Zugriff auf Sterbeversicherung verhindert!
Zugriff auf Sterbeversicherung verhindert!

Der Einsatz einer angemessenen finanziellen Vorsorge für den Todesfall stellt für den Leistungsberichtigten eine Härte (§ 90 Abs. 3 S. 1 SGB XII) dar, wenn die Zweckbindung verbindlich festgelegt ist. Dies hat das Sozialgericht Gießen am 07.06.2016 entschieden.

Bezeichnung als Sterbegeldversicherung genügt nicht für Härtefallregelung

Die 68 Jahre alte Klägerin bezog auf Grund ihrer geringen Altersrente bis Februar 2014 ergänzend Grundsicherungsleistungen i.H.v. 150,49 € monatlich. 

Als die Klägerin einen Antrag auf Weitergewährung stellte, wies sie auf eine bei der E. Lebensversicherung AG bestehende Sterbegeldversicherung hin. Unter Datum vom 22.03.2014 bestätigte die Lebensversicherung, dass es sich um eine Sterbegeldversicherung handele. Die Klägerin teilte dies dem beklagten Landkreis mit, was aus dessen (beschränkt erscheinender) Sicht aber nicht ausreichte, wie sich dies aus dem von der Klägerin angefochtenen Bescheid ergibt. 

Denn der beklagte Landkreis vertrat die Auffassung, die reine Bezeichnung als Sterbegeldversicherung reiche nicht aus, um die Versicherung von einem Einsatz als verwertbares Vermögen auszunehmen und lehnte die Weiterbewilligung von Grundsicherungsleistungen ab.

Sozialgericht: Härtefallregelung schützt zweckgebundene Sterbegeldversicherung

Die Klage gegen die Versagung der Leistungen hatte Erfolg. Das Gericht bezog sich in seiner Entscheidung auf § 90 SGB XII. Grundsätzlich sei hiernach das gesamte verwertbare Vermögen, unter Ausnahme des im Einzelnen aufgeführten Schonvermögens einzusetzen, soweit dies keine Härte bedeutet.

Vermögenswerte, die zur Absicherung der Kosten einer angemessenen Bestattung angespart worden seien, würden durch die Härteregelung des § 90 Abs.3 SGB XII geschützt. Diese Privilegierung sei dann gerechtfertigt, wenn sichergestellt sei, dass der angesparte Vermögenswert tatsächlich für die Bestattungskosten verwendet werde. 

Dies sei bei einer zweckgebundenen Sterbegeldversicherung der Fall. Die bloße Absicht des Betroffenen, ein angespartes Guthaben im Falle des Todes für die Bestattungskosten zu verwenden, ohne einen entsprechenden Teil seines Vermögens aus dem übrigen Vermögen auszugliedern, genüge dagegen nicht.

Verwertung der Sterbegeldversicherung offensichtlich unwirtschaftlich

Im Übrigen hielt das Gericht die Verwertung der Sterbegeldversicherung für offensichtlich unwirtschaftlich. Da der mit der Verwertung zu erzielende Gegenwert i.H.v. 2.980,34 € in einem deutlichen Missverhältnis zum wirklichen Wert der Sterbeversicherung i.H.v. 4.203,20 € stehe, so die Richter*innen der 18.Kammer des Sozialgerichts Gießen, sei die von der Klägerin verlangte Verwertung offensichtlich unwirtschaftlich.

Zur Begründung der offenkundigen Unwirtschaftlichkeit verwies das Gießener Sozialgericht auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Bei einer derartig hohen Verlustquote, die im Falle der Verwertung der Sterbegeldversicherung 29,1 % betragen hätte, sei nach der höchstrichterlichen Entscheidung, ohne Ermittlung weiterer Umstände, von einer offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit auszugehen. 

Anmerkung:

Schier unglaublich erschien dem Autor die Entscheidung des beklagten Landkreises. Obwohl das Bundessozialgericht schon 2008 entschieden hatte, dass immer dann, wenn eine offenkundige Unwirtschaftlichkeit der Verwertung einer Lebensversicherung entgegensteht, von einer Verwertung abzusehen sei, hielt der beklagte Landkreis dies für unbeachtlich. 

