Spielt es für den Anspruch auf Freistellung eine Rolle, dass die Klägerin 30 und nicht 35 Stunden pro Woche arbeitet?
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Spielt es für den Anspruch auf Freistellung eine Rolle, dass die Klägerin 30 und nicht 35 Stunden pro Woche arbeitet? © Adobe Stock - Von devenorr

Die Klägerin arbeitet seit 23 Jahren in der Produktion, ab Dezember 2019 mit 30 Stunden pro Woche. Sie arbeitet ausschließlich in Nachtschicht, auch, um sich um ihren gesundheitlich sehr eingeschränkten Ehemann zu kümmern.

 

Tarifverträge der Metall-und Elektroindustrie für Schleswig-Holstein gelten

 

§ 3 des Manteltarifvertrags regelt eine „Tarifliche Freistellungszeit in besonderen Fällen“.

Danach können Beschäftigte verlangen, statt des tariflichen Zusatzgeldes eine Freistellung in Anspruch zu nehmen.

 

Der Tarifvertrag nennt die Beschäftigtengruppen, für die diese Möglichkeit besteht. Das sind unter anderem:

Beschäftigte mit einer individuellen regelmäßigen Arbeitszeit von mindestens 35 Stunden, die in drei Schichten oder mehr als drei Schichten oder nur in der Nachtschicht arbeiten.

 

Der Anspruch ist außerdem an die Betriebszugehörigkeit gekoppelt sowie daran, wie lange beim derzeitigen Arbeitgeber in Schicht gearbeitet wurde, und, ob dies voraussichtlich im Folgejahr so sein wird. All dies trifft bei der Klägerin zu.

 

Die Klägerin beantragte im Oktober 2022 eine solche Freistellung statt Auszahlung des tariflichen Zusatzgeldes. Da der Arbeitgeber das ablehnte, wurde der gewerkschaftliche Rechtsschutz tätig.

 

Streit um tariflichen Anspruch geht vor Gericht

 

Im Streit steht die Frage, ob es eine sachlich ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von Teilzeitkräften ist, wenn der Anspruch auf Freistellung an eine Wochenarbeitszeit von 35 Stunden geknüpft ist.

 

Die Klägerin sieht darin auch eine Benachteiligung aufgrund des Geschlechts, weil überwiegend Frauen in Teilzeit arbeiten. Der Sinn und Zweck der Norm, Arbeitnehmer:innen mit höherer Belastung zu entlasten, spreche dafür, dass auch ihr der Anspruch auf freie Tage zustehe.

 

Die Beklagte hingegen vertritt die Auffassung, dass der Sinn und Zweck des tariflichen Anspruchs auf Freizeitgewährung eine Differenzierung zwischen Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten rechtfertige. Vollzeitbeschäftigte in Schichtarbeit würden durch die Wechseleinsatzzeiten stärker belastet als Teilzeitbeschäftigte.

 

Arbeitsgericht entscheidet zugunsten der Teilzeitkraft

 

Beim Gerichtstermin stand der Klägerin ihr Prozessbevollmächtigter Stefan Botor zur Seite und sie erhielt weitere moralische Unterstützung durch die IGM und die Kolleg:innen vom Betriebsrat.

 

Das Gericht bejaht den Anspruch der Klägerin auf eine Freistellung im Umfang von acht Tagen für das Jahr 2023.

 

Der Ausgangspunkt dabei ist: Die Klägerin erfüllt die die Anspruchsvoraussetzung des § 3 MTV mit Ausnahme der Wochenarbeitszeit von mindestens 35 Stunden.

Die Frage war also, ob es eine Rolle spielt, dass die Klägerin lediglich 30 und nicht mindestens 35 Stunden pro Woche arbeitet. Das sieht das Gericht als unerheblich an.

 

Diskriminierung wegen Teilzeit verboten

 

Teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer:innen dürfen nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer Vollzeitbeschäftigter, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen (§ 4 TzBfG).

