Auch wenn in Erstaufnahmeeinrichtung WLAN besteht, darf Behörde Asylbewerbern nicht komplette Kosten für Kommunikation abziehen.
Auch wenn in Erstaufnahmeeinrichtung WLAN besteht, darf Behörde Asylbewerbern nicht komplette Kosten für Kommunikation abziehen.

Die Behörde hatte die streitigen knapp 100 € von einer vierköpfigen syrischen Familie einbehalten. Das Gericht erklärte dies für rechtswidrig.

Fast 100 € monatlich für WLAN einbehalten

Die Familie war am 28.04.2016 als asylsuchend registriert worden und hielt sich in einer Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete auf.

Die Familie erhielt Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in Höhe von je 122 € für Mutter und Vater sowie je 79 € für die beiden Kinder. Hiervon zog ihnen die Behörde neben den Kosten für Hygiene auch die Kosten für Nachrichtenübermittlung in Höhe von 32,32 € bzw. 17,32 € pro Person ab. Insgesamt erhielt die Familie monatlich einen Betrag von insgesamt 260,86 €.

Den Abzug rechtfertigte die Behörde damit, dass in der Erstaufnahmeeinrichtung ein kostenfreies WLAN zur Verfügung stehe. Der Bedarf für Kommunikation sei damit abgedeckt, weil er nach der Verkehrsanschauung vernünftigerweise als ausreichend erfüllt anzusehen sei.

Behörde: WLAN reicht für komplette Kommunikation aus

Es sei nicht erforderlich, dass die Sachleistung sämtliche Einzelpositionen des Bereichs Kommunikation (Kauf von Telefon, Fax, Mobilfunktelefon, Anrufbeantworter, Post und Kurierdienstleistungen, private Brief- und Paketzustelldienste, Versandkosten, Kommunikationsdienstleistungen) erfasse, weil nicht jeder Leistungsberechtigte diese Dinge in gleichem Maße benötige.

Es handele sich um eine bloße Rechengröße. Entscheidend sei, dass der Sachleistungen den Bedarf an Kommunikation abdecken. Dies sei durch das kostenfreie WLAN der Fall, da dadurch nahezu alle Formen der Kommunikation möglich seien.

Das sah das Sozialgericht anders und verurteilte die Behörde, der Familie auch den bislang einbehaltenen Betrag für Kommunikation auszuzahlen.

Gericht: Pauschale lässt Raum für eigene Entscheidungen

Die Ermittlung des Anspruchs bemesse sich auf Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe von 2008 (EVS). Dieses statistische Modell definiere das soziokulturelle Minimum auf Basis der tatsächlichen Ausgaben. Es diene dabei nur dazu, einen Gesamtbetrag zu ermitteln, der benötigt wird, um ein menschenwürdiges Existenzminimum zu gewährleisten.

Vor diesem Hintergrund sei es unerheblich, ob einzelne Positionen der Statistik tatsächlich von allen Menschen gleich benötigt werden, die tatsächlichen Verbrauchsausgaben könnten daher im Einzelfall abweichen. Deshalb dürften einzelne Positionen auch nicht mit der Begründung herausgerechnet werden, dass der Bedarf tatsächlich geringer sei.

Außerdem sei es dem Leistungsbezieher selbst überlassen, wie er sein Existenzminimum ausfülle. Es sei seine Entscheidung, ob er das Internet nutzt oder lieber Briefe schreibt. Man müsse ihm schon die Freiheit lassen, durch eigenverantwortliche Verwendung der pauschalierten Leistung einen Mehrbedarf an der einen Stelle durch Einsparungen an der anderen Stelle auszugleichen.

Gericht: Vermutung der Behörde entbehrt jeder Grundlage

Im Übrigen entbehre die Vermutung, mit Hilfe des WLAN-Zugangs könnte jede Form der Kommunikation betrieben werden, jeder empirischen Grundlage: Dies gelte insbesondere für klassische Briefe mit Unterschrift.

Auch würde eine rein elektronische Kommunikation voraussetzen, dass der Empfänger über eine entsprechende Ausrüstung verfüge. Die sei, so das Gericht, „nicht nur in Krisengebieten“ nicht immer vorauszusetzen.

