Für Berufskraftfahrer oder Lieferfahrer gilt eine Aufzeichnungspflicht der Lenkzeiten. Auch die Ladezeiten sind Arbeitszeit und sollten festgehalten werden. Copyright by lchumpitaz/Fotolia
Für Berufskraftfahrer oder Lieferfahrer gilt eine Aufzeichnungspflicht der Lenkzeiten. Auch die Ladezeiten sind Arbeitszeit und sollten festgehalten werden. Copyright by lchumpitaz/Fotolia

Der Kläger schuftete jahrelang bei einem privaten Transportunternehmen als Lieferfahrer. Als er wegen eines Unfalls die Kündigung erhielt und der Arbeitgeber gegen ihn Forderungen erhob, wandte er sich an seine Gewerkschaft. Mit Hilfe des Büros Pirmasens vom DGB Rechtsschutz machte er die vielen geleisteten Mehrarbeitsstunden gerichtlich geltend. So erzielte er im Vergleichswege einen hohen Euro-Betrag. Die Unfallschäden musste er nicht bezahlen.
 

Es galten keine Verfallfristen

Die Arbeitsvertragsparteien waren nicht tarifgebunden und auch vertraglich war keine Ausschlussfrist vereinbart. Aus diesem Grund konnte der Kläger seine Ansprüche im Rahmen der gesetzlichen Verjährung für fast vier Jahre rückwirkend durchsetzen.
 
Der Arbeitgeber bestritt im gesamten Gerichtsverfahren vehement, dass Mehrarbeit überhaupt angefallen sei. Und das obwohl es für jeden einzelnen Tag Lieferscheine bzw. elektronisch quittierte Auslieferungsbelege gab und der Kläger eine Vielzahl von Weisungen zur Lieferpriorität und Reihenfolge bei der Belieferung der Kunden zu beachten hatte.
 

Ein ganzer Koffer voller Unterlagen

Zum Glück notierte sich der Kläger für mehr als die Hälfte seiner Beschäftigungszeit die täglichen Routen samt Namen der Kunden, die Lieferorte und -zeiten und zum Teil auch die Ansprechpartner der Kunden vor Ort.
 
Zudem musste der Kläger auf Weisung des Arbeitgebers die täglich gefahrenen Kilometer aufschreiben, das Fahrzeug täglich betanken und die Tankquittungen beim Arbeitgeber einreichen.
 

Routen waren in normaler Arbeitszeit nicht zu schaffen

Im Schnitt fuhr der Kläger je Arbeitstag zwischen 300 und 450 km. Geht man bei einer für Lieferfahrten recht optimistischen Durchschnittsgeschwindigkeit über den Tagesverlauf von rund 50 km/h aus, so ist schnell erkennbar, dass er einen achtstündigen Arbeitstag so schon allein mit dem Lenken des Lieferfahrzeugs verbracht hätte. Das Entladen des Lieferfahrzeugs beim Kunden mit Bestellware bzw. Beladen mit Retouren kam ja noch dazu. Die Angabe des Klägers, er habe täglich zwischen zehn und 14 Stunden gearbeitet, waren somit allein anhand der nachgewiesenen Fahrstrecke und -dauer durchaus realistisch.
 
Nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 21. Dezember 2016  - 5 AZR 362/16 - genügt der Arbeitnehmer seiner Darlegungslast im Mehrarbeitsprozess zunächst, wenn er konkret vorträgt, an welchen Tagen er wie lange gearbeitet hat (Arbeitsbeginn, Arbeitsdauer und Arbeitsende) oder er sich für den Arbeitgeber zur Arbeitsleistung bereitgehalten hat.
 

