In seiner Entscheidung vom 17.11.2015 kam das Sozialgericht (SG) Gießen zu dem Ergebnis, dass ein ehemals Hilfebedürftiger keine Leistungen des SGB II-Trägers dann erstatten muss, wenn ihm Rentenzahlungen aufgrund einer rückwirkenden Rentengewährung zufließen. Denn, so die Richter*innen der 22. Kammer des SG Gießen, allein aus der nachträglichen Feststellung voller Erwerbsminderung durch den Rentenversicherungsträger folge nicht, dass das Arbeitslosengeld II zu Unrecht bewilligt wurde.

 

Jobcenter macht Erstattungsanspruch gegenüber Hilfebedürftigen geltend

 

In dem Zeitraum von Dezember 2012 bis April 2013 erhielt der Kläger Leistungen vom Jobcenter in Höhe von 2.952,00 Euro. Im April 2013 bewilligte ihm der Rentenversicherungsträger Rente wegen vollständiger Erwerbsminderung ab Dezember 2012.

 

Die Nachzahlung für die Zeit von Dezember 2012 bis April 2013 betrug 3.695,61Euro. Den Differenzbetrag von 743,61Euro zahlte der Rentenversicherungsträger an den Kläger aus. Das beklagte Jobcenter hob die Bewilligung des Arbeitslosengeldes II auf und machte einen Erstattungsanspruch gegen den Kläger geltend.

 

Begründet wurde dies damit, dass der Kläger auf Grund der Rentengewährung nicht im Arbeitslosengeld II-Leistungsbezug hätte stehen dürfen. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren klagte er gegen die Aufhebung des Bewilligungsbescheids und dem geltend gemachten Erstattungsanspruch des Jobcenters.

 

 

Ausgleichszahlungen haben zwischen Jobcenter und Rentenversicherungsträger zu erfolgen.

 

Das Sozialgericht Gießen vertrat die Auffassung, dass allein aus der nachträglichen Feststellung der vollen Erwerbsminderung durch den Rentenversicherungsträger nicht folge, dass das Arbeitslosengeld II zu Unrecht bewilligt worden sei.

 

Die Leistungsgewährung des Jobcenters erfülle den Anspruch des Klägers in dem ausgezahlten Umfang. Dadurch müsse ein Ausgleich zwischen Jobcenter und Rentenversicherungsträger stattfinden. Die Rente dürfe nicht an den Bedürftigen, sondern an das Jobcenter gezahlt werden, soweit im selben Zeitraum Arbeitslosengeld II gezahlt wurde.

 

Dem Jobcenter stehe es nicht frei, auf den Erstattungsanspruch gegen den Rentenversicherungsträger zu verzichten und sich stattdessen an den ehemals Hilfebedürftigen zu halten. Dies gelte erst recht, da der jetzige Rentenbezieher keine Doppelleistungen, sondern lediglich die Differenz zwischen Rentenanspruch und Leistungsanspruch erhalten habe.

 

 

Anmerkung: Probleme mit der Gesetzesauslegung oder schlichtweg Unkenntnis der Gesetzeslage?

 

Wieder einmal hatte die Entscheidung eines Jobcenters nach Überprüfung durch die Sozialgerichtsbarkeit keinen Bestand.

 

Geradezu absurd erscheint die Begründung des Jobcenters, wonach der Kläger auf Grund der ihm für einen zurückliegenden Zeitraum gewährten Rente nicht im Arbeitslosengeld II-Leistungsbezug hätte stehen dürfen.

 

Es ist offenkundig, dass der Kläger in dem Zeitraum von Dezember 2012 bis April 2013 deshalb Leistungen vom Jobcenter erhielt da ihm keine sonstigen finanziellen Mittel zur Verfügung standen. Mithin er also während dieses Zeitraums hilfebedürftig war und somit Anspruch auf Arbeitslosengeld II – Leistungen hatte.

 

 

Wenn man dennoch meint, gegenüber dem Kläger einen Erstattungsanspruch damit geltend machen zu können, dass er auf Grund der rückwirkenden Rentengewährung nicht im Arbeitslosengeld II-Leistungsbezug hätte stehen dürfen, so ist dies schlechthin nicht nachvollziehbar. Wie man seitens der Beklagten zu dieser Auffassung kam mag deren Geheimnis bleiben.

 

 

Kläger sollte „über den Tisch gezogen werden!“

 

Im Übrigen zeigt dieser Fall, unabhängig von der seltsam anmutenden Begründung, dass wieder einmal mehr versucht wurde, einen Hilfedürftigen „über den Tisch zu ziehen“. Hierzu bedurfte es der außer Kraftsetzung/Missachtung gesetzlicher und auch für das Jobcenter bindenden Regelungen.

 

Denn nach § 102 SGB X hat ein Leistungsträger der vorläufige Leistungen erbracht hat – hier Jobcenter – einen Erstattungsanspruch gegenüber dem zur Leistung verpflichteten Leistungsträger – hier die Rentenversicherung - nicht aber gegenüber dem ehemaligen Hilfebedürftigen.

 

Hier finden Sie die Pressemitteilung des Sozialgericht Gießen vom 07.12.2015:

Rechtliche Grundlagen

Link zu § 102 SGB X:

http://dejure.org/gesetze/SGB_X/102.html