Der Krankenschwester in der Intensivpflege setzte die Empathie für einen verstorbenen Patienten stark zu. © Adobe Stock: Photographee.eu
Der Krankenschwester in der Intensivpflege setzte die Empathie für einen verstorbenen Patienten stark zu. © Adobe Stock: Photographee.eu

Seit drei Jahren verrichtete die Klägerin, eine vom DGB Rechtsschutz Hannover vertretene Krankenschwester, 12-Stunden-Schichten in der Intensivpflege. Am 4. März verstarb ein von ihr betreuter Patient. Die Klägerin erkrankte anschließend arbeitsunfähig, zunächst bis Ende März.

 

Ende März vereinbarte die Klägerin mit der beklagten Pflegeeinrichtung einen Termin zur Hospitation bei einer Patientin, deren Versorgung die Beklagte zum 1. April übernehmen wollte. Die Beklagte selbst beschrieb die Hospitation als erfolgreich und erstellte demgemäß einen Einsatzplan für die Klägerin.

 

Die Arbeitsunfähigkeit dauerte an

 

Die Klägerin legte jedoch eine weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ihres behandelnden Nervenfacharztes vor. Wegen einer "Neurasthenie" schrieb der Arzt sie bis Ende Juni 2022 krank. Entgeltfortzahlung wollte die Beklagte nun nicht mehr zahlen.

 

Die Klägerin hatte den verstorbenen Patienten fast drei Jahre intensiv betreut. Der Kontakt zu ihm und seiner Familie war sehr eng gewesen, so die Klägerin im Verfahren. Ihre Situation sei mit derjenigen einer Operationsschwester ohne engen Patientenkontakt nicht vergleichbar. Trotz ihrer Krankschreibung habe sie den Hospitationstermin wahrgenommen, am Wochenende darauf jedoch einen Zusammenbruch erlitten.

 

Die Beklagte war anderer Auffassung

 

Der Beklagten war nicht erklärlich, weshalb die Klägerin das Ableben des von ihr zuvor versorgten Patienten mental beeinträchtigte. Sie habe in ihrer Laufbahn mehr als nur einen Tod eines Patienten erlebt.

 

Die vom Arzt bescheinigte Neurasthenie stelle im Übrigen nach ihren Recherchen eine verschwommene Störung aus dem 19. und 20. Jahrhundert dar. Die Diagnose werde kaum mehr verwendet und finde im neuen ICD-Katalog keine Berücksichtigung mehr. Aufgrund dessen hielt die Beklagte die Angaben der Klägerin für unglaubwürdig und verweigerte die Entgeltfortzahlung.

 

Die Krankschreibung gilt

 

Das Arbeitsgericht Hannover entschied zugunsten der betroffenen Intensivpflegerin. Diese habe für den im Streit stehenden Zeitraum eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt.

 

Grundsätzlich sind Arbeitnehmer*innen dafür beweispflichtig, dass eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorliegt. Das geschieht in der Regel durch die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung. Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit, so das Arbeitsgericht.

 

Der Arbeitgeber könne den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlege und beweise, die Zweifel an der Erkrankung ergäben mit der Folge, dass der vorgelegten Bescheinigung kein Beweiswert mehr zukomme.

 

Pauschale Meinungsäußerungen genügen nicht

 

Die Beklagte habe keine Umstände zur Erschütterung vorgetragen. Sie habe lediglich mit pauschalen Meinungsäußerungen Zweifel geäußert, inwiefern es sich bei der Neurasthenie überhaupt um einen Zustand der Arbeitsunfähigkeit handele. Zum Zeitpunkt der Ausstellung sei die Diagnose jedoch in den entsprechenden Richtlinien enthalten gewesen. Die Arbeitsunfähigkeit habe auch ein Facharzt bescheinigt.

 

Selbst wenn die Diagnose Neurasthenie veraltet sein sollte, so beinhalte die Ausstellung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung die Feststellung, dass die Klägerin nicht in der Lage sei, ihre Arbeitsleistung zu erbringen. Das Krankheitsbild sei möglicherweise zukünftig anderen Diagnoseschlüsseln zuzuordnen.

 

Das Gericht hielt es für plausibel, dass der Tod des fast drei Jahre gepflegten Patienten zu einer psychischen Erkrankung führen kann. Dass die Klägerin die Hospitation während ihrer Krankschreibung erfolgreich durchgeführt habe, begründe keine hinreichenden Zweifel an deren Arbeitsunfähigkeit.

 

Die Hospitation ähnelt einem Arbeitsversuch

 

Die Klägerin habe, ohne hierzu verpflichtet gewesen zu sein, an der Hospitation teilgenommen. Es sei Wesen eines Versuchs, dass im Ergebnis vielleicht auch kein Erfolg eintrete. Im Zuge einer Erkrankung könne sich zudem immer auch eine Verschlechterung einstellen, mit der zuvor nicht zu rechnen war.

 

Ähnlich verhalte es sich bei der Klägerin. Diese sei auch noch weiter krankgeschrieben gewesen und letztlich aus der Entgeltfortzahlung gefallen. Dadurch erleide sie finanzielle Einbußen, was dafür spreche, dass es sich bei ihr um eine tiefgreifende Erkrankung handele und die Arbeitsunfähigkeit nicht nur vorgegeben wurde.

 

Der Klage auf Entgeltfortzahlung gab das Arbeitsgericht statt

 

Bleibt zu hoffen, dass es der Betroffenen inzwischen wieder besser geht.

 

Empathie ist wichtig, gerade auch in der Pflege. Empathie kann aber auch persönlich belasten und wie hier zu einem krankheitsbedingten Ausfall führen. Oft ist der Tod eines gepflegten Patienten der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.

 

Den Belastungen in der Pflege wird nur gewachsen bleiben, wer von Beginn an psychische und mentale Unterstützung durch den Arbeitgeber erhält. Im Rettungsdienst sowie bei Feuerwehr und Polizei hat es lange gedauert, bis entsprechende Unterstützung nach traumatischen Erlebnissen angeboten wurde. Ebenso wie in diesen Bereichen sind es auch in der Pflege Menschen, die sich für andere einsetzen, Traumata erleiden können und daher eines Schutzes ihrer eigenen Gesundheit bedürfen.

 

Hier geht es zum Urteil des Arbeitsgerichts Hannover.

Rechtliche Grundlagen

§ 5 Abs. 1 EFZG

§ 5 Anzeige- und Nachweispflichten
(1) Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, hat der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer spätestens an dem darauffolgenden Arbeitstag vorzulegen. Der Arbeitgeber ist berechtigt, die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung früher zu verlangen. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als in der Bescheinigung angegeben, ist der Arbeitnehmer verpflichtet, eine neue ärztliche Bescheinigung vorzulegen. Ist der Arbeitnehmer Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse, muss die ärztliche Bescheinigung einen Vermerk des behandelnden Arztes darüber enthalten, dass der Krankenkasse unverzüglich eine Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit mit Angaben über den Befund und die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit übersandt wird.