Trotz einer Betreuung rund um die Uhr bekam die bulgarische Pflegekraft nur 30 Stunden pro Woche entlohnt. Copyright by Adobe Stock/hati
Trotz einer Betreuung rund um die Uhr bekam die bulgarische Pflegekraft nur 30 Stunden pro Woche entlohnt. Copyright by Adobe Stock/hati

Frau D., bulgarische Staatsangehörige, schloss mit einem bulgarischen Dienstleistungsunternehmen einen Arbeitsvertrag ab. Danach sollte sie Frau Z., eine 90-jährige Seniorin, in deren Wohnung in Deutschland betreuen.

950 € für einen 24-Stunden-Job

Nach dem Arbeitsvertrag sollte sie für eine 30 Arbeitszeit von 30 Stunden pro Woche, verteilt auf Montag bis Freitag, 8,50 € brutto pro Stunde erhalten.


Die Realität sah aber anders aus. Frau D. musste die alte Dame, die auf einen Rollstuhl angewiesen war, rund um die Uhr betreuen. Sie musste sich auch nachts bereithalten, um Frau Z. beispielsweise während eines Toilettengangs zu unterstützen. Das hatte nämlich das bulgarische Dienstleistungsunternehmen mit Frau Z. so vereinbart.

Arbeitsfreier Tag war die Ausnahme

Das Unternehmen warb über eine in Deutschland ansässigen Agentur damit, dass Senioren und Seniorinnen von der Pflegekraft rund um die Uhr betreut werden.


Das ging sogar so weit, dass Frau D. auch am Wochenende arbeiten musste und erst nach längeren Verhandlungen - und auch dann nur gelegentlich - einen freien Arbeitstag erhielt. Schließlich habe das Dienstleistungsunternehmen eine umfassende Betreuung zugesichert, so die Familie von Frau Z.

Klage auf Mindestlohn für 35.000 Stunden

Nachdem ihr auch bezahlter Urlaub verweigert wurde, reichte es Frau D. Sie kündigte das Arbeitsverhältnis und verklagte mithilfe der DGB Initiative “Faire Mobilität“ und der DGB Rechtsschutz GmbH Berlin das Dienstleistungsunternehmen auf Zahlung von Arbeitsvergütung in Höhe des damaligen Mindestlohns von 8,50 € für insgesamt etwa 35.000 Arbeitsstunden, die sie im Jahr 2015 geleistet hatte. Dabei ging Frau D. von einem 24-Stunden-Tag aus.

Das beklagte Dienstleistungsunternehmen pochte dagegen auf den Arbeitsvertrag, nachdem 30 Stunden pro Woche vereinbart waren. Wenn die Klägerin freiwillig Überstunden geleistet habe, so die Beklagte, ginge es sie nichts an. Außerdem sei das Mindestlohngesetz nur auf Arbeitgeber anwendbar, die in Deutschland ihren Sitz haben.

Mindestlohn auch für Beschäftigte ausländischer Unternehmen

Das Arbeitsgericht Berlin und daraufhin das Landesarbeitsgericht Brandenburg, die darüber zu entscheiden hatten, sahen die Sache anders. Sie gingen davon aus, dass auch für Mitarbeiter ausländischer Unternehmen, die in Deutschland eingesetzt werden, deutsches Recht und somit auch das Mindestlohngesetz Anwendung findet.

Dabei sei die Klägerin nicht nur für die vertraglich vereinbarten 30 Stunden, sondern für jede geleistete Arbeitsstunde zu bezahlen. Die Beklagte habe gewusst, dass die Klägerin rund um die Uhr und auch am Wochenende zur Verfügung stehen musste. Sie habe nicht dafür gesorgt, dass der Klägerin ausreichend Pausen und Erholungszeiten zur Verfügung standen. Die Berufung auf den Arbeitsvertrag sei daher rechtsmissbräuchlich.

Hat der Arbeitstag 24 oder 21 Stunden?

Nur in einem Punkt unterschieden sich die Entscheidungen:
Während das Arbeitsrecht Berlin von einem 24-Stunden-Tag ausging, meinte das Berufungsgericht, es sei lediglich von einem 21-Stunden-Tag auszugehen. Denn die Klägerin habe zumindest etwas Freizeit gehabt, um Telefonate mit Familienmitgliedern zu führen und spazieren zu gehen.

Deshalb ging nicht nur das beklagte Unternehmen, sondern auch Frau D. in Revision. Vertreten wurde sie in dritter Instanz durch das gewerkschaftliche Centrum für Revision und Europäisches Recht.

Bundesarbeitsgericht: Arbeitszeit muss neu überprüft werden

Das Bundesarbeitsgericht bestätigte in seinem Urteil im Großen und Ganzen die Auffassung des Landesarbeitsgerichts: Auch entsandte ausländischer Pflegekräfte haben Anspruch auf Zahlung des Mindestlohns. Die beklagte Arbeitgeberin müsse den Mindestlohn auch für Zeiten des Bereitschaftsdienstes zahlen und dürfe Sachleistungen wie Kost und Logis darauf nicht anrechnen.

Allerdings sei nicht klar, von welcher Arbeitszeit auszugehen sei. Das Landesarbeitsgericht sei zu voreilig von einer 21-Stunden-Woche ausgegangen, ohne dafür ausreichend Anhaltspunkte zu haben. Daher wurde das Urteil aufgehoben und an das Landesarbeitsgericht zur weiteren Sachaufklärung zurückverwiesen
 
Das Landesarbeitsgericht muss nun den Sachverhalt neu prüfen und feststellen, wie viele Stunden die Klägerin tatsächlich bei der alten Dame arbeiten musste. Es muss auch überprüfen, wie viel Freizeit ihr zur Verfügung stand. Der Umfang dieser Freizeit kann nach Meinung des Bundesarbeitsgerichts nicht pauschal auf drei Stunden geschätzt werden, wie es das Landesarbeitsgericht getan hat.


LINKS:
Hier geht es zur Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts vom 24. Juni 2021 -5 AZR 505/20

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Das sagen wir dazu:

Der Fall macht deutlich, in welcher prekären Situation sich ausländische Pflegekräfte in Deutschland befinden. Sie werden in ihrem Heimatland zu Bedingungen angeworben, die auf den ersten Blick erträglich erscheinen. Vor Ort in Deutschland stellt sich dann heraus, dass von ihnen ein weitaus höherer Arbeitseinsatz gefordert, aber nicht bezahlt wird. Auf arbeitsvertraglich vereinbarte Pausen und arbeitsfreie Tage wird - wie im Fall von Frau D - oft keine Rücksicht genommen.

Das Problem wird dadurch verschärft, dass die meisten Pflegekräfte der deutschen Sprache unzureichend mächtig sind und nach ihrem Arbeitseinsatz wieder in ihr Heimatland zurückkehren. Von dort aus bestehen kaum Chancen, Ansprüche vor deutschen Gerichten weiterzuverfolgen. Auch im Falle von Frau D war dies nur mithilfe der DGB-Initiative „Faire Mobilität“, die sie zusammen mit der DGB Rechtsschutz GmbH unterstützte, möglich.

Es bleibt zu hoffen, dass das Landesarbeitsgericht nach neuer Überprüfung dem Urteil des Arbeitsgerichts Berlin folgt und der Klägerin Arbeitslohn auf der Basis eines 24-Stunden-Tages zuspricht.