Wer während des Urlaubsjahres krank wird, muss mit Problemen bei der Abgeltung von Resturlaub rechnen. © Adobe Stock: shocky
Wer während des Urlaubsjahres krank wird, muss mit Problemen bei der Abgeltung von Resturlaub rechnen. © Adobe Stock: shocky

Vor dem Arbeitsgericht Hagen ging es um die Abgeltung von Urlaubsansprüchen. Die Klägerin war bei der Beklagten zunächst als Verkäuferin beschäftigt. Später arbeitete sie als Verkaufsstellenleiterin. Auf das Arbeitsverhältnis fanden laut Arbeitsvertrag die Tarifverträge des Einzelhandels in ihrer jeweils gültigen Fassung Anwendung. Die Arbeitszeit der Klägerin änderte sich während der letzten Jahre mehrfach.

 

Die Urlaubsplanung war gemacht

 

Ihre Urlaubsplanung für das Jahr 2019 hatte die Klägerin in der Urlaubskartei taggenau eingetragen. Daraus ergab sich, dass am Jahresende noch sechs Resturlaubstage verbleiben würden.

 

In einem weiteren Urlaubsplan war eine knappe Woche im Juli 2019 durchgestrichen. Entgegen der ursprünglichen Planung arbeitete die Klägerin in dieser Zeit, weil zwei Kolleginnen sich bereits im Urlaub befanden und eine weitere Mitarbeiterin Überstunden abbaute.

 

Außer den sechs im Mai 2019 geplanten Urlaubstagen kam es wegen einer Arbeitsunfähigkeit der Klägerin entgegen der ursprünglichen Planung zu keiner weiteren Urlaubsgewährung für 2019 mehr.

 

Die Klägerin errechnete die offenen Urlaubstage nach Beendigung ihrer Arbeitsunfähigkeit für die Jahre 2018 und 2019. Ihre Gewerkschaft ver.di machte 2021 für sie erfolglos die Gewährung dieser Urlaubstage geltend.  Nachdem der Arbeitgeber nicht einlenkte, verlangte die Klägerin 2022 mit Erhebung der Klage beim Arbeitsgericht eine finanzielle Abgeltung der ihrer Ansicht nach offenen Urlaubstage aus 2018 und 2019.

 

Die Klägerin will zuerst den tariflichen Urlaub genommen haben

 

Die Klägerin erläuterte ihre Berechnungen genau. Sie habe aus 2018 noch Resturlaubsansprüche gehabt, die sie nur teilweise aufgebraucht hätte. Laut Tarifvertrag betrage ihr Jahresurlaub 36 Tage. Sie habe außerdem selbstverständlich im Mai 2019 zunächst den ihr zustehenden tariflichen Urlaub genommen, der den gesetzlichen Urlaub überschritten habe.

 

Die verbliebenen Resturlaubstage aus 2018 seien nicht verfallen, denn die Beklagte habe ihren Mitwirkungspflichten nicht genügt. Deshalb seien ihre jeweiligen (Rest-) Urlaubsansprüche auf die Folgejahre übertragen worden und der Arbeitgeber müsse ihr jedenfalls den gesetzlichen Mindesturlaub aus 2019 noch abgelten.

 

Die Beklagte hielt den Urlaubsanspruch für verfallen

 

Die Beklagte war demgegenüber der Ansicht, dass die von der Klägerin geltend gemachten Urlaubsansprüche verfallen seien. Den Resturlaub aus 2018 hätte sie bis April 2019 nehmen müssen, denn es habe sich um einen tariflichen Anspruch gehandelt.

 

Soweit die Klägerin auf § 15 des geltenden Manteltarifvertrags (MTV) verweise, sei zu berücksichtigen, dass danach im Fall der Übertragung der Urlaub in den ersten vier Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden müsse. Der tarifliche Anteil des Urlaubsanspruchs verfalle, wenn er nicht im Übertragungszeitraum bis zum 30.04. des Folgejahres genommen werde.

 

Bei dem Resturlaubsanspruch der Klägerin aus dem Jahr 2018 habe es sich um den tariflichen Mehrurlaubsanspruch gehandelt, welcher von der Klägerin bis zum 30.04.2019 nicht beantragt und genommen worden sei. Dieser Urlaubsanspruch sei daher verfallen.

 

Den Urlaub rechnet der Arbeitgeber dem Jahr 2019 zu

 

Daraus ergebe sich weiter, dass der der Klägerin im Mai 2019 gewährte Urlaub auf den Urlaubsanspruch der Klägerin für das Jahr 2019 anzurechnen sei. Nach §15 Abs. 7 MTV werde genommener Urlaub zuerst auf den gesetzlichen Anteil des Urlaubsanspruchs und erst dann auf den tariflichen Anteil des Urlaubsanspruchs angerechnet.

 

Zwar seien vom gesetzlichen Urlaubsanspruch 2019 noch ein paar Tage übriggeblieben. Diese Urlaubstage wären aber infolge der durchgehenden Arbeitsunfähigkeit der Klägerin bis zum 31. März 2021 verfallen. Etwaige Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers spielten dabei keine Rolle.

 

Das Arbeitsgericht erklärt die Rechtslage

 

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) erlischt der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub nur dann am Ende des Urlaubsjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums, wenn der Arbeitgeber den*die Arbeitnehmer*in zuvor in die Lage versetzt hat, den Urlaubsanspruch wahrzunehmen, und der*die Betroffene den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.

 

Aufgrund europarechtlicher Bestimmungen trifft den Arbeitgeber die Initiativlast bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs.

 

Die Pflicht des Arbeitgebers mitzuwirken ist grundsätzlich Voraussetzung für das Eingreifen der geltenden Fristen zum Verfall von Urlaubsansprüchen.

