Die Höhe verbliebener Urlaubsansprüche sind ständiges Thema in arbeitsgerichtlichen Prozessen. © Adobe Stock: Gina Sanders
Die Höhe verbliebener Urlaubsansprüche sind ständiges Thema in arbeitsgerichtlichen Prozessen. © Adobe Stock: Gina Sanders

Der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst im Bereich der kommunalen Arbeitgeberverbände (TVöD-VKA) enthält auch Regelungen zum Erholungsurlaub. Dazu heißt es in § 26 TVöD-VKA:

 

(1) Beschäftigte haben in jedem Kalenderjahr Anspruch auf Erholungsurlaub unter Fortzahlung des Entgelts (§ 21). Bei Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf fünf Tage in der Kalenderwoche beträgt der Urlaubsanspruch in jedem Kalenderjahr 30 Arbeitstage . (...)

Der Erholungsurlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und kann auch in Teilen genommen werden.

(2) Im Übrigen gilt das Bundesurlaubsgesetzt mit folgenden Maßgaben:

a) Im Falle der Übertragung muss der Erholungsurlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres angetreten werden. Kann der Erholungsurlaub wegen Arbeitsunfähigkeit oder aus betrieblichen/dienstlichen Gründen nicht bis zum 31. März angetreten werden, ist er bis zum 31. Mai anzutreten. (... )"

 

Eine Bestimmung, die immer wieder zu Streitigkeiten im Arbeitsverhältnis führt und zwar vor allem dann, wenn es zu einer längeren Arbeitsunfähigkeit über den Jahreswechsel hinaus kommt. Nun musste sich das Landesarbeitsgericht München mit diesem Thema befassen.

 

Der DGB Rechtsschutz in München vertrat den Kläger schon in erster Instanz

 

Der Kläger erkrankte im März 2020 arbeitsunfähig. Im Januar 2021 wies die Beklagte ihn darauf hin, dass ihm aus dem Jahr 2020 ein Resturlaub im Umfang von 22 Tagen zustehe, den er bis Ende März 2021 antreten müsse. Sollte er über diesen Zeitpunkt hinaus erkranken, würden noch bestehende Resturlaubsansprüche automatisch bis Ende Mai 2021 übertragen werden. Zu diesem Zeitpunkt verfalle der Resturlaub aus 2020 dann ersatzlos.

 

Die Arbeitsunfähigkeit des Klägers bestand bis zum 30. April 2021 fort. Für den Zeitraum 31. Mai 2021 bis 4. Juni 2021 beantragte der Kläger Urlaub, den die Beklagte ihm auch gewährte.

 

Im August 2021 beantragte der Kläger, den gesetzlichen und tariflichen Urlaub aus 2020 bis zum 31.03.2022 zu übertragen. Die tarifvertragliche Regelung werde durch § 3 Bundesurlaubsgesetz (BurlG) verdrängt. Diese müsse nach EU-Recht so ausgelegt werden, dass der Urlaubsanspruch erst 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres verfalle. Wegen seiner dauernden Erkrankung über den eigentlichen, dreimonatigen Übertragungszeitraum des § 7 Abs. 3 BurlG hinaus sei der Urlaub daher bis 31. März 2022 zu übertragen.

 

Dies lehnte die Beklagte ab

 

Nach Auffassung der Beklagten waren der gesetzliche und der tarifvertragliche Urlaub aus 2020 nicht zu übertragen. Das käme nur in Betracht, wenn der Kläger seinen Resturlaub aus 2020 nicht bis zum 31. Mai 2021 aufgrund der Arbeitsunfähigkeit hätte antreten können. Dies sei nicht der Fall gewesen, da er ab Mai 2021 wieder gearbeitet und spätestens am 31. Mai 2021 seinen Resturlaub insgesamt und nicht nur im Umfang von vier Tagen hätte antreten können.

 

In erster Instanz gewann der Kläger den Prozess vor dem Arbeitsgericht München schon im August 2022 insofern, als das Gericht ihm weitere acht Urlaubstage gutschrieb. Der Kläger habe zu Beginn des Jahres 2020 einen gesetzlichen Urlaubsanspruch im Umfang von 20 Arbeitstagen und einen tariflichen Mehrurlaub im Umfang von 10 Arbeitstagen erworben.

