Wer in der Fahrerkabine eines offenen Pritschenwagens nächtigt, kann vom Jobcenter keine Kosten der Unterkunft verlangen.
Wer in der Fahrerkabine eines offenen Pritschenwagens nächtigt, kann vom Jobcenter keine Kosten der Unterkunft verlangen.

Mit Urteil vom 10.05.2016 hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg entschieden, dass ein Empfänger von ALG II-Leistungen (sog. „Hartz IV“), der in der Fahrerkabine eines offenen Pritschenwagens nächtigt, dafür keine Kosten der Unterkunft geltend machen kann.

Jobcenter besichtigt die „Unterkunft“ des Klägers und streicht Unterkunftskosten

Seit 2010 lebt der 60jährige Leistungsempfänger (Kläger)  im Bodenseeraum. Seit einigen Jahren ist er ohne festen Wohnsitz. Nach eigenen Angaben nächtigt er seit 2010 in einem Pritschenwagen. 

Da das zuständige Jobcenter davon ausging, es handle sich bei einem Pritschenwagen um eine Art Wohnmobil mit geschlossenem Überbau erstattete es dem Kläger die Kosten der Kfz-Haftpflichtversicherung sowie eine Heizkostenpauschale für die vorhandene Standheizung. 

Vertreter des Jobcenters besichtigten Ende 2013 das Fahrzeug und weigerten sich sodann, dem Kläger dafür weiterhin Unterkunftskosten zu zahlen. Begründet wurde dies damit, dass in dem offenen Wagen ein Mindestmaß an Privatsphäre nicht gewährleistet sei. Auch fehle es an der Vergleichbarkeit mit einer privaten Wohnung, die einen längeren Aufenthalt ermögliche. 

Kläger beruft sich erfolglos auf Verweigerung des menschenwürdigen Existenzminimums

Mit seiner Klage hat der Kläger geltend gemacht, der deutsche Sozialstaat verweigere ihm sein menschenwürdiges Existenzminimum. 

Das Sozialgericht Konstanz wies die Klage ab. Auch blieb Berufung beim Stuttgarter Landessozialgericht erfolglos. Die Richter*innen des Neunten Senats wiesen die Berufung des Klägers zurück, da der offene Pritschenwagen keine Unterkunft im Sinne des SGB II darstellt und dies eine Kostenübernahme ausschließe. 

Das Fahrzeug sei lediglich mit einem geschlossenen einreihigen Fahrerhaus ausgestattet, das eine Sitzbank mit drei Sitzplätzen beinhaltet. Eine Rückbank existiert nicht, und die Ladefläche ist offen. 

Wichtige Aspekte der Privatsphäre wie Hygiene oder ungestörter Kleidungswechsel sowie ein gewisses Maß an Komfort sind mangels Ausstattung und Platz (insbesondere mangels Möglichkeit zum Stehen) sowie aufgrund deutlicher Einsehbarkeit des Innenbereichs nicht einmal annähernd wie in einer Wohnung möglich. 

 

Direkt  zur Pressemitteilung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20.05.2016 zum Urteil vom 10.05.2016, Az.: L 9 AS 5116/15 


Im Praxistipp: § 19 Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Arbeitslosengeld II, Sozialgeld und Leistungen für Bildung und Teilhabe

Rechtliche Grundlagen

§ 19 Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Arbeitslosengeld II, Sozialgeld und Leistungen für Bildung und Teilhabe

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954)
§ 19 Arbeitslosengeld II, Sozialgeld und Leistungen für Bildung und Teilhabe

(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte erhalten Arbeitslosengeld II. Nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten Sozialgeld, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches haben. Die Leistungen umfassen den Regelbedarf, Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung.
(2) Leistungsberechtigte haben unter den Voraussetzungen des § 28 Anspruch auf Leistungen für Bildung und Teilhabe, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches haben. Soweit für Kinder Leistungen zur Deckung von Bedarfen für Bildung und Teilhabe nach § 6b des Bundeskindergeldgesetzes gewährt werden, haben sie keinen Anspruch auf entsprechende Leistungen zur Deckung von Bedarfen nach § 28.
(3) Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts werden in Höhe der Bedarfe nach den Absätzen 1 und 2 erbracht, soweit diese nicht durch das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen gedeckt sind. Zu berücksichtigendes Einkommen und Vermögen deckt zunächst die Bedarfe nach den §§ 20, 21 und 23, darüber hinaus die Bedarfe nach § 22. Sind nur noch Leistungen für Bildung und Teilhabe zu leisten, deckt weiteres zu berücksichtigendes Einkommen und Vermögen die Bedarfe in der Reihenfolge der Absätze 2 bis 7 nach § 28.