In dem vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall ging es um eine Verlustquote von 26,9%, die die Bundesrichter*innen für nicht hinnehmbar erklärten. In dem vom Gießener Sozialgericht entschiedenen Fall hätte die Verlustquote 29,1% betragen, lag also erkennbar über der vom Bundessozialgericht vor 8 Jahren bereits als nicht mehr akzeptabel bezeichnete Verlustquote. 

Dass es dennoch zu eine gerichtlichen Auseinandersetzung zwischen der Klägerin und dem beklagten Landkreis kommen musste, lässt hier nur den Schluss zu, dass die Entscheidungsträger des beklagten Landkreises, ungeachtet der auch von diesen zu beachtenden Rechtsprechung, meinen, eigenes Recht schaffen zu können. Die 68jährige Klägerin verpflichten zu wollen, ihre Sterbegeldversicherung mit großem Verlust aufzulösen, um keine Grundsicherungsleistungen gewähren zu müssen, ist schon ein starkes Stück.

Wird Unbilliges verlangt, gewerkschaftlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen!

Da nicht auszuschließen ist, dass vergleichbare Entscheidungen auch andernorts ergehen, sollten Bezieher*innen von Grundsicherungsleistungen, die Mitglied einer der im DGB vereinigten Gewerkschaften sind, Rechtsschutz bei ihrer Gewerkschaft beantragen und sich dann, wenn von ihnen Unbilliges verlangt wird, dagegen wehren.

Link zur Pressemitteilung des Sozialgerichts Gießen zum Urteil vom 07.06.2016

Rechtliche Grundlagen

Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - § 90 Einzusetzendes Vermögen

Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3022)
§ 90 Einzusetzendes Vermögen

(1) Einzusetzen ist das gesamte verwertbare Vermögen.
(2) Die Sozialhilfe darf nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz oder von der Verwertung
1. eines Vermögens, das aus öffentlichen Mitteln zum Aufbau oder zur Sicherung einer Lebensgrundlage oder zur Gründung eines Hausstandes erbracht wird,
2. eines Kapitals einschließlich seiner Erträge, das der zusätzlichen Altersvorsorge im Sinne des § 10a oder des Abschnitts XI des Einkommensteuergesetzes dient und dessen Ansammlung staatlich gefördert wurde,
3. eines sonstigen Vermögens, solange es nachweislich zur baldigen Beschaffung oder Erhaltung eines Hausgrundstücks im Sinne der Nummer 8 bestimmt ist, soweit dieses Wohnzwecken behinderter (§ 53 Abs. 1 Satz 1 und § 72) oder pflegebedürftiger Menschen (§ 61) dient oder dienen soll und dieser Zweck durch den Einsatz oder die Verwertung des Vermögens gefährdet würde,
4. eines angemessenen Hausrats; dabei sind die bisherigen Lebensverhältnisse der nachfragenden Person zu berücksichtigen,
5. von Gegenständen, die zur Aufnahme oder Fortsetzung der Berufsausbildung oder der Erwerbstätigkeit unentbehrlich sind,
6. von Familien- und Erbstücken, deren Veräußerung für die nachfragende Person oder ihre Familie eine besondere Härte bedeuten würde,
7. von Gegenständen, die zur Befriedigung geistiger, insbesondere wissenschaftlicher oder künstlerischer Bedürfnisse dienen und deren Besitz nicht Luxus ist,
8. eines angemessenen Hausgrundstücks, das von der nachfragenden Person oder einer anderen in den § 19 Abs. 1 bis 3 genannten Person allein oder zusammen mit Angehörigen ganz oder teilweise bewohnt wird und nach ihrem Tod von ihren Angehörigen bewohnt werden soll. Die Angemessenheit bestimmt sich nach der Zahl der Bewohner, dem Wohnbedarf (zum Beispiel behinderter, blinder oder pflegebedürftiger Menschen), der Grundstücksgröße, der Hausgröße, dem Zuschnitt und der Ausstattung des Wohngebäudes sowie dem Wert des Grundstücks einschließlich des Wohngebäudes,
9. kleinerer Barbeträge oder sonstiger Geldwerte; dabei ist eine besondere Notlage der nachfragenden Person zu berücksichtigen.
(3) Die Sozialhilfe darf ferner nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde. Dies ist bei der Leistung nach dem Fünften bis Neunten Kapitel insbesondere der Fall, soweit eine angemessene Lebensführung oder die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung wesentlich erschwert würde.