf, so das Gericht.

Der Bedarf an Atemschutzmasken betrifft keinen Einzelfall

Die Gefährdungslage durch die Pandemie und der geltend gemachte Bedarf beträfen keinen Einzelfall, sondern ausnahmslos sämtliche Personen bundesweit. Die Verpflichtung zum Tragen einer medizinischen Maske gelte grundsätzlich für alle natürlichen Personen im Geltungsbereich der landesrechtlichen Corona-Schutzverordnung. 

Der Bedarf sei hier auch nicht unabweisbar gewesen. Das Landesrecht habe nur für zwei Monate vorgeschrieben, eine medizinische Maske mit FFP2-Standard im öffentlichen Personennah- oder -fernverkehr zu tragen, ansonsten sei eine OP-Maske ausreichend gewesen. Dass der Kläger aufgrund bestehender gesundheitlicher Einschränkungen gerade auf Masken des begehrten Standards angewiesen gewesen wäre, habe sich nicht feststellen lassen. 

Man kann nach Auffassung des LSG dem Kläger zumuten, dass er die Ausgaben für medizinische Masken von dem im Regelbedarf enthaltenen Anteil für Gesundheitspflege deckt

Seinen tatsächlichen Bedarf habe er auch decken können. Zusätzlich zum Anspruch auf 10 FFP2-Masken nach der Coronavirus-Schutzmasken-Verordnung habe ihm der Beklagte zweimal 10 FFP2-Masken zur Verfügung gestellt und - vergeblich - weitere angeboten. Darüber hinaus sei es dem Kläger zumutbar gewesen, die Ausgaben für medizinische Masken von dem im Regelbedarf enthaltenen Anteil für Gesundheitspflege in Höhe von 16,60 Euro im Monat zu decken.

Hier geht es zur Pressemitteilung des LSG:

Rechtliche Grundlagen

§ 21 SGB II Mehrbedarfe

Rechtsgrundlage:
§ 21 SGB II
Mehrbedarfe
(1) Mehrbedarfe umfassen Bedarfe nach den Absätzen 2 bis 7, die nicht durch den Regelbedarf abgedeckt sind.
(2) Bei werdenden Müttern wird nach der zwölften Schwangerschaftswoche bis zum Ende des Monats, in welchen die Entbindung fällt, ein Mehrbedarf von 17 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs anerkannt.
(3) Bei Personen, die mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, ist ein Mehrbedarf anzuerkennen
1. in Höhe von 36 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Bedarfs, wenn sie mit einem Kind unter sieben Jahren oder mit zwei oder drei Kindern unter 16 Jahren zusammenleben, oder
2. in Höhe von 12 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Bedarfs für jedes Kind, wenn sich dadurch ein höherer Prozentsatz als nach der Nummer 1 ergibt, höchstens jedoch in Höhe von 60 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Regelbedarfs.
(4) Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten mit Behinderungen, denen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 49 des Neunten Buches mit Ausnahme der Leistungen nach § 49 Absatz 3 Nummer 2 und 5 des Neunten Buches sowie sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben oder Eingliederungshilfen nach § 112 des Neunten Buches erbracht werden, wird ein Mehrbedarf von 35 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs anerkannt. Satz 1 kann auch nach Beendigung der dort genannten Maßnahmen während einer angemessenen Übergangszeit, vor allem einer Einarbeitungszeit, angewendet werden.
(5) Bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, wird ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt.
(6) Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht; bei einmaligen Bedarfen ist weitere Voraussetzung, dass ein Darlehen nach § 24 Absatz 1 ausnahmsweise nicht zumutbar oder wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.
(6a) Soweit eine Schülerin oder ein Schüler aufgrund der jeweiligen schulrechtlichen Bestimmungen oder schulischen Vorgaben Aufwendungen zur Anschaffung oder Ausleihe von Schulbüchern oder gleichstehenden Arbeitsheften hat, sind sie als Mehrbedarf anzuerkennen.
(7) Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit Warmwasser durch in der Unterkunft installierte Vorrichtungen erzeugt wird (dezentrale Warmwassererzeugung) und deshalb keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 anerkannt werden. Der Mehrbedarf beträgt für jede im Haushalt lebende leistungsberechtigte Person jeweils
1. 2,3 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 Nummer 2, Absatz 3 oder 4,
2. 1,4 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 oder § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten im 15. Lebensjahr,
3. 1,2 Prozent des Regelbedarfs nach § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten vom Beginn des siebten bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres oder
4. 0,8 Prozent des Regelbedarfs nach § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres.
Höhere Aufwendungen sind abweichend von Satz 2 nur zu berücksichtigen, soweit sie durch eine separate Messeinrichtung nachgewiesen werden.
(8) Die Summe des insgesamt anerkannten Mehrbedarfs nach den Absätzen 2 bis 5 darf die Höhe des für erwerbsfähige Leistungsberechtigte maßgebenden Regelbedarfs nicht übersteigen.