Kann Arbeitslosengeld auch bei negativem Rentenbescheid nahtlos fließen? Copyright by freshidea/Adobe Stock
Kann Arbeitslosengeld auch bei negativem Rentenbescheid nahtlos fließen? Copyright by freshidea/Adobe Stock

Mit dieser Fragestellung hat sich das Sozialgericht Stuttgart in seiner Entscheidung vom 6. Mai 2019 beschäftigt.
 

Was ist geschehen?

Ein Versicherter beantragte im August 2017 Arbeitslosengeld. Die Bundesagentur für Arbeit ließ ein Gutachten über seinen Gesundheitszustand erstellen. Danach konnte der Kläger für eine voraussichtliche Dauer von mehr als sechs Monaten nur weniger als drei Stunden pro Tag arbeiten. Deshalb gewährte die Bundesagentur ihm Arbeitslosengeld nach der Nahtlosigkeitsregelung.
Bereits im Oktober 2017 lehnte die gesetzliche Rentenversicherung einen Antrag des Klägers auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ab.
Daraufhin weigerte sich die Bundesagentur für Arbeit ohne zusätzliche Prüfung, weiterhin Arbeitslosengeld zu bezahlen.
Der Versicherte war damit nicht einverstanden und erhob Klage.

Nahtlosigkeitsregelung

Bei einem Leistungsvermögen von unter drei Stunden pro Tag besteht ein Anspruch auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, wenn die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind.
Bis über einen Rentenantrag entschieden ist, kann viel Zeit vergehen. Besonders, wenn Betroffene deshalb bei den Sozialgerichten ggf. durch mehrere Instanzen prozessieren müssen. Damit sie so lange nicht ohne Leistungen im Regen stehen, gibt es die so genannte Nahtlosigkeitsregel. Diese Regel hat eine Sperrwirkung. Sie „versperrt“ der Bundesagentur die Möglichkeit, einen Antrag auf Arbeitslosengeld allein deshalb abzulehnen, weil die Leistungsfähigkeit auf unter 15 Stunden pro Woche gesunken ist.
Aber sehr wichtig ist: Alle anderen Arbeitslosengeld-Voraussetzungen müssen auch beim „Nahtlosigkeits-Arbeitslosengeld“ erfüllt sein. Vor allem ist Bedingung, dass Antragsteller*innen subjektiv bereit sind, im Rahmen ihres Leistungsvermögens zu arbeiten.

Nahtlosigkeitsregelung und Rentenbescheid

Die Konsequenzen des Rentenbescheids für das Arbeitslosengeld nach der Nahtlosigkeitsregelung hängt davon ab, ob er ein positives oder ein negatives Ergebnis gebracht hat.

Positiver Rentenbescheid

Geht der Träger der Rentenversicherung davon aus, dass eine Minderung der Erwerbsfähigkeit vorliegt, entfällt damit lediglich die Sperrwirkung. Das bedeutet, dass die Bundesagentur jetzt nicht mehr an die Nahtlosigkeitsregelung gebunden ist. Aber die Feststellungen des Rentenbescheids sind im Übrigen nicht bindend. Das bedeutet, dass die Bundesagentur aufgrund eigener Aufklärung des Sachverhalts den weiteren Bezug von Arbeitslosengeld wegen fehlender Leistungsfähigkeit gewähren oder verweigern kann. Das ist in der Praxis interessant für diejenigen Fälle, in denen der Rentenversicherungsträger zwar eine geminderte Leistungsfähigkeit annimmt, eine Rente aber etwa wegen fehlender versicherungsrechtlichen Voraussetzungen ablehnt.

Negativer Rentenbescheid

Ein solcher Bescheid hebe  - so das Sozialgericht Stuttgart  - die Sperrwirkung der Nahtlosigkeitsregelung nicht auf. Er schränke den Anwendungsbereich der Nahtlosigkeitsregelung auch nicht ein. Deshalb habe die Bundesagentur für Arbeit auch bei einem ablehnenden Rentenbescheid zu prüfen, ob der Versicherte in der Lage ist, mehr als 3 Stunden pro Tag zu arbeiten. Komme sie zu einem anderen Ergebnis als die Rentenversicherung, müsse sie weiterhin Arbeitslosengeld nach der Nahtlosigkeitsregelung bezahlen.
 