Dokumentation von Lenk- und Arbeitszeitüberschreitungen nicht gewollt

Für Berufskraftfahrer oder Lieferfahrer gilt grundsätzlich eine Aufzeichnungspflicht der Lenkzeiten, sei es in Form der Nutzung einer elektronischen Fahrerkarte oder des Formulars „Tageskontrollblätter für das Fahrpersonal“. Das hört sich gut an, ist aber auch nicht unproblematisch: Im (noch) intakten Arbeitsverhältnis ist der gemeinsame Gegner von Fahrer und Spedition die Gewerbeaufsicht oder die Polizei, die über die Einhaltung der Lenkzeiten wachen. So werden Ladezeiten (die zweifellos Arbeitszeit darstellen) oft als Pausenzeiten deklariert, allein, um im Fall einer Kontrolle keine Lenk- und Arbeitszeitüberschreitungen selbst protokolliert zu haben.
 
Im späteren Streit um die Vergütung dieser Arbeitszeit beruft sich der Arbeitgeber natürlich auf die vom Fahrer eingetragene Pausenzeit, für die er keine Vergütung zahlen will.
 

Von Zeiten fürs Beladen, Entladen, Kommissionieren wollte der Arbeitgeber nichts wissen

Im vorliegenden Fall hat es der Arbeitgeber mit dem Bestreiten der geleisteten Arbeitszeit deutlich übertrieben. Der Kläger musste bereits um 4:00 Uhr an der Betriebsstätte anwesend sein, dort ankommende Ware verteilen, Kommissionierungsarbeiten verrichten und schließlich seinen Lkw bzw. Sprinter beladen. Das nahm täglich rund 90 Minuten in Anspruch. Erst dann konnte er mit der eigentlichen Auslieferung der Ware an die Kunden beginnen.
 
Selbst von diesen, vor aller Augen in der Betriebsstätte vorgenommenen Vorbereitungsarbeiten, wollte der Arbeitgeber keine Kenntnis genommen haben. Auch sei der Kläger im Zickzack gefahren, was nicht die Beklagte bezahlen müsse. Dabei „vergaß“ die Beklagte schlicht, dass einige Kunden ihre Ware bis spätestens 8:00 Uhr haben wollten, und die Beklagte dem Kläger auferlegte, diese Zeiten strikt einzuhalten. Abhängig von der Verkehrslage gab es so ständige Änderungen der täglich ohnehin variierenden Tour.
 

Tatsächliche Arbeitszeit war zu belegen

Unser Büro konnte für jeden einzelnen Tag, für die es Aufzeichnungen des Klägers gab, in mehreren (teils extrem aufwendigen) Schriftsätzen konkret darstellen, in welcher Zeit, wie lange und bei welchen Kunden der Kläger tatsächlich gearbeitet hatte. Es war so auch zu belegen, dass die angeblichen Pausenzeiten gemäß der Ausdrucke der Fahrkarten oder der Tageskontrollblätter tatsächlich Arbeitszeiten waren.
 
Die Ausdrucke hatte die Beklagte nicht freiwillig vorgelegt, sondern erst nach einer erfolgreichen Klage auf Herausgabe.
 

Kläger erhält eine hohe Summe per Vergleich

Das Arbeitsgericht drängte auf eine Vergleichslösung, zu der es dann auch kam. Der Vortrag des Klägers war umfangreich, da die Anforderungen die Darlegungs- und Beweislastregeln nach wie vor hoch sind. Ein Urteil hätte es eine aufwendige Beweisaufnahme mit über 100 Zeugen erfordert.
 
Bleibt die Frage, was der Kläger nun tatsächlich als Vergleichssumme erhalten hat? Ganz einfach: er bekam 10 Euro für jede einzelne Seite, die unser Büro als Schriftsatz bei Gericht
eingereicht hat. Es waren 800 Seiten.
 

Tipp: Arbeitszeiten dokumentieren

Es lohnt sich nicht nur im Transportgewerbe täglich seine Arbeitszeit zu notieren, falls diese nicht ohnehin erkennbar und dauerhaft erfasst wird.
 
Statt Geld aus dem Unfall an den Arbeitgeber zu zahlen, hat der Kläger nun eine beachtliche Summe aus der Überstundenleistung erhalten.
 
 
LINKS:
Das im Artikel erwähnte Urteil des Bundesarbeitsgerichts wurde auch vom DGB Rechtsschutz erstritten.

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