 

Der MTV behandelt Teilzeitbeschäftigte wegen der Teilzeitarbeit ungleich, indem die Norm Teilzeitkräften, die nicht Vollzeit im Umfang von mindestens 35 Stunden pro Woche arbeiten, die Umwandlung des tariflichen Zusatzentgelts in Freizeit verwehrt. Die Ungleichbehandlung an sich liegt auf der Hand, die entscheidende Frage ist, ob es dafür einen sachlichen Grund gibt.

 

Unterschiedliche Wochenarbeitszeit reicht als Grund nicht

 

Allein das unterschiedliche Arbeitspensum berechtige nicht zu einer unterschiedlichen Behandlung von Vollzeit- und Teilzeitkräften, so das Arbeitsgericht. Gesetzlich zulässige Rechtfertigungsgründe müssten anderer Art sein. Dabei habe sich die Prüfung der sachlichen Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung am Zweck der Leistung zu orientieren.

 

Auch wenn die Tarifvertragsparteien grundsätzlich darin frei seien, den Zweck einer tariflichen Leistung zu bestimmen, dürfe dies nicht dazu führen, das Verbot der Diskriminierung in Teilzeit beschäftigter Arbeitnehmer:innen auszuhöhlen.

 

Freistellung zur Entlastung besonders belasteter Arbeitnehmer:innen

 

Teilzeitkräften haben die Tarifvertragsparteien unabhängig vom Umfang der Wochenarbeitszeit generell von dem Anspruch ausgenommen und insofern die Belastung durch die Nachtarbeit - egal welchen Umfang diese einnimmt - als so gering eingestuft, dass zusätzliche freie Tage anders als bei Vollzeitkräften nicht angeboten werden müssen.

 

Diese vom Umfang der Tätigkeit in Nachtschicht unabhängige, sich allein am Umfang der wöchentlichen Arbeitszeit orientierende Differenzierung sei nicht sachlich gerechtfertigt, so das Ergebnis des Arbeitsgerichts. Es gebe keinen allgemeinen Erfahrungssatz, der die Annahme rechtfertigen könne, bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden bestehe in Kombination mit Nachtarbeit für alle Arbeitnehmer eine qualitative Belastung, die bei Teilzeitbeschäftigten nicht auftrete.

Im Urteil drückt das Gericht das für den konkreten Fall so aus: Die Annahme der Tarifvertragsparteien, eine Vollzeitkraft mit 35 Stunden pro Woche und einer Verteilung der Arbeitszeit auf fünf Tage in der Woche, die drei Nachtschichten pro Woche absolviert, sei gegenüber einer Teilzeitkraft mit 30 Stunden, die fünf Nachtschichten pro Woche leistet, in einem qualitativ erheblichen Maße belasteter, ist nicht vertretbar.

 

Der Zweck des Umwandlungsanspruchs, den besonderen Belastungen der Nachtarbeit Rechnung zu tragen, rechtfertige es deshalb nicht, sämtliche Teilzeitbeschäftigte generell unabhängig vom Umfang der Wochenarbeitszeit von dem Umwandlungsanspruch auszuschließen.

 

Der Klägerin sind damit die ihr zu Unrecht vorenthaltenen acht freien Tage für das Jahr 2023 zu gewähren.

 

Berufung wegen besonderer Bedeutung zugelassen

 

Die streitentscheidende Rechtsfrage, ob die Differenzierung in § 3 MTV zwischen Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten, die mindestens drei Nachschichten oder dauerhaft Nachtschichten leisten, wirksam ist, wurde höchstrichterlich bislang nicht geklärt. Das Arbeitsgericht hat deshalb die Berufung gesondert zugelassen.

 

Es ist davon auszugehen, dass der Verband der Metall­- und Elektro-Industrie, der das Unternehmen vertritt, in die zweite Instanz gehen wird.