Wer arbeitet zahlt Steuern – eine Doppelbesteuerung soll es in Europa jedoch nicht geben.
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Wer arbeitet zahlt Steuern – eine Doppelbesteuerung soll es in Europa jedoch nicht geben. © Adobe Stock - ferkelraggae

Von großer Tragweite ist die aktuelle Entscheidung des Bundessozialgerichts zum fiktiven Lohnsteuerabzug beim Kurzarbeitergeld. Geklagt hatte der Arbeitgeber einer Frau, die in Frankreich wohnt, ihrer Arbeit aber in Deutschland nachgeht. Steuerpflichtig ist sie in Frankreich.

Während der Kurzarbeit ihres Arbeitgebers bezog sie Kurzarbeitergeld. Die Agentur für Arbeit berechnete das Kurzarbeitergeld unter Berücksichtigung eines fiktiven Lohnsteuerabzuges. Dagegen klagte der Arbeitgeber und verwies dabei auf das in Europa vereinbarte Verbot der Doppelbesteuerung. Steuern darf demnach nur der Wohnsitzstaat erheben.

Das Gesetz sieht die Berücksichtigung von Steuern vor

Dem hielt die Agentur für Arbeit entgegen, auch bei Grenzgänger*innen, die aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens von der Lohnsteuerpflicht in der Bundesrepublik Deutschland befreit seien, müsse sie bei der Berechnung des Kurzarbeitergeldes einen fiktiven Lohnsteuerabzug vornehmen.

Das Gesetz gebe die Berechnung unter Berücksichtigung von Steuern vor, die in Deutschland zu zahlen wären. Daran müsse sich die Agentur für Arbeit halten. Grenzgänger*innen aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union dürfte sie bei der Bemessung des Kurzarbeitergeldes nicht anders als deutsche Arbeitnehmer*innen behandeln.

Das Doppelbesteuerungsabkommen gilt 

Das Bundessozialgericht stellt dazu klar, dass im Falle einer steuerlichen Freistellung als Grenzgänger*in keine Steuerpflicht in Deutschland besteht. Deshalb liege auch keine Lohnsteuerklasse vor, an Hand derer eine Lohnsteuer abgezogen werden könne. Das Gesetz sehe in diesem Fall auch nicht vor, die Steuerklasse I anzunehmen. Da es keine Steuerklasse gebe, betrage der fiktiv anzusetzenden Abzugsbetrag für Lohnsteuer in diesem Fall 0 €.

Der nach Europäischem Recht geltende Gleichbehandlungsgrundsatz verlange keine Gleichbehandlung von Grenzgänger*innen mit in Deutschland wohnenden und arbeitenden Arbeitnehmer*innen. Eine Gleichbehandlung könnte vielmehr eine mittelbare Diskriminierung darstellen. 

Denn würden Grenzgänger*innen, die in Deutschland nicht der Lohnsteuerpflicht unterliegen, wie Lohnsteuerpflichtige in Deutschland behandelt, stelle das einen Nachteil dar. Sie unterlägen mit dem gleichen Entgelt zweimal einem Einkommen-/ Lohnsteuerrecht.

Kein Klagerecht für Arbeitnehmer*innen

Betroffene können gegen die Bescheide der Agentur für Arbeit selbst nicht klagen. Das Bundessozialgericht vertritt die Auffassung, dass sie wegen der besonderen Ausgestaltung des Verfahrens keine eigene Klagebefugnis haben. Es reiche aus, sie im Gerichtsverfahren beizuladen.

Gewerkschaften sehen das kritisch. Die fehlende Klagebefugnis Betroffener verstößt ihrer Auffassung nach gegen das Grundgesetz.

Abschließend entschieden ist ohnehin noch nicht. Da weitere Feststellungen erforderlich sind, hat das Bundessozialgericht das Verfahren zur abschließenden Entscheidung noch einmal an das Landessozialgericht zurückverwiesen. Falls das Landessozialgericht die Auffassung des Bundessozialgerichts nicht teilt, könnte eine Entscheidung des Europäische Gerichtshofes gefragt sein.

Hier geht es zum Terminbericht de Bundessozialgerichts vom 3. November 2021

 

 

Rechtliche Grundlagen

§ 153 SGB II

(1) Leistungsentgelt ist das um pauschalierte Abzüge verminderte Bemessungsentgelt. Abzüge sind
1. eine Sozialversicherungspauschale in Höhe von 20 Prozent des Bemessungsentgelts,
2. die Lohnsteuer, die sich nach dem vom Bundesministerium der Finanzen auf Grund des § 51 Absatz 4 Nummer 1a des Einkommensteuergesetzes bekannt gegebenen Programmablaufplan bei Berücksichtigung der Vorsorgepauschale nach § 39b Absatz 2 Satz 5 Nummer 3 Buchstabe a bis c des Einkommensteuergesetzes zu Beginn des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist, ergibt und
3. der Solidaritätszuschlag.

Bei der Berechnung der Abzüge nach Satz 2 Nummer 2 und 3 sind
1. Freibeträge und Pauschalen, die nicht jeder Arbeitnehmerin oder jedem Arbeitnehmer zustehen, nicht zu berücksichtigen und
2. der als Lohnsteuerabzugsmerkmal gebildete Faktor nach § 39f des Einkommensteuergesetzes zu berücksichtigen.

Für die Feststellung der Lohnsteuer wird die Vorsorgepauschale mit folgenden Maßgaben berücksichtigt:
1. für Beiträge zur Rentenversicherung als Beitragsbemessungsgrenze die für das Bundesgebiet West maßgebliche Beitragsbemessungsgrenze,
2. für Beiträge zur Krankenversicherung der ermäßigte Beitragssatz nach § 243 des Fünften Buches zuzüglich des durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes nach § 242a des Fünften Buches,
3. für Beiträge zur Pflegeversicherung der Beitragssatz des § 55 Absatz 1 Satz 1 des Elften Buches.

(2) Die Feststellung der Lohnsteuer richtet sich nach der Lohnsteuerklasse, die zu Beginn des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist, als Lohnsteuerabzugsmerkmal gebildet war. Spätere Änderungen der als Lohnsteuerabzugsmerkmal gebildeten Lohnsteuerklasse werden mit Wirkung des Tages berücksichtigt, an dem erstmals die Voraussetzungen für die Änderung vorlagen.

(3) Haben Ehegatten oder Lebenspartner die Lohnsteuerklassen gewechselt, so werden die als Lohnsteuerabzugsmerkmal neu gebildeten Lohnsteuerklassen von dem Tag an berücksichtigt, an dem sie wirksam werden, wenn
1. die neuen Lohnsteuerklassen dem Verhältnis der monatlichen Arbeitsentgelte beider Ehegatten oder Lebenspartner entsprechen oder
2. sich auf Grund der neuen Lohnsteuerklassen ein Arbeitslosengeld ergibt, das geringer ist als das Arbeitslosengeld, das sich ohne den Wechsel der Lohnsteuerklassen ergäbe.
Bei der Prüfung nach Satz 1 ist der Faktor nach § 39f des Einkommensteuergesetzes zu berücksichtigen; ein Ausfall des Arbeitsentgelts, der den Anspruch auf eine lohnsteuerfreie Entgeltersatzleistung begründet, bleibt bei der Beurteilung des Verhältnisses der monatlichen Arbeitsentgelte außer Betracht.