 

Der tarifliche Mehrurlaub sei gemäß § 26 Abs. 2a TVöD-VKA verfallen. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes und des Bundesarbeitsgerichts sei auf die tariflichen Urlaubsansprüche nicht anwendbar, da durch die Regelungen im Tarifvertrag ein eigenständiges, vom Bundesurlaubsgesetz abweichendes Fristenregime vorliege. Jedoch stehe dem Kläger der gesetzliche Mindesturlaub, soweit dieser nicht teilweise im Umfang von acht Tagen in 2020 und vier Tagen in 2021 erfüllt worden sei, noch in Höhe von acht Tagen zu.

 

Das Landesarbeitsgericht entschied ebenso

 

Das Landesarbeitsgericht wertet die Rechtslage ebenfalls hinsichtlich des gesetzlichen Urlaubes zu Gunsten des Klägers und erklärte die Berufung der Beklagten, die auch die zugesprochenen acht Tage nicht gewähren wollte, für unbegründet.

 

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gelte § 26 Abs. 2a TVöD-VKA nur für den tariflichen Mehrurlaub und erfasse nicht den gesetzlichen Mindesturlaub.

 

Der gesetzliche Mindesturlaub beläuft sich gem. § 3 Abs. 1 BurlG auf 24 Tage. Gewährt ein Tarifvertrag mehr Urlaubstage, nennt man das „tariflichen Mehrurlaub“. Die über dem gesetzlichen Urlaub liegende Zahl an Urlaubstagen sind damit der tarifliche Mehrurlaub. Der Verfall dieses tariflichen Mehrurlaubes folgt nicht immer dem Schicksal des gesetzlichen Urlaubes.

 

Das Bundesarbeitsgericht hatte schon 2012 grundsätzlich entschieden

 

Im Fall des bayerischen Klägers bezog sich das Landesarbeitsgericht auf ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2012. Dort habe das Bundesarbeitsgericht den Verfall von in Vorjahren entstandenen gesetzlichen Urlaubsansprüchen nicht nach § 26 Abs. 2 a) TVöD-VKA beurteilt, sondern hierfür die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2011 zugrunde gelegt.

 

Danach sei § 7 Abs. 3 BUrlG unionrechtskonform dahingehend auszulegen, dass der gesetzliche Urlaub nicht verfalle, wenn der:die Arbeitnehmer:in bis zum Ende des Urlaubsjahrs und/oder des Übertragungszeitraums krankheitsbedingt arbeitsunfähig und deshalb nicht in der Lage sei, den Urlaub zu nehmen. Der aufrecht erhaltene Urlaubsanspruch trete in diesem Fall zu dem im Folgejahr entstandenen Urlaubsanspruch hinzu und sei damit erneut nach § 7 Abs. 3 BUrlG befristet. Er erlösche allerdings bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit fünfzehn Monate nach dem Ende des Urlaubsjahrs.

 

Dieser Auffassung stimmt das Bundesarbeitsgericht 2012 zu

 

Sie rechtfertigt sich daraus, dass mit § 26 Abs. 2a TVöD-VKA ein eigenständiges Fristenregime gegenüber § 7 Abs. 3 BurlG vorliege. Dort heiße es nämlich „antreten“ statt „gewährt und genommen werden“ und „31.05.“ statt „31.03.“ wie es das Gesetz formuliere. Daraus sei zu schließen, dass die Tarifvertragsparteien einen „Gleichlauf" des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und des Anspruchs auf tariflichen Mehrurlaub bzgl. des Verfalls nicht gewollt hätten.

 

Die tarifliche Regelung betreffe deshalb nur den vom Mindesturlaub abtrennbaren Teil der einheitlich in § 26 Abs. 1 TVöD-VKA geregelten Gesamturlaubsdauer. Das ergebe auch die Auslegung der Tarifvorschrift. § 26 Abs. 2a TVöD-VKA sei danach nicht auf den gesetzlichen Urlaubsanspruch anzuwenden.

