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Bei Neumann ist es viele Jahre gutgegangen, er kennt es aber von Kollegen*innen: Es passiert ein Schaden, weil die Handbremse trotz Belehrung in der Hektik nicht richtig angezogen war. Oder der Zusteller, die Zustellerin wird verantwortlich gemacht für verschwundene Zustellware.

 

Schaden wird netto abgezogen

Die Arbeitgeber sind hier anders als in anderen Branchen schnell mit der Beteiligung der Arbeitnehmer*innen an Schäden bei der Hand. In anderen Branchen ist das meist erst Thema, wenn die Parteien so zerstritten sind, dass schon eine Kündigung ausgesprochen wurde.

 

Bei Neumann soll der Wert des verlorenen Päckchens 500 € betragen. Er soll zu 50% haften, und dies wird ihm in zwei Raten von je 125 € vom Lohn abgezogen.

 

Neumann erhebt Nettolohnklage

Neumann erhebt Klage auf Zahlung der 250 € netto. Das ist hier richtig.

 

Die Lohnabrechnungen sind stets ähnlich aufgebaut. Vereinfacht: Es wird oben rechts der Bruttolohn ausgewiesen, der sich je nach Branche aus mehreren Positionen addiert, dann werden die Abzüge aufgelistet, Steuer und Sozialbeiträge. Die Differenz ist dann der Nettobetrag. Unter diesem erscheinen dann noch evtl.  Nettobezüge oder Nettoabzüge und der daraus resultierende Überweisungsbetrag.

Ein typischer Nettoabzug ist z.B. ein Vorschuss oder eben ein Schadensersatz. Ein Nettobezug könnte z.B. eine Erstattung von Kosten sein, für die der Arbeitnehmer in Vorleistung getreten ist.

 

Was ist, wenn Lohn zurückgebucht wird?

Neumann war erkrankt. Der Arbeitgeber hat zunächst Entgeltfortzahlung geleistet, war aber dann der Meinung, er hätte gar nicht zahlen müssen und bucht zurück. Das betraf zwei Monatsabrechnungen. Der Arbeitgeber hat für diese Monate eine Korrekturabrechnung erstellen lassen und eine sog. Aufrolldifferenz in den Korrekturabrechnungen ermittelt. Die Summe der Aufrolldifferenz hat er dann komplett, das waren 1.000 €, vom nächsten Nettolohn abgezogen.

 

Das hält Neumann für falsch. Er geht nach Rücksprache mit seinem Arzt von einer neuen Erkrankung aus, für die der Arbeitgeber Entgeltfortzahlung zu erbringen habe. Und da er dies annahm, hat er die Arbeitsunfähigkeitsmeldung nur dem Arbeitgeber und nicht unmittelbar der Krankenkasse vorgelegt. Das war ein Riesenfehler.

 

Krankenkasse verweigert Krankengeld

Da es dann Streit um die Frage gibt, ob eine neue Erkrankung vorliegt (dann müsste der Arbeitgeber zahlen), oder ob eine Fortsetzungserkrankung vorliegt (dann müsste die Kasse zahlen), schickt Neumann die Meldung doch an die Krankenkasse. Diese teilt ihm mit, sein Anspruch ruhe. Das heißt, er bekommt für die Zeit kein Krankengeld, weil die Meldung zu spät sei.

 

Neumanns Meldung wäre nur dann noch rechtzeitig, wenn sie innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit bei der Kasse eingeht. Ansonsten ruht der Anspruch gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V, solange bis die Meldung vorliegt. Da ist bei Neumann alles zu spät.

 

Krankenkasse ist grundsätzlich vorleistungspflichtig

Bei Neumanns Kumpel hat der Arbeitgeber Entgeltfortzahlung direkt nicht gezahlt und die Krankenkasse wollte Krankengeld nicht gewähren, weil der Arbeitgeber zahlen müsse. Diesen Ping-Pong löst der Gesetzgeber mit § 48 Abs. 1 Nr. 1 SGB V eindeutig. Die Krankenkasse ist auch vor Ablauf der 6 Wochen Entgeltfortzahlung zuständig und muss Krankengeld zahlen, wenn der Arbeitgeber nicht zahlt.

