Krankheitsbedingt konnte der Kläger seinen für Dezember bereits bewilligten Urlaub nicht nehmen. © Adobe Stock: terovesalainen
Krankheitsbedingt konnte der Kläger seinen für Dezember bereits bewilligten Urlaub nicht nehmen. © Adobe Stock: terovesalainen

Falk Bergmann, Rechtsschutzsekretär und Teamleiter aus dem DGB Rechtsschutzbüro Erfurt, vertrat einen langzeiterkrankten Schweißer vor dem Thüringer Landesarbeitsgericht. Das erstinstanzliche Verfahren hatten die Jurist*innen aus Jena geführt. Dem Mann ging es um Urlaubsansprüche aus dem Jahr 2017.

 

30 Tage Urlaub sollten es sein

 

Laut Arbeitsvertrag stehen dem Betroffenen 30 Tage Erholungsurlaub im Kalenderjahr zu. Nach dem Manteltarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie Thüringen (MTV), der auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet, beträgt die Urlaubsdauer ebenfalls 30 Arbeitstage.

 

Der gesetzliche Mindesturlaub beträgt 24 Kalendertage (§ 3 Abs. 1 Bundesurlaubsgesetz). Gewährt ein Tarifvertrag mehr Urlaubstage, nennt man das „tariflichen Mehrurlaub“. Der tarifliche Mehrurlaub bezeichnet also die Urlaubstage, die den Beschäftigten nach dem Tarifvertrag zusätzlich zum gesetzlichen Urlaub zustehen.

 

2017 hatte die Beklagte dem Kläger 26 Tage Urlaub gewährt. Im Dezember 2017 erkrankte der Kläger bis Oktober 2018 arbeitsunfähig und konnte vier Tage des bereits bewilligten Urlaubes nicht mehr verwirklichen.

 

Im Oktober 2018 endete die Arbeitsunfähigkeit

 

Im Oktober 2018 machte der Kläger den offenen Urlaub aus dem Jahr 2017 geltend. Die Beklagte lehnte ab. Für Mitte Dezember 2018 beantragte der Kläger daher ausdrücklich die Gewährung von vier Tagen Resturlaub aus 2017. Eine Reaktion der Beklagten erfolgte nicht. Der Kläger erschien daher zur Arbeit.

 

Mit seiner Klage beim Arbeitsgericht begehrte der Kläger anschließend Freistellung von der Arbeitsleistung unter Fortzahlung der Vergütung für vier Arbeitstage. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Der verbleibende Urlaubsanspruch des Klägers sei zwar aufgrund dringender persönlicher Gründe (Krankheit) auf das Folgejahr übertragen worden, jedoch nach § 17 Ziffer 7 Absatz 2 MTV zum 31 März 2018 verfallen.

 

In § 17 Ziffer MTV heißt es:

 

„Der Urlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder dringende, in der Person des Beschäftigten liegende Gründe dies rechtfertigen.

Im Falle der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden. Ein im Eintrittsjahr entstehender Teilurlaub ist bei nicht erfüllter Wartezeit auf Verlangen des Beschäftigten auf das nächste Kalenderjahr zu übertragen.“

 

Das Landesarbeitsgericht bewertete die Rechtslage anders und hob das Urteil der ersten Instanz auf. Zu Beginn seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit hätten dem Kläger gegenüber der Beklagten noch vier Urlaubstage zugestanden. Es handele sich dabei um vier Tage tariflichen Mehrurlaubs.

 

 

Das Landesarbeitsgericht geht von einem Gleichlauf aus

 

Aufgrund des Arbeitsvertrages stünden dem Kläger 30 Tage Erholungsurlaub zu. Die Regelung differenziere hinsichtlich des Umfangs des Urlaubsanspruchs nicht zwischen dem gesetzlichen Mindesturlaub und einem übergesetzlichen Mehrurlaub. Auch der Tarifvertrag enthalte keine Differenzierung. Der MTV benenne lediglich die Urlaubsdauer von 30 Tagen.