 

Die Grundsätze des BurlG sind nicht eingeschränkt

 

Mit dem Einleitungssatz „Im Übrigen gilt das Bundesurlaubsgesetz mit folgenden Maßgaben" hätten die Tarifvertragsparteien bestimmt, dass die Grundlage des allgemeinen Urlaubsrechts und die dort geltenden Grundsätze prinzipiell auch für das Arbeitsrecht des öffentlichen Dienstes gelten. Hierdurch seien die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Europäischen Gerichtshofes zur Übertragbarkeit des gesetzlichen Urlaubsanspruchs grundsätzlich einbezogen worden.

 

Die Tarifvorschrift verwende auch das Wort „Maßgaben" statt beispielsweise „Einschränkungen". Daraus lasse sich schließen, dass die Tarifvertragsparteien die Grundsätze des Bundesurlaubsgesetzes in ihrer Geltung nicht einschränken wollten.

 

Der TVöD-VKA enthalte auch gegenüber dem Gesetz günstigere Regelungen. Während der in das Folgejahr übertragene Urlaub nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG bis zum 31. März des Folgejahres tatsächlich gewährt und genommen sein muss und andernfalls verfällt, müsse er nach § 26 Abs. 2a TVöD-VKA nur angetreten worden sein.

 

Der TVöD-VKA enthält auch weitere Abweichungen

 

Darüber hinaus sei der Übertragungszeitraum statt dem 31. März auf den 31. Mai des Folgejahres verlängert. Dem hierin zum Ausdruck kommenden Willen der Tarifvertragsparteien, die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes besser als die gesetzliche Regelung in § 7 Abs. 3 BUrlG zu stellen, widerspreche es, bei einer Genesung in der Zeit vom 1. April bis 31. Mai den Urlaub verfallen zu lassen, wenn der:die Beschäftigte den Urlaub nicht bis zum 31. Mai angetreten habe. Denn das würde zu einer tariflichen Schlechterstellung führen als es das gesetzliche Fristenregime vorsehe.

 

Außerdem sei zu berücksichtigen, dass im Hinblick auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ein Verfall des Mindesturlaubsanspruchs bei fortdauernder Erkrankung nach einem Übertragungszeitraum von nur fünf Monaten bis 31. Mai des Folgejahres unionsrechtlich nicht zulässig wäre.

 

Die Berufung der Beklagten hatte damit keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht ließ aber die Revision zum Bundesarbeitsgericht zu. Man darf gespannt sein, wie das Bundesarbeitsgericht die Rechtslage bewertet.

 

 

 

Rechtliche Grundlagen

§ 3 BUrlG; § 7 BUrlG

§ 3 Dauer des Urlaubs
(1) Der Urlaub beträgt jährlich mindestens 24 Werktage.
(2) Als Werktage gelten alle Kalendertage, die nicht Sonn- oder gesetzliche Feiertage sind.

§ 7 BurlG Zeitpunkt, Übertragbarkeit und Abgeltung des Urlaubs
(1) Bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs sind die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, es sei denn, dass ihrer Berücksichtigung dringende betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer, die unter sozialen Gesichtspunkten den Vorrang verdienen, entgegenstehen. Der Urlaub ist zu gewähren, wenn der Arbeitnehmer dies im Anschluss an eine Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation verlangt.
(2) Der Urlaub ist zusammenhängend zu gewähren, es sei denn, dass dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe eine Teilung des Urlaubs erforderlich machen. Kann der Urlaub aus diesen Gründen nicht zusammenhängend gewährt werden, und hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Urlaub von mehr als zwölf Werktagen, so muss einer der Urlaubsteile mindestens zwölf aufeinanderfolgende Werktage umfassen.
(3) Der Urlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahrs gewährt und genommen werden. Auf Verlangen des Arbeitnehmers ist ein nach § 5 Abs. 1 Buchstabe a entstehender Teilurlaub jedoch auf das nächste Kalenderjahr zu übertragen.
(4) Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, so ist er abzugelten.