Erst krank, dann Rente – das Arbeitsverhältnis der Klägerin fand unerwartet sein Ende. Die Erkrankte konnte zuvor noch Urlaub nehmen und der Arbeitgeber zahlte einen Teil des danach noch offenen Urlaubes auch aus. Es blieb aber ein Restanspruch offen, den die Klägerin auf über 8.000 € bezifferte. Trotz Aufforderung zahlte der Arbeitgeber nicht. Die Ansprüche der Klägerin seien verfallen, argumentiert er.
Der Arbeitsvertrag enthält Klauseln zum Urlaubsanspruch
Die Betroffene sah das anders als ihr Arbeitgeber. Zwar habe sie im Arbeitsvertrag vereinbart, dass ihr Urlaubsanspruch unter gewissen Voraussetzungen verfallen könne. Auch das Bundesurlaubsgesetz lasse Entsprechendes zu. Darauf könne sich der Arbeitgeber aber nicht berufen. Insoweit halte sie eine im Arbeitsvertrag vereinbarte Klausel für unwirksam.
Dort hieß es:
„Urlaub ist bis zum Ende des Kalenderjahres zu gewähren und zu nehmen, in dem der Urlaubsanspruch entstanden ist. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr erfolgt nur dann, wenn dringende betriebliche oder in der Person des/der Mitarbeiters*in liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Falle der Übertragung muss der Urlaub bis zum 30. April des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden.
Kann der Urlaub wegen Arbeitsunfähigkeit nicht bis zum 30. April gewährt und genommen werden, ist er bis zum 30. Juni zu gewähren und zu nehmen. Urlaub, der innerhalb dieser Fristen nicht genommen wurde, verfällt mit Ausnahme des gesetzlichen Mindesturlaubs und des gesetzlichen Zusatzurlaubs, der in der Folge von krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht genommen werden konnte.
Mit der Gewährung von Urlaub wird bis zu dessen vollständiger Erfüllung zunächst der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch, dann ein etwaiger Anspruch auf gesetzlichen Zusatzurlaub und schließlich der arbeitsvertragliche Anspruch auf Mehrurlaub erfüllt. § 17 MuSchG und § 17 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz bleiben unberührt."
Eine Klage sollte Klarheit bringen
Die Jurist:innen des DGB Rechtsschutzbüros Hamburg setzten sich vor dem Arbeitsgericht mit den von der Klägerin geltend gemachten Ansprüchen zumindest teilweise durch. Knapp 2.000 € muss der Arbeitgeber schließlich nachzahlen.
Wesentliches Kriterium für die Entscheidung des Gerichts war dabei die Annahme, dass ein Urlaubsanspruch grundsätzlich nur dann verfällt, wenn der Arbeitgeber seine Mitwirkungspflichten erfüllt hat.
Zurückzuführen ist diese Rechtsansicht auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom November 2018. Das nationale Gericht hat demzufolge dafür Sorge zu tragen, dass der:die Arbeitnehmer:in weder die erworbenen Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub noch - im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses - den Anspruch auf finanzielle Vergütung für nicht genommenen Urlaub verliert. Das gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber nicht nachweisen kann, dass er die Betroffenen tatsächlich in die Lage versetzt hat, den ihnen nach dem Unionsrecht zustehenden bezahlten Jahresurlaub zu nehmen.
Das Bundesurlaubsgesetz enthält rechtlich zulässige Vorgaben
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann das Bundeurlaubsgesetz in Übereinstimmung mit Europäischem Recht ausgelegt werden. So gesehen trifft den Arbeitgeber die lnitiativlast bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs, d.h. er muss seine Arbeitnehmer:innen auf den drohenden Verfall von Urlaubsansprüchen hinweisen. Grundsätzlich führt erst die Erfüllung dieser Mitwirkungspflicht durch den Arbeitgeber dazu, dass Arbeitnehmer:innen in der Lage sind, ihren Urlaub auch tatsächlich zu nehmen. Erst und nur dann gilt der Urlaubsanspruch als befristet.
Habe der Arbeitgeber diese Mitwirkungsobliegenheiten erfüllt und den Urlaubsanspruch an das Urlaubsjahr gebunden, verfalle der Anspruch, wenn der:die Arbeitnehmer:in nicht verlangt habe, den Urlaub zu nehmen. Lägen die Voraussetzungen einer Übertragung des Urlaubs vor, werde der Urlaub sozusagen „von selbst" auf die ersten drei Monate des Folgejahres übertragen – erläutert das Gericht weiter.
Nun kommt ein großes ABER
Die Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers muss nämlich konkret erfolgen. Abstrakte Angaben etwa im Arbeitsvertrag, in einem Merkblatt oder in einer Kollektivvereinbarung genügen den Anforderungen einer konkreten und transparenten Unterrichtung in der Regel nicht. Das gelte sowohl für den vertraglichen als auch den tarifvertraglich vereinbarten Sonderurlaub, so das Arbeitsgericht.
Während der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub nach dem Gesetz arbeitsvertraglichen Dispositionen entzogen sei, die sich zuungunsten der Arbeitnehmer:innen auswirken, könnten die Arbeitsvertragsparteien Urlaubsansprüche, die den Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen, frei regeln. Für einen solchen Regelungswillen müssten allerdings deutliche Anhaltspunkte vorliegen. Fehle eine von den gesetzlichen Vorgaben abweichende Regelung, sei von einem Gleichlauf des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und des Anspruchs auf den vertraglichen Mehrurlaub auszugehen.
Das gilt auch für den Verfall des Urlaubsanspruchs
Das dürfe nicht nur für die Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers, sondern müsse auch für die Frage des Verfalls von Urlaubsansprüchen gelten, meint das Arbeitsgericht. Es sei kein Grund ersichtlich, warum hinsichtlich der Frage des Verfalls von Urlaubsansprüchen nicht von einem derartigen Gleichlauf von gesetzlichen und vertraglichem Urlaub auszugehen sein soll. Wolle man, dass für die vertraglichen Urlaubsansprüche etwas andere gilt, seien auch hier deutliche Anhaltspunkte für einen entsprechenden Regelungswillen zu fordern. Das stellte das Gericht hier nicht fest.
Zwar sehe die Regelung im Arbeitsvertrag vor, dass es zum Verfall des Urlaubes bei Krankheit kommen könne. Es sei aber nicht ersichtlich, dass sich der Arbeitsvertrag mit der Frage beschäftige, ob Urlaub unabhängig von der Erfüllung der Mitwirkungspflicht verfallen solle, also mit den Voraussetzungen, unter denen überhaupt ein Verfall eintreten kann.
Die Frage, ob grundsätzlich Verfall eintreten könne, regele sich daher für den vertraglichen Urlaub nach denselben Grundsätzen wie für den gesetzlichen Mindesturlaub. Danach trete ein Verfall nicht ein, wenn der Arbeitgeber seiner Mitwirkungsobliegenheit nicht nachgekommen ist. So sei es hier.
Weitere Ansprüche der Klägerin erkannte das Gericht allerdings nicht an, denn auf Grund der eingetretenen Erwerbsminderung habe die Klägerin keine rechtliche Möglichkeit mehr gehabt, ihren Urlaubsanspruch zu realisieren. Könne die geschuldete Arbeitsleistung aus gesundheitlichen Gründen nicht erbracht werden, führe das zur Unmöglichkeit der Arbeitsleistung. Beschäftigte seien dann von der Pflicht zur Arbeitsleistung frei. Eine Befreiung von der Arbeitspflicht durch Urlaubsgewährung mache das rechtlich unmöglich.