Der vorgenommene Abzug sei zudem fragwürdig, da die Personen, die zur EVS 2008 herangezogen wurden, anders als Asylbewerber über kostengünstige Internetverträge verfügten. Außerdem sei beim EVS 2008 das Telefonieren per Festnetz noch die Regel gewesen.

Eine Anrechnung von Sachleistungen sei nur dann möglich, wenn feststehe, dass die Sachleistungen zumindest in Höhe des nach EVS 2008 zu Grunde gelegten Umfangs (hier fast 100 € monatlich) in Anspruch genommen worden seien. Die komplette Herausnahme sei jedenfalls rechtswidrig.

Anmerkung

Nun machen auch die ersten Geflüchteten Bekanntschaft mit dem Erfindungsreichtum deutscher Sozialbehörden: Die Kommunikation ist sichergestellt, es gibt doch WLAN.

Es mag dahingestellt bleiben, ob sich die Behörde hier von der weit verbreiteten Ansicht hat anstecken lassen, wonach es den Geflüchteten ja nicht so schlecht gehen könne, da sie ja alle über ein Mobiltelefon verfügen. Wer ein Handy hat, der braucht ja sonst nichts.

In erfreulicher Deutlichkeit hat das Sozialgericht klargestellt, dass dieser Einschätzung jeder Bezug zur Realität fehlt. Allein schon, um sein Anliegen zu Gericht zu bringen, reicht ein Handy nicht aus. Und wer schon länger mit der deutschen Sozialverwaltung zu tun hat weiß, dass es oft ratsam ist, Briefe mit Einschreiben und Rückschein zu versenden.

Auch mag sich das Gericht vor Augen geführt haben, dass es den jungen Syrern ein berechtigtes Anliegen gewesen sein mag, den daheimgebliebenen Großeltern schriftlich ein paar Zeilen zukommen zu lassen. Auch hier hilft das Handy nicht weiter. Dem Syrer geht es hier nicht anders als seinem neuen niederbayerischen Nachbarn.

Wer nun reflexhaft die Sozialleistungen für Asylsuchende als zu hoch kritisiert, der möge an dieser Stelle einen Blick ins Asylbewerberleistungsgesetz werfen. Auch nach dieser Entscheidung steht der vierköpfigen Familie nur ein Betrag von etwa 360 € monatlich zu. Wie weit man damit kommt, mag jeder an Hand seiner eigenen Handyrechnung abschätzen.


Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 16.08.2016 - S 11 AY 64/16 ER hier im Volltext


Im Praxistipp: § 3 Asylbewerberleistungsgsetz (Grundleistungen)

Rechtliche Grundlagen

§ 3 Asylbewerberleistungsgsetz (Grundleistungen)