 

Differenziere eine Regelung in einem Arbeits- oder Tarifvertrag nicht zwischen dem gesetzlichen Mindesturlaub und einem übergesetzlichen Mehrurlaub, konkurriere der gesetzliche Urlaub mit dem übergesetzlichen Mehrurlaub. Das habe zur Folge, dass ein Arbeitgeber mit der Urlaubsgewährung beide Ansprüche ganz oder teilweise erfülle, auch wenn er das nicht ausdrücklich so bestimmt habe. Mit der Freistellung des Klägers von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung im Jahr 2017 habe die Beklagte dem Kläger daher nicht zunächst den Mehrurlaub aus dem Tarifvertrag und anschließend den gesetzlichen Urlaub gewährt.

 

Der Resturlaubsanspruch des Klägers war nicht verfallen

 

Der aus dem Jahr 2017 stammende gesetzliche Mindesturlaub des Klägers hätte fortbestanden, auch wenn der gesetzliche Übertragungszeitraum grundsätzlich am 31. März 2018 geendet habe. Aufgrund der Vorgaben der Europäischen Richtlinie 2003/88/EG sei die Bestimmung des Bundesurlaubsgesetzes dahingehend auszulegen, dass der gesetzliche Mindesturlaub nicht vor Ablauf von 15 Monaten nach Ende des Urlaubes verfallen könne, wenn durchgehend bis zum Ende des Übertragungszeitraumes Arbeitsunfähigkeit bestanden habe.

 

Die Arbeitsunfähigkeit des Klägers habe von Anfang Dezember 2017 bis zum Oktober 2018, also über den 31. März hinaus durchgehend bestanden. Der gesetzliche Mindesturlaub aus dem Jahr 2017 habe damit Ende März 2018 nicht untergehen können.

 

Der Regelungswille der Tarifvertragsparteien muss deutlich werden

 

Diese Grundsätze würden auch für den tariflichen Mehrurlaub gelten, so das Landesarbeitsgericht. Tarifvertragsparteien könnten Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen, frei regeln. Das habe der Europäische Gerichtshof bereits 2012 entschieden. Diese Befugnis schließt auch die Befristung des tariflichen Mehrurlaubs ein.

 

Wolle man einen Regelungswillen der Tarifparteien annehmen, der Gewährung tariflichen Mehrurlaubs Fristen zu unterstellen, die von denjenigen des gesetzlichen Mindesturlaubs abweichen, müssten deutliche Anhaltspunkte dafür vorliegen. Fehlten solche, sei von einem Gleichlauf des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und dem Anspruch auf tariflichen Mehrurlaub auszugehen.

 

Ein solcher Gleichlauf sei nicht gewollt, wenn die Tarifvertragsparteien entweder bei der Befristung und Übertragung bzw. beim Verfall des Urlaubs zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und tariflichem Mehrurlaub unterschieden oder sich insofern von den vorgegebenen gesetzlichen Fristen lösten, als sie eigenständige, vom Bundesurlaubsgesetz abweichende Regelungen getroffen hätten. Es genüge nicht, wenn ein Tarifvertrag nur von anderen Regelungen des Bundesurlaubsgesetzes abweiche.

 

Tarifvertrag in Thüringen ist eindeutig

 

Der Manteltarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie Thüringen enthalte keine eigenständigen, vom Bundesurlaubsgesetz abweichende Fristenregelung. Er unterscheide auch nicht bei der Befristung und Übertragung bzw. beim Verfall des Urlaubes zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und tariflichem Mehrurlaub.

 

Es spiele keine Rolle, dass es im MTV Vorgaben für die Abgeltung des Urlaubes nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses gebe. Diese Vorgaben bezögen sich nicht auf die hier relevanten Regelungen zur Befristung, Übertragung oder den Verfall des Urlaubes. Gleiches gelte für Bestimmungen zur Wartezeit, zum Teilurlaub und hinsichtlich der Anzahl zusammenhängender Tage. All dies sei hier nicht relevant.

 

Mangels Fehlens der geforderten deutlichen Anhaltspunkte gehe das Gericht von einem Gleichlauf des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und des Anspruchs auf tariflichen Mehrurlaub aus. Der Kläger habe den offenen Resturlaubsanspruch aus dem Jahr 2017 rechtzeitig geltend gemacht. Der Ersatzurlaubsanspruch von vier Arbeitstagen stehe ihm daher zu.

 

Hier geht es zum Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts.