Im Minus stand nicht nur die Firma, auch der von der Insolvenz betroffene Kläger muss um sein Geld kämpfen. © Adobe Stock: Marco2811
Im Minus stand nicht nur die Firma, auch der von der Insolvenz betroffene Kläger muss um sein Geld kämpfen. © Adobe Stock: Marco2811

Das Insolvenzverfahren über ein Bochumer Unternehmen war bereits im Juli 2018 eröffnet worden. Dem folgte unverzüglich die Anzeige der Masseunzulänglichkeit. Der Kläger war im Betrieb seit 1994 als Betriebsleiter beschäftigt gewesen und ab Ende Juni 2018 schon von der Arbeit freigestellt. Die Urlaubs- und Freizeitansprüche sollten auf die Freistellung angerechnet werden. Schließlich kündigte der Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis zum Ende Oktober 2018.

 

Der Beklagte teilte dem Kläger im Dezember 2018 mit, dass er für den Zeitraum der auslaufenden Kündigungsfrist von September 2018 bis Ende Oktober 2018 noch Anspruch auf Lohn habe. Die noch offenen Vergütungsansprüche aus der Zeit der Kündigungsfrist nahm der Insolvenzverwalter unter Anrechnung der von der Agentur für Arbeit gezahlten Leistungen in die Massetabelle auf.

 

Es floss noch Geld

 

Im Laufe des Insolvenzverfahrens konnte der beklagte Insolvenzverwalter Ansprüche realisieren und so weitere Gelder zur Masse ziehen. Es war möglich, auch Altmasseverbindlichkeiten teilweise zu bedienen. Der Kläger erhielt jedoch die Mitteilung, seine Altmasseforderung sei verjährt und deshalb bei der Verteilung der vorhandenen Gelder nicht mehr zu berücksichtigen.

 

Martin Kühtz vom Rechtsschutzbüro Hagen setze sich für den Betroffenen ein. Seine Klage beim Arbeitsgericht Bochum hatte Erfolg.

 

Was sind Altmasseverbindlichkeiten?

 

Altmasseverbindlichkeiten sind diejenigen Ansprüche, die begründet worden sind, bevor der Insolvenzverwalter die Masseunzulänglichkeit gemäß § 208 InsO angezeigt hat. Bei der Befriedigung der Massegläubiger werden die Altmasseverbindlichkeiten erst an dritter - und damit an letzter Stelle befriedigt. Nichts desto trotz, wenn Geld da ist, dann muss der Insolvenzverwalter auch diese Altmasseforderungen begleichen.

 

Eine Leistungsklage, also Klage auf Zahlung des offenen Betrages hielt das Arbeitsgericht in diesem Zusammenhang allerdings erst einmal für unzulässig; denn die Masseunzulänglichkeit bestand weiter fort und damit konnte es einem unmittelbaren Zahlungsantrag nicht stattgeben.

 

Der Antrag auf Feststellung der Altmasseforderung zur Insolvenzmasse ging demgegenüber durch. Die Forderung war aus Sicht des Gerichts nicht verjährt. Zwar gelte regelmäßig eine Verjährungsfrist von drei Jahren, so das Gericht. Diese Frist beginne mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden sei und der Gläubiger davon Kenntnis erlangt hat bzw. ohne Fahrlässigkeit erlangt haben müsste. Forderungen aus 2018 würden demnach Ende 2021 verjähren.

 

Der Anspruch muss fällig sein

 

Das Gesetz setzt in § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB auch die Fälligkeit des Anspruchs voraus. Die Ansprüche des Klägers auf Annahmeverzugsvergütung waren jeweils zu dem Zeitpunkt fällig, zu dem auch die Vergütung bei tatsächlicher Beschäftigung fällig gewesen wäre, erläutert das Gericht. Im Ergebnis sei die regelmäßige Verjährungsfrist auch aus dem Gesichtspunkt der Fälligkeit für die offene Vergütung am 31.12.2021 abgelaufen.

 

Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit habe die Verjährung der Forderung nicht gehemmt, ebenso wenig die Aufnahme in die Tabelle. Das sei Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes. Das Gericht ging auch nicht davon aus, dass die Parteien eine rechtsgeschäftliche Stundungsvereinbarung oder ein Stillhalteabkommen getroffen hatten. Hierzu wäre eine entsprechende Vereinbarung der Parteien erforderlich gewesen. Eine solche Vereinbarung sei hier nicht ersichtlich.

 

Grundsätzlich sei Hemmung der Verjährung wegen Verhandlung rechtlich möglich. Diese komme jedoch ebenfalls nicht in Betracht. Zwar habe der Beklagte die Zahlungsansprüche des Klägers zur Tabelle genommen. Es sei zu diesem Zeitpunkt auch unklar gewesen, mit welcher Quote die Forderung des Klägers in der Zukunft erfüllt werden könne. Dieser Umstand stelle jedoch keine Verhandlung dar, die voraussetzen würde, dass beide Seiten Zugeständnisse machen könnten. Einem Insolvenzverwalter sie dies aufgrund der insolvenzrechtlichen Vorschriften nicht möglich.

 

Der Grundsatz von Treu und Glauben verhindert die Verjährung

 

Nach § 242 BGB ist der Schuldner verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Auf diese Vorschrift bezieht sich das Arbeitsgericht. Nach Treu und Glauben könne sich der Beklagte nicht auf die Verjährung der Forderung berufen.

 

Er habe deren Durchsetzung zwar nicht aktiv unterbunden. Aber noch im Dezember 2018 sei dem Kläger durch den Beklagten mitgeteilt worden, dass ihm noch Vergütungsansprüche zustehen. Der Kläger habe einen Fragebogen erhalten, den er zur tatsächlichen Berechnung seines Anspruchs ausfüllte. Anschließend habe der Beklagte die Forderung zur Tabelle aufgenommen.

 

Der Kläger konnte auf den Bestand der Forderung vertrauen

 

Damit habe der Kläger davon ausgehen können, alles Erforderliche zur Durchsetzung seines Anspruchs getan zu haben. Die Beklagte stellte die Höhe der festgesetzten Ansprüche zu keinem Zeitpunkt in Frage. Es bestanden für den Kläger aus Sicht des Arbeitsgerichts keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte als staatlich beliehener Amtswalter die Forderung selbst bzw. deren Durchsetzbarkeit später in Frage stellen würde. Der Kläger konnte als rechtsunkundiger und nicht immer durch Verfahrensbevollmächtigte vertretener Arbeitnehmer darauf vertrauen, ihm werde auch ohne Information über den Stand des Insolvenzverfahrens die Einrede der Verjährung nicht entgegenhalten, zumal es nicht ungewöhnlich ist, dass Insolvenzverfahren länger als die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren laufen, so das Gericht.

 

Aufgrund der angezeigten Masseunzulänglichkeit sei es dem Kläger nicht möglich gewesen, seine Ansprüche zu einem früheren Zeitpunkt gerichtlich durchzusetzen. Eine Leistungsklage gerichtet auf Zahlung wäre - wie auch jetzt - aufgrund des wegen der Masseunzulänglichkeit bestehenden Vollstreckungsverbotes gescheitert.

 

Im Interesse des Beklagte hatte der Kläger geduldig abgewartet

 

Im Ergebnis ist es nach diesem Urteil dem Beklagten nach Auffassung der Kammer nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf die Einrede der Verjährung zu berufen, weil allein die angezeigte Masseunzulänglichkeit und die Dauer des Insolvenzverfahrens dazu geführt haben, dass das die regelmäßige Verjährungsfrist abgelaufen ist. Es sei dem Kläger auch nicht vorzuwerfen, als rechtsunkundiger Arbeitnehmer - und sicherlich auch im Interesse des Beklagten als Insolvenzverwalter - geduldig abgewartet zu haben, dass das Insolvenzverfahren abgeschlossen würde.

 

 

Das sagen wir dazu:

Bleibt anzumerken, dass der Insolvenzverwalter mit diesem Urteil nicht einverstanden war und zwischenzeitlich Berufung beim Landesarbeitsgericht eingelegt hat.

 

Martin Kühtz vom DGB Rechtsschutzbüro Hagen hat die Berufung nun auf dem Tisch liegen. Er hält das Urteil der ersten Instanz im Ergebnis für richtig und kommentiert es so:

 

„Es kann ja in der Tat nicht sein, dass Insolvenzverwalter als staatlich beliehene Amtswalter, die nach der Insolvenzordnung primär die Gläubigerinteressen zu vertreten haben, Masseforderungen zunächst explizit anerkennen, diese in der Folge aufgrund (vorübergehender) Masseunzulänglichkeit nicht erfüllen müssen und sich nach Ablauf der Verjährungsfrist dann erfolgreich auf Verjährung berufen können. Diese Ansicht teilen, wenn auch nicht öffentlich, selbst einige befreundete Insolvenzverwalter.“

 

Leider habe der hiesige Beklagte im Rahmen des Verfahrens erklärt, dass sich so gut wie kein Massegläubiger gegen die Einrede der Verjährung wehrt, wenn er diese erhebt. Dies sei eine ganz seltene Ausnahme. Vor diesem Hintergrund sei das vorliegende Urteil ein allgemein ganz wichtiges Signal.

Rechtliche Grundlagen

§ 108 InsO, § 199 Abs. 1 BGB

§ 108 InsO
(1) Der Insolvenzverwalter hat die Masseverbindlichkeiten nach folgender Rangordnung zu berichtigen, bei gleichem Rang nach dem Verhältnis ihrer Beträge:
1. die Kosten des Insolvenzverfahrens;
2. die Masseverbindlichkeiten, die nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, ohne zu den Kosten des Verfahrens zu gehören;
3. die übrigen Masseverbindlichkeiten, unter diesen zuletzt der nach den §§ 100, 101 Abs. 1 Satz 3 bewilligte Unterhalt

(2) Als Masseverbindlichkeiten im Sinne des Abs. 1 Nr. 2 gelten auch die Verbindlichkeiten
1. aus einem gegenseitigen Vertrag, dessen Erfüllung der Verwalter gewählt hat, nachdem der die Masseunzulänglichkeit angezeigt hatte;
2. aus einem Dauerschuldverhältnis für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen konnte;
3. aus einem Dauerschuldverhältnis, soweit der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit für die Insolvenzmasse die Gegenleistung in Anspruch genommen hat.


§ 199 BGB Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist und Verjährungshöchstfristen
(1) Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem
1. der Anspruch entstanden ist und
2. der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.