© Adobe Stock - Von Heiko Küverling
© Adobe Stock - Von Heiko Küverling

Die Klägerin, Mitglied der Gewerkschaft ver.di, war ab Oktober 2017 als Retail Operative (= Einzelhandelsmitarbeiterin) beim Unternehmen Primark angestellt. Sie ist ausgebildete Bekleidungstechnikerin und war bei Beginn des Arbeitsverhältnisses mehr als 15 Jahre bei Unternehmen des Einzelhandels beschäftigt. 1996 hatte sie die Prüfung zur Handelsfachwirtin abgelegt.

 

Primark ist ein Textil-Discounter mit mehr als 380 Stores in 13 Ländern in Europa und den USA, 28 davon in Deutschland. Das Arbeitsverhältnis endete mit Ablauf der letzten Befristung im Januar 2019.

 

Auf das Arbeitsverhältnis fanden die Tarifverträge des Einzelhandels NRW Anwendung

Primark hat mit der Gewerkschaft ver.di 2016 einen Anerkennungs- und Übergangstarifvertrag geschlossen. Ab Mai 2017 gelten die regionalen Entgelttarifverträge des regelmäßigen Beschäftigungsortes in ihrer jeweiligen Fassung dynamisch.

 

Der Gehaltstarifvertrag Einzelhandel NRW unterscheidet zwei Beschäftigungsgruppen:

  • A.    Angestellte ohne abgeschlossene kaufmännische Ausbildung
  • B.    Angestellte mit abgeschlossener kaufmännischer Ausbildung

 

Da die Klägerin zwar eine Ausbildung abgeschlossen hatte, aber keine zur Verkäuferin, fiel sie in die Beschäftigungsgruppe A.

 

Tarifvertrag differenziert zwischen Tätigkeits- und Berufsjahren

In der Beschäftigungsgruppe A steigert sich das Gehalt vom 1. bis zum 3. Tätigkeitsjahr (§ 3 A Abs. 1 GTV). Satz 1 des zweiten Absatzes lautet:

Mit Beginn des 4. Tätigkeitsjahres erfolgt eine Einstufung in das 3. Berufsjahr der Gehaltsgruppe I der Beschäftigungsgruppe B.

 

In der Gehaltsgruppe I für Angestellte mit einfachen kaufmännischen Tätigkeiten (Beschäftigungsgruppe B) steigert sich der Verdienst in Stufen vom 1. Berufsjahr bis zu der Stufe „ab dem sechsten Berufsjahr“.

 

Der Arbeitsvertrag sah einen Verdienst nach der Gehaltsgruppe A, 1. Tätigkeitsjahr vor. Die Klägerin war für die gesamte Dauer ihres Arbeitsverhältnisses in der Beschäftigungsgruppe A. eingruppiert und wurde dort entsprechend des 1., 2. und 3. Tätigkeitsjahres entlohnt.

Die vielen Jahre, die sie zuvor bei anderen Unternehmen des Einzelhandels gearbeitet hatte, blieben unberücksichtigt.

Da sie in Teilzeit gearbeitet hat, lag der Unterschied pro Monat bei bis zu 500 € brutto.  

 

Primark lehnt Eingruppierung unter Berücksichtigung von Vorbeschäftigungszeiten ab

Bereits im April 2018 hatte sich die Klägerin an ihren Arbeitgeber gewandt und ihn aufgefordert, eine dem Tarifvertrag entsprechende Eingruppierung vorzunehmen, die ihre Berufserfahrung berücksichtigt. Es fand daraufhin ein Personalgespräch statt. Die Klägerin erhielt nicht mehr Geld. Ihr wurde nur erläutert, wie der Tarifvertrag die Anrechenbarkeit ihrer vorliegenden Qualifikationen/Tätigkeitsjahre regele.

 

Die Gewerkschaft ver.di reklamierte nach Ende des Arbeitsverhältnisses eine tarifrichtige Eingruppierung nach der Beschäftigungsgruppe B, Gehaltsgruppe I ab dem 6. Berufsjahr.