 

Während der Arbeitsunfähigkeit gilt Besonderes

 

Besonderheiten bestehen, wenn Arbeitnehmer*innen ihren Urlaub aus gesundheitlichen Gründen nicht nehmen konnten. Der EuGH hat den Verfall von Urlaubsansprüchen bei dauerhafter Erkrankung mit Ablauf von 15 Monaten ab Ende des jeweiligen Urlaubsjahres eingeschränkt. Ein Verfall tritt nicht ein, falls der Arbeitgeber im Jahr des Beginns der dauerhaften Arbeitsunfähigkeit seinen Pflichten zur Mitwirkung nicht nachgekommen ist.

 

Der Urlaubsanspruch aus dem Jahr des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit verfällt nur bei Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheit. Im Gegensatz dazu verfällt der Urlaubsanspruch bei langjährig arbeitsunfähigen Arbeitnehmer*innen für nachfolgende Jahre jeweils 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres.

 

Diese Differenzierung habe das BAG mittlerweile übernommen, so das Arbeitsgericht Hagen. Deshalb setze die Befristung des Urlaubsanspruchs in der Fallkonstellation der Klägerin regelmäßig voraus, dass der Arbeitgeber die Arbeitnehmerin rechtzeitig vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit in die Lage versetzt hat, ihren Urlaub auch tatsächlich zu nehmen. Die Klägerin habe nämlich im Jahr des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit tatsächlich gearbeitet, bevor sie krankgeschrieben worden sei.

 

Die fehlende Mitwirkung hindert den Verfall des Urlaubs

 

Der verbliebene und wegen der Arbeitsunfähigkeit nicht mehr genommene Urlaub aus 2019 könnte daher zum 31. März 2021 nicht erlöschen.

 

Der Arbeitgeber müsse konkret und in völliger Transparenz dafür Sorge tragen, dass

der*die Arbeitnehmer*in tatsächlich in der Lage ist, den bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Er müsse seine Arbeitnehmer*innen - erforderlichenfalls förmlich - auffordern, den Urlaub zu nehmen und klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfällt, wenn er nicht beantragt worden ist.

 

Die Belehrung muss genau sein

 

Deshalb müsse die Aufforderung des Arbeitgebers die Anzahl der Urlaubstage benennen und den Hinweis enthalten, den Urlaub zu beantragen sowie die Belehrung, dass nicht genommener Urlaub am Jahresende verfällt.

 

Das habe die Beklagte nicht getan.

 

Das Gericht gab dem Arbeitgeber insofern recht, als die Klägerin sich die sechs im Mai 2019 genommenen Tage auf den gesetzlichen Urlaub des Jahres 2019 anrechnen lassen musste. Der geltende MTV habe sich vom gesetzlichen Fristenregime gelöst und eigenständige vom Bundesurlaubsgesetz abweichende Regelungen zur Übertragung und zum Verfall des Urlaubsanspruchs getroffen.

 

Nach dem MTV werde genommener Urlaub zuerst auf den gesetzlichen Anteil des Urlaubsanspruchs und erst dann auf den tariflichen Anteil des Urlaubsanspruchs angerechnet.

 

Wolfgang Pankow aus Hagen meint dazu

 

Die Kammer habe einen Vergleich in Höhe des ausgeurteilten Betrags vorgeschlagen. Dies sei von der Gegenseite abgelehnt worden. Sie wolle in Berufung gehen.

 

Pankow hält die Entscheidung für vollständig nachvollziehbar und überzeugend. Dass das Landesarbeitsgericht Hamm – die zweite Instanz - anders entscheiden könnte, hält er für unwahrscheinlich, obwohl die Gegenseite sich im Verfahren gerade auf ein Urteil aus Hamm bezogen hatte.

 

In diesem früheren Verfahren aus Hamm ging es allein um den Anspruch auf Urlaubsabgeltung für zwei Kalenderjahre, in denen der dortige Kläger durchgehend arbeitsunfähig gewesen war. Nicht Handlungen oder Unterlassungen des Arbeitgebers, sondern allein die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers für den Verfall des Urlaubs waren hier ursächlich für den Verfall des Urlaubsanspruchs. Der dortige Kläger erkrankte mit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31.03. des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres arbeitsunfähig.

 


Das Arbeitsgericht Magdeburg entschied zum TVöD

 

Völlig anders ging ein Verfahren vor dem Arbeitsgericht Magdeburg zum selben Thema aus. Die Klägerin dieses Verfahrens arbeitete als Erzieher im öffentlichen Dienst. Auch sie beanspruchte nach einer Arbeitsunfähigkeit weitere Resturlaubstage.

 

Das DGB Rechtsschutzbüro Halberstadt, welches die Klägerin im Verfahren vertrat, konnte hier leider keinen Erfolg verbuchen. Der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst sieht ausdrücklich eine Befristung des über den gesetzlichen Urlaub hinausgehenden tariflichen Urlaubs vor.

 

Der in § 26 TVöD-VKA abweichend von den Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes geregelte Mehrurlaub ist demnach, wenn der Erholungsurlaub wegen Arbeitsunfähigkeit nicht bis zum 31.03. des folgenden Kalenderjahres begonnen werden kann, spätestens bis zum 31.05. anzutreten.

 

Er verfällt zu diesem Zeitpunkt auch dann, wenn der*die Arbeitnehmer*in wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit gehindert war, den Mehrurlaub in Anspruch zu nehmen. Das gilt unabhängig davon, ob der Arbeitgeber seine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten erfüllt hat, um die tatsächliche Inanspruchnahme des Urlaubs zu ermöglichen, so das Arbeitsgericht Magdeburg.