Ergebnis für den Kläger

Der Kläger konnte  - entgegen der Auffassung der Rentenversicherung  - tatsächlich keine drei Stunden pro Tag arbeiten. Deshalb verurteilte das Sozialgericht Stuttgart die Bundesagentur für Arbeit dazu, dem Kläger auch weiterhin Arbeitslosigkeit nach der Nahtlosigkeitsregelung zu bezahlen.
 
Hier finden Sie die vollständige Pressemitteilung des Sozialgerichts Stuttgart zum Urteil vom 6. Mai 2019; S 21 AL 1622/18

Das sagen wir dazu:

Die Entscheidung des Sozialgerichtes Stuttgart ist für Versicherte erfreulich. Sie verbietet es der Bundesagentur, Arbeitslosengeld allein mit dem Argument zu verweigern, der Rentenantrag sei abgelehnt.
Es ist allerdings zu befürchten, dass die unmittelbare praktische Relevanz dieser Entscheidung eher überschaubar ist. Denn es ist davon auszugehen, dass die Bundesagentur nach eigener Überprüfung des Gesundheitszustandes zumindest zunächst einmal stark dazu neigen wird, dem Versicherten ebenfalls uneingeschränkte Leistungsfähigkeit zu attestieren. Aber es besteht die Möglichkeit, gegen den Bescheid Widerspruch einzulegen, mit dem die Bundesagentur die Gewährung von Arbeitslosengeld ablehnt,. Diesen Widerspruch können Versicherte damit begründen, dass sie trotz des negativen Rentenbescheides nur gemindert leistungsfähig sind.

Rechtliche Grundlagen

§ 145 Sozialgesetzbuch III

Sozialgesetzbuch III
§ 145 Minderung der Leistungsfähigkeit
(1) Anspruch auf Arbeitslosengeld hat auch eine Person, die allein deshalb nicht arbeitslos ist, weil sie wegen einer mehr als sechsmonatigen Minderung ihrer Leistungsfähigkeit versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigungen nicht unter den Bedingungen ausüben kann, die auf dem für sie in Betracht kommenden Arbeitsmarkt ohne Berücksichtigung der Minderung der Leistungsfähigkeit üblich sind, wenn eine verminderte Erwerbsfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung nicht festgestellt worden ist. Die Feststellung, ob eine verminderte Erwerbsfähigkeit vorliegt, trifft der zuständige Träger der gesetzlichen Rentenversicherung. Kann sich die leistungsgeminderte Person wegen gesundheitlicher Einschränkungen nicht persönlich arbeitslos melden, so kann die Meldung durch eine Vertreterin oder einen Vertreter erfolgen. Die leistungsgeminderte Person hat sich unverzüglich persönlich bei der Agentur für Arbeit zu melden, sobald der Grund für die Verhinderung entfallen ist.

(2) Die Agentur für Arbeit hat die leistungsgeminderte Person unverzüglich aufzufordern, innerhalb eines Monats einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben zu stellen. Stellt sie diesen Antrag fristgemäß, so gilt er im Zeitpunkt des Antrags auf Arbeitslosengeld als gestellt. Stellt die leistungsgeminderte Person den Antrag nicht, ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld vom Tag nach Ablauf der Frist an bis zum Tag, an dem sie einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben oder einen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung stellt. Kommt die leistungsgeminderte Person ihren Mitwirkungspflichten gegenüber dem Träger der medizinischen Rehabilitation oder der Teilhabe am Arbeitsleben nicht nach, so ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld von dem Tag nach Unterlassen der Mitwirkung bis zu dem Tag, an dem die Mitwirkung nachgeholt wird. Satz 4 gilt entsprechend, wenn die leistungsgeminderte Person durch ihr Verhalten die Feststellung der Erwerbsminderung verhindert.

(3) Wird der leistungsgeminderten Person von einem Träger der gesetzlichen Rentenversicherung wegen einer Maßnahme zur Rehabilitation Übergangsgeld oder eine Rente wegen Erwerbsminderung zuerkannt, steht der Bundesagentur ein Erstattungsanspruch entsprechend § 103 des Zehnten Buches zu. Hat der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung Leistungen nach Satz 1 mit befreiender Wirkung an die leistungsgeminderte Person oder einen Dritten gezahlt, hat die Empfängerin oder der Empfänger des Arbeitslosengeldes dieses insoweit zu erstatten.