 

Hätte Neumann doch bloß die Meldung direkt an die Kasse abgeschickt, dann ginge es in seinem Streit um die Differenz zwischen Lohn und Krankengeld und nicht ums Ganze.

 

Lohnrückbuchung brutto oder netto?

Da muss Neumann erstmal durchsteigen, aber letztlich lässt sich aus den Lohnabrechnungen erkennen, was ins Minus gestellt wurde. In unserem Beispiel sind es 1.800 € brutto und 1.000 € netto.

 

Nettoklagen waren schon immer riskant. Selbst, wenn der Arbeitgeber die Zahlung leistet, muss Neumann das Risiko tragen, ob dieser zusätzlich auch Sozialbeiträge und die Steuer abführt. Wenn nicht, wäre Neumann als Arbeitnehmer nach § 38 Abs. 2 EStG Schuldner der Lohnsteuer und müsste im Innenverhältnis zum Arbeitgeber auch den ihn betreffenden Teil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags tragen. Schon aus diesem Grund ist bei grundsätzlicher Steuer-und Sozialversicherungspflicht von einer Nettolohnklage abzuraten.

 

Offenhalten ob brutto oder netto?

Einfach nur den Betrag einklagen, ohne zu benennen, ob Neumann diesen brutto oder netto will? Das ist auch riskant. Einem Kläger, der eigentlich einen Nettobetrag wollte, es aber in ihrem Klageantrag offengelassen hat, wurde vom Gericht die Summe kurzerhand brutto zugesprochen. Das fand er zu wenig und hat das Bundesarbeitsgericht (BAG, Beschluss vom 17.02.2016 - 5 AZN 981/15) im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde angerufen. Das Gericht sah keine Beschwer, obwohl der Kläger netto gemeint hatte, weil eben der vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Zusatz „brutto“ keine Einschränkung der Klage sei, sondern nur verdeutliche, was sowieso von Gesetzes wegen gelte.

 

Also muss Neumann sich festlegen.

 

Nettolohnklage kann unbegründet sein

Eine Nettolohnklage hat das BAG (Urteil vom 23.09.2020 – Az. 5 AZR 251/19) für unbegründet gehalten. Reine Nettolohnabreden sind selten. Jeder kennt das, dass in Arbeitsverträgen ein Bruttolohn angegeben ist. Obwohl es um eine geringfügige Beschäftigung ging, lag nach Ansicht des Gerichts auch dort eine Bruttolohnvereinbarung vor. Das BAG ging davon aus, dass selbst wenn die Klage hinsichtlich des Nettobetrages begründet gewesen wäre, dieser Betrag nicht einfach als Bruttobetrag hätte zugesprochen werden dürfen, weil dies verschiedene Klagegründe betreffe.

 

Bruttolohnklage erheben

Bei Neumann ist es eindeutig: Er hat eine normale Bruttolohnvereinbarung und wenn dann Lohn zurückgebucht wird, sei es z.B. das Weihnachtsgeld beim vorzeitigen Ausscheiden oder wie hier die Entgeltfortzahlung, muss er sich durch die Abrechnungen kämpfen und die brutto zurückgebuchten Beträge ermitteln und einklagen.

Er wird gewinnen, wenn es tatsächlich eine neue Erkrankung war, wenn nicht, ist die unterbliebene rechtzeitige Meldung an die Kasse, teures Lehrgeld.

Das sagen wir dazu:

Das hätte man dem Kläger/der Klägerin doch sagen müssen, drängt sich auf. In beiden Entscheidungen des BAG wird auch Bezug genommen auf erfolgte Hinweise der Gerichte. Diese sollte man nicht ignorieren.

 

Und bei Arbeitsunfähigkeitsmeldungen dringend immer auch nachweisbar die Arbeitsunfähigkeitsmeldung der Krankenkasse zukommen lassen, damit im Falle des Falles nur über die Differenz gestritten wird.