§ 3 Grundleistungen
(1) Bei einer Unterbringung in Aufnahmeeinrichtungen im Sinne von § 44 Absatz 1 des Asylgesetzes erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 Leistungen zur Deckung des Bedarfs an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheitspflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts (notwendiger Bedarf). Der notwendige Bedarf wird durch Sachleistungen gedeckt. Kann Kleidung nicht geleistet werden, so kann sie in Form von Wertgutscheinen oder anderen vergleichbaren unbaren Abrechnungen gewährt werden. Gebrauchsgüter des Haushalts können leihweise zur Verfügung gestellt werden. Zusätzlich werden ihnen Leistungen zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens gewährt (notwendiger persönlicher Bedarf). Soweit mit vertretbarem Verwaltungsaufwand möglich, sollen diese durch Sachleistungen gedeckt werden. Soweit Sachleistungen nicht mit vertretbarem Verwaltungsaufwand möglich sind, können auch Leistungen in Form von Wertgutscheinen, von anderen vergleichbaren unbaren Abrechnungen oder von Geldleistungen gewährt werden. Werden alle notwendigen persönlichen Bedarfe durch Geldleistungen gedeckt, so beträgt der Geldbetrag zur Deckung aller notwendigen persönlichen Bedarfe monatlich für
1. alleinstehende Leistungsberechtigte 135 Euro,
2. zwei erwachsene Leistungsberechtigte, die als Partner einen gemeinsamen Haushalt führen, je 122 Euro,
3. weitere erwachsene Leistungsberechtigte ohne eigenen Haushalt 108 Euro,
4. sonstige jugendliche Leistungsberechtigte vom Beginn des 15. und bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres 76 Euro,
5. leistungsberechtigte Kinder vom Beginn des siebten bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres 83 Euro,
6. leistungsberechtigte Kinder bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres 79 Euro.Der individuelle Geldbetrag zur Deckung des notwendigen persönlichen Bedarfs für in Abschiebungs- oder Untersuchungshaft genommene Leistungsberechtigte wird durch die zuständige Behörde festgelegt, wenn der Bedarf ganz oder teilweise anderweitig gedeckt ist.
(2) Bei einer Unterbringung außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen im Sinne des § 44 Absatz 1 des Asylgesetzes sind vorbehaltlich des Satzes 4 vorrangig Geldleistungen zur Deckung des notwendigen Bedarfs nach Absatz 1 Satz 1 zu gewähren. Der notwendige Bedarf beträgt monatlich für
1. alleinstehende Leistungsberechtigte 216 Euro,
2.
zwei erwachsene Leistungsberechtigte, die als Partner einen gemeinsamen Haushalt führen, je 194 Euro,
3. weitere erwachsene Leistungsberechtigte ohne eigenen Haushalt 174 Euro,
4. sonstige jugendliche Leistungsberechtigte vom Beginn des 15. und bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres 198 Euro,
5. leistungsberechtigte Kinder vom Beginn des siebten bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres 157 Euro,
6. leistungsberechtigte Kinder bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres 133 Euro.Anstelle der Geldleistungen können, soweit es nach den Umständen erforderlich ist, zur Deckung des notwendigen Bedarfs Leistungen in Form von unbaren Abrechnungen, von Wertgutscheinen oder von Sachleistungen gewährt werden. Der Bedarf für Unterkunft, Heizung und Hausrat wird gesondert als Geld- oder Sachleistung erbracht. Absatz 1 Satz 4, 5, 8 und 9 ist mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass der notwendige persönliche Bedarf als Geldleistung zu erbringen ist. In Gemeinschaftsunterkünften im Sinne von § 53 des Asylgesetzes kann der notwendige persönliche Bedarf soweit wie möglich auch durch Sachleistungen gedeckt werden.
(3) Bedarfe für Bildung und Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft werden bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen neben den Leistungen nach Absatz 1 oder Absatz 2 entsprechend den §§ 34, 34a und 34b des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch gesondert berücksichtigt.
(4) Der Geldbetrag für alle notwendigen persönlichen Bedarfe nach Absatz 1 Satz 8 sowie der notwendige Bedarf nach Absatz 2 Satz 2 werden jeweils zum 1. Januar eines Jahres entsprechend der Veränderungsrate nach § 28a des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch in Verbindung mit der Verordnung nach § 40 Satz 1 Nummer 1 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch fortgeschrieben. Die sich dabei ergebenden Beträge sind jeweils bis unter 0,50 Euro abzurunden sowie von 0,50 Euro an aufzurunden. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gibt jeweils spätestens bis zum 1. November eines Kalenderjahres die Höhe der Bedarfe, die für das folgende Kalenderjahr maßgebend sind, im Bundesgesetzblatt bekannt.
(5) Liegen die Ergebnisse einer bundesweiten neuen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe vor, werden die Höhe des Geldbetrags für alle notwendigen persönlichen Bedarfe und die Höhe des notwendigen Bedarfs neu festgesetzt.
(6) Leistungen in Geld oder Geldeswert sollen dem Leistungsberechtigten oder einem volljährigen berechtigten Mitglied des Haushalts persönlich ausgehändigt werden. Stehen die Leistungen nicht für einen vollen Monat zu, wird die Leistung anteilig erbracht; dabei wird der Monat mit 30 Tagen berechnet. Geldleistungen dürfen längstens einen Monat im Voraus erbracht werden. Von Satz 3 kann nicht durch Landesrecht abgewichen werden.