 

Erfolg in erster Instanz: Tarifvertrag sehe nicht vor, dass es sich um Tätigkeiten bei demselben Arbeitgeber handeln müsse

Der DGB Rechtsschutz Bielefeld startete für die Klägerin im März 2019 den Zug durch die Instanzen mit einer Klage beim Arbeitsgericht Bielefeld.  Gefordert wurde eine Vergütung nach der Beschäftigungsgruppe B ab dem 6. Berufsjahr, da die bisherige kaufmännische Tätigkeit im Einzelhandel zu berücksichtigen sei. Es ging um rund 7.500 € brutto für 15 Monate, die die Klägerin bei Primark beschäftigt war. Unter “Tätigkeitsjahre“ fielen alle Tätigkeiten ohne anrechenbare oder einschlägige Berufsausbildung – auch bei anderen Arbeitgebern. Der Tarifvertrag sehe nicht vor, dass es sich um Tätigkeiten bei demselben Arbeitgeber handeln müsse.

 

Das Arbeitsgericht Bielefeld gab der Klage statt (Urteil vom 14. Mai 2020 - 1 Ca 671/19). 

Aus dem Wortlaut der tarifvertraglichen Regelung ergebe sich nicht in der erforderlichen Klarheit, dass für eine Eingruppierung nur solche Tätigkeitsjahre Berücksichtigung finden können, die ein Arbeitnehmer bei dem aktuellen Arbeitgeber zurückgelegt habe. Die Tarifvertragsparteien hätten sicher nicht gewollt, langjährig berufserfahrene Bewerber bei der Einstellung immer als Berufsanfänger einzustufen.

 

Landesarbeitsgericht Hamm: Die Eingruppierung der Klägerin ist zutreffend erfolgt

Das beklagte Unternehmen ging in Berufung. Das Urteil wurde daraufhin vom LAG aufgehoben (Urteil vom 16. April 2021 - 18 Sa 744/20). 

 

Eine Auslegung der Bestimmungen des Tarifvertrages ergebe, dass die Vorbeschäftigungszeiten der Klägerin bei anderen Arbeitgebern nicht bei der Berechnung der Tätigkeitsjahre zu berücksichtigen seien.

 

Der Wortlaut des Tarifvertrages führt nach dem LAG Hamm zu keinem eindeutigen Ergebnis. Die Tarifsystematik aber spreche gegen die Annahme, dass Vorbeschäftigungszeiten bei anderen Arbeitgebern als „Tätigkeitsjahre“ anzuerkennen sind. Auch die Entstehungsgeschichte des Gehaltstarifvertrages sowie Sinn und Zweck der Tarifnorm würden dagegen sprechen, Beschäftigungszeiten bei anderen Arbeitgebern bei der Berechnung der „Tätigkeitsjahre“ zu berücksichtigen.

 

Das LAG kam so zu dem Ergebnis, dass „Tätigkeitsjahre“ im Sinne des § 3 A Abs. 2 S. 1 GTV Einzelhandel NRW nur Beschäftigungszeiten sind, die beim aktuellen

Arbeitgeber zurückgelegt wurden.

 

Revision beim Bundesarbeitsgericht durch das Gewerkschaftliche Centrum

Der 4. Senat des BAG hat nicht mit dem aus Arbeitnehmersicht erhofften Ergebnis über die Eingruppierung der ungelernten Verkäuferin bei Primark entschieden.

 

Er hat aus prozessualen Gründen die Sache zur erneuten Entscheidung an das LAG zurückverwiesen. In der Sache selbst ist das BAG der Auffassung, dass die Tätigkeitsjahre im Sinne des Gehaltstarifvertrags nur die Jahre sind, die beim derzeitigen Arbeitgeber geleistet wurden. Da das BAG eine entsprechende Handlungsanweisung ins Urteil schreiben wird, ist bei einer erneuten Entscheidung des LAG nichts Gutes zu erwarten.

Das sagen wir dazu:

Das Ergebnis in dieser Sache ist enttäuschend!

Denn es bedeutet eine nicht gerechtfertigte Schlechterstellung ungelernter Verkäufer*innen. Der Gehaltstarifvertrag unterscheidet in den Beschäftigungsgruppen danach, ob eine kaufmännische Ausbildung abgeschlossen wurde oder nicht. Das ist nachvollziehbar. Es ist aber nicht gerecht, weiter zu differenzieren und unter Berufsjahren alle Jahre im Einzelhandel fallen zu lassen, unter Tätigkeitsjahre aber nur die Jahre, die beim aktuellen Arbeitgeber